Vergessen Sie es #5: Hornist Friedrich Müller

Brigitte Heusinger, die leitende Dramaturgin des Musiktheaters, denkt über die Stadt nach, in der sie aufgewachsen ist: Bremen. Und manchmal trifft sie auch Bremer*innen. Dieses Mal Friedrich Müller, der Bremer Philharmoniker erfreut regelmäßig Menschen mit kleinen Konzerten im Park.

Ja, wer weiß, ob er schon wieder im Bürgerpark steht mit seinem Horn. In der Adventszeit wussten es die Eingeweihten und merkten die Menschen, die zufällig um 15:00 bis 15:30 Uhr am Franz-Ernst-Schütte-Denkmal nahe dem Parkhotel vorbeikamen. Denn schriftlich niedergelegt war es nirgendwo, dass Friedrich Müller dort jeden Tag – manchmal allein, manchmal in kleineren Formationen mit Kolleg*innen der Bremer Philharmoniker, seinen Notenständer aufstellen und spielen würde. Reine Mundpropaganda, die funktionierte. Zuerst bemerkten es die Spazierengehenden, und dann bildete sich eine Fangemeinde mit Neuzugängen, die sich – wie Müller betont – „unter Wahrung aller Hygieneregeln“ mit Abstand versammelte. Ein idealer Ort bei dem eher unbekannten Denkmal, das an den Bremer Petroleumkönig und Mäzen (1836 bis 1911) erinnert, der unter anderem die Innenausmalung des Doms, die Anlagen des Bürgerparks und Stadtwalds finanziell unterstützt hat. Dem Internet ist zu entnehmen, dass sein Wirken durch eine Stiftung für Familien in Not und die Förderung der Ausbildung junger begabter Menschen bis heute fortdauert. Auf jeden Fall gibt es neben Schüttes Büste ein Rondell mit genug Platz und der Möglichkeit in Ausnahmefällen auf die Naturwiese auszuweichen. Das letzteres erlaubt und möglich ist, hat Friedrich Müller bei Tim Großmann, dem Direktor des Bürgerparks, nachgefragt. Im September 2019 hatte er ihn erstmals kontaktiert, um sein Herzensprojekt vorzustellen.

„Dann machen Sie das mal“, lautete die lapidare Reaktion.

Das war noch vor der Pandemie. Doch das Spielen im Freien bekam durch den Lockdown eine ganz andere Dimension und führte, wie Friedrich Müller es nennt, „zu einer Verstärkung der Aktivitäten“. In der Adventszeit wurden die Spenden, die er sammelte, zwischen der Musikwerkstatt der Philharmoniker und dem Bürgerpark geteilt. Vorher ging alles an den Bürgerpark. Inzwischen ist ein erkleckliches Sümmchen für eine Baumspende zusammengekommen. Friedrich Müller muss darüber schmunzeln, denn schließlich, so sagt er, müsse ein Mann im Leben einen Baum pflanzen, das zu bauende Haus fehle ihm allerdings noch. Seine Wohnung ist nicht weit vom Bürgerpark entfernt, und so läuft er seit Oktober öfter schnell mal los zu einem „Ausflug aus unserem sehr schönen Familien-Alltag“ mit seinen zwei kleinen Kindern.

„Wir spielen nichts vorher an, sondern legen direkt los und geben dem Park, der Natur, den Menschen, das, was uns auf der Seele brennt.“

Was nicht heißt, dass nicht auch geprobt wird, bei mehreren Beteiligten auch eben über whatsapp: aufnehmen, weitersenden, dazu spielen. Kompliziert, aber machbar. Besonders gerne erinnert er sich an Alphornkonzerte und ein Posaunenquartett, das man eigentlich nicht als solches bezeichnen könne, denn sein Horn habe ja die Stimme der ersten Posaune übernommen. Er als spiritus rector und Organisator habe vorgeschlagen, dass die vier Musiker sich demonstrativ locker weit voneinander aufstellen sollten, quasi als Vorbild für die Zuschauer*innen. Natürlich wäre es für ihn schon schwierig gewesen, alle Kolleg*innen zu hören, aber er dächte schon, dass das Zusammenspiel geklappt habe. Er schwärmt: „Wunderbare, ganz besondere und einzigartige Kulturmomente“ würde man so erleben.

Schon während er aufbaut, käme ihm die Dankbarkeit der kulturausgehungerten Bremer*innen entgegen.

Sie riefen ihm aus Distanz zu, dass sie ganz beglückt seien und das schon so lange Zeit. Ihnen fehle einfach die Musik und vor allem das Live-Musik-Erlebnis, das jetzt zur Weihnachtszeit noch einen besonderen Stellenwert habe. Normalerweise ist jetzt die Hoch-Zeit für Musiker*innen. Doch statt Hyperaktivität herrscht Flaute, wenigstens für das Gros der Kolleg*innen: „Eine problematische Zeit ohne Zusammenspielen, immer im kleinen Kämmerlein, ohne face to face-Kontakte und ohne dass jemand zuhört.“ Trotzdem sei es „phänomenal, wie die Kulturschaffenden durch die Zeit getragen würden.“ Und ihm sei es wichtig, dafür etwas zu geben. Das sei eine echte Aufgabe, die ihn aber auch mit Freude erfülle, schließlich habe er „im Bürgerpark ein Ventil für sein musikalisches Herz gefunden“. Neben der gefühlten Verpflichtung, in dieser Zeit etwas „geben zu müssen“, spornt ihn eben auch die Begeisterung der Menschen an, die sich im Applaus ausdrücken würde, einem Applaus, der immer sehr, sehr herzlich sei, aber jetzt anders, gedämpfter klingen würde, denn schließlich trügen die Menschen Handschuhe.

Seit Januar 2017 ist der gebürtige Dresdner in Bremen bei den Philharmonikern.

Und er fühlt sich wohl: „Bremen ist von einem Fluss durchschnitten wie meine Heimatstadt“. Im Vergleich zu Hamburg („ist das ein Stress da drüben mit dem vielen Verkehr und der allgemeinen Geschäftigkeit“), wo er manchmal im Orchester aushilft, lebe man in Bremen sehr angenehm und ruhig. „Eine durchlässige Stadt“, ein tolles Wohnklima für eine kleine Familie und fahrradfreundlich, was er schätzt. „Ich komme aus Sachsen und dachte, der Norden sei kühl, doch dieses Klima ist uns gar nicht entgegen gekommen, ganz im Gegenteil, in Bremen geht man herzlich miteinander um, man ist höflich und alles ist sehr geordnet.“ Über letzteres muss ich nachdenken, denn Bremen als geordnet zu bezeichnen, würde mir nicht einfallen. Aber das kann dann ja mal ein Thema einer weiteren Kolumne sein.