1200 Vorstellungen im Theater Bremen: Warum Hans-Joachim Rohen nach 60 Jahren sein Abo kündigt
Bruno Ganz und Edith Clever, Hannelore Hoger und Gabriela Maria Schmeide: Er hat sie alle auf der Bremer Bühne gesehen. Diana König, Pressesprecherin am Theater Bremen, hat den Mann getroffen, der sicher einer der treuesten Zuschauer ist.
Premierenabo Musiktheater, Premierenabo Schauspiel, Premierenabo Tanz. Seit zwanzig Jahren immer in der ersten Reihe. „Ich habe lange nicht gewusst, dass die Leute auf der Bühne doch in den Zuschauerraum gucken können, früher hieß es immer, das blendet, aber irgendwann hat mir dann jemand gesagt, dass er mich bei jeder Premiere sieht“, schmunzelt Rohen heute und blättert im Geschichtsbuch seiner Erinnerung. Der Jemand, der das gesagt hat, war ein ehemaliger Klassenkamerad, einer, der wusste, dass Hans-Joachim Rohen in der Premiere saß, wenn er auf der Bühne stand: Detlev Greisner hat er immer gern spielen sehen, zum Beispiel 2005 in „King Lear“, eine Inszenierung, die ihm in Erinnerung geblieben ist. „Davor saßen wir jahrelang in der 4. Reihe,“ erzählt Rohen, in der „Kritikerreihe“, zwischen Rainer Mammen, Simon Neubauer, Imke Gehl und Gerhart Asche. Ob er schon immer am Premierenabend wusste, was am nächsten Tag in der Zeitung steht, verrät er der Pressesprecherin nicht …
Sein erstes Abo, vor 60 Jahren, hat er von seinem ersten Lehrlingsgehalt abgeschlossen.
„Sechzig Jahre, durchschnittlich zwanzig Vorstellungen pro Spielzeit, ich würde sagen, die Kunst ist nicht zu kurz gekommen“, sagt Rohen, der aus gesundheitlichen Gründen sein Abo für die nächste Spielzeit nicht verlängert hat. Das Theater, besonders das in Bremen, hat ihn dabei sein ganzes Leben begleitet. Zum ersten Mal war er mit fünf oder sechs Jahren in der Oper, mit seinen Großeltern, in einer Ausweichspielstätte in der Neustadt: einer umgebauten Schulturnhalle in der Delmestraße, die bis 1950 als „Not-Oper“ in Betrieb war und großen Zuspruch fand. Was er damals da gesehen hat, weiß er nicht mehr genau, möglicherweise die „Bremer Stadtmusikanten“, begeistert war er auf jeden Fall.
„Die Hübner-Zeit hat mich besonders geprägt, zum Beispiel Hannelore Hoger als Jungfrau von Orleans: Das sehe ich heute noch vor mir.“
Aber auch Bruno Ganz und Edith Clever in Zadeks legendärer Inszenierung „Die Räuber“ 1966 oder die beiden in Peter Steins Inszenierung von „Torquato Tasso“ 1969 bringen ein Strahlen in Rohens Augen. An Kresnik und die Neuausrichtung der Tanzsparte erinnert er sich auch gern. Aber auch Urs Dietrichs Zeit im Tanz hat er sehr gemocht, besonders bewegt hat ihn dessen Produktion im St. Petri-Dom, wo das Ensemble „Ein deutsches Requiem“ von Brahms getanzt hat. Die Musiktheater-Uraufführung von „Gegen die Wand“ im Kleinen Haus 2008 in der Regie von Michael Sturm und in der Musikalischen Leitung von Tarmo Vaask hat ihn ebenfalls tief beeindruckt: „Man kam immer ins Theater mit der Erwartung, dass heute wieder was passiert“, erzählt Rohen.
Neun Intendanzen hat er miterlebt
Nach Hübner, zu dessen Zeit er Abonnent wurde, kam Peter Stoltzenberg, dann Arno Wüstenhöfer, Tobias Richter, Hansgünther Heyme („Das war ja nur kurz, aber das war die einzige Zeit, in der ich wirklich gar nicht klar gekommen bin, das war ein Bruch“), dann Klaus Pierwoß („Ein großer Theatermacher mit einem tollen Ensemble, gut vernetzt in der Stadt, war eine tolle Zeit“), Hans-Joachim Frey („Vielleicht bin ich der einzige, aber ich mochte seine Intendanz wirklich, es waren tolle Abende auf der Seebühne“), das Direktorium und dann Michael Börgerding. Fünfzig Jahre hat ihn sein Lebensgefährte begleitet, vor einigen Jahren ist er verstorben. Kennengelernt haben sie sich: im Theater. Dass derjenige, der länger lebt, das Abo weiter behält, hatten sie sich schon lange versprochen. Umso schwerer, es jetzt aufzugeben.
„Wir haben viel schöne Zeit hier erlebt. Fernsehen geht da als Ersatz jetzt gar nicht.“
Sechzig Jahre in neunzig Minuten Interview: Hans-Joachim Rohen ist vorbereitet gekommen und doch herrscht nach einiger Zeit Verzweiflung auf beiden Seiten: Ein Buch müsste es schon werden, wenn man allem gerecht werden wollte. „Wie soll ich Höhepunkte auswählen, ich habe Michael König und Bernhard Minetti hier auf der Bühne gesehen, genauso wie Hans Peter Hallwachs und die immer so vergeistigte Jutta Lampe?“ Als das Schauspielhaus dazu gekommen ist, das war toll, findet Hans-Joachim Rohen, und dass jetzt auch Schauspiel im Theater am Goetheplatz gezeigt wird, auch. Ums Concordia tut es ihm noch immer leid, er mochte die Spielstätte, den Umbau im Theater am Goetheplatz fand er gut. Doch nicht nur die Ensembles haben sich verändert. Während man heute die Karten online kaufen kann, kann er sich noch daran erinnern, wie er sie früher in der Kasse gekauft hat, die noch dort war, wo heute das Theatro ist: „Man stand an der Kasse und dann gingen die Damen zu so kleinen Fächern in denen bereits gedruckte Karten lagen. Da wurde dann so lange gesucht, bis man drei nebeneinanderliegenden Plätze gefunden hatte.“ Fast unvorstellbar heute, im Computerzeitalter, wo man mit Smartphone auf gedruckte Karten quasi ganz verzichten kann.
„Sorgen ums Theater mache ich mir nicht. Aber der Wandel, dem es unterliegt, der interessiert mich.“
„Börgerding schließt ja, wenn ich es richtig sehe, wieder ein bisschen an, an die Hübner-Zeit“, sagt Rohen, „das mag ich sehr, er wagt was. Ich fand es toll, dass er Samir Akika mitgebracht hat, der einen ganz anderen Blick auf Tanz hatte. Überhaupt war das ein Neustart mit Benedikt von Peter im Musiktheater und Benjamin von Blomberg im Schauspiel. Das sind zehn Jahre mit tollen Inszenierungen, ich denke da zurück an ‚Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny‘ oder ‚Die Ratten‘. Und Akikas Tanzabend ‚Belleville‘. Und natürlich mag ich das Bremer Ensemble. Ich kann mir ein Theater Bremen ohne Gabriele Möller-Lukasz, Susanne Schrader und Irene Kleinschmidt nicht denken.“ Rohen lehnt sich schmunzelnd zurück: „Drei ‚Räuber‘-Inszenierungen habe ich hier gesehen. Die erste war die zu Hübners Zeit von Zadek, dann unter Frey die von Volker Lösch und schließlich unter Börgerding die von Felix Rothenhäusler – total unterschiedliche Abende.“ Das Abo ist gekündigt, aber besuchen wird Hans-Joachim Rohen das Theater Bremen doch noch, oder? „Auf jeden Fall, in der nächsten Spielzeit habe ich mir schon ein paar Sachen ausgeguckt, am meisten freue ich mich auf ‚Hello, Dolly!‘, da spielt Gayle Tufts mit, die mag ich sehr.“
Veröffentlichung: 23.6.22