Becoming Dolly!

„Go big or go home“: Die Dramaturgin Brigitte Heusinger unterhält sich mit Gayle Tufts, die die Hauptrolle im Musical „Hello, Dolly!“ singt und spielt.

Brigitte Heusinger: Wann das erste Mal von „Hello, Dolly!“ gehört?

Gayle Tufts: Als Kind, ich war sechs oder sieben. Die Version des Titelsongs mit Louis Armstrong verdrängte in den Charts die Beatles und lief im Radio rauf und runter. Die Nummer kannte jeder. Und Hello, Dolly! war einer der ersten Kinofilme, den ich mit meiner Familie gesehen habe.

Was gefühlt?

Gayle Tufts: Barbra Streisand war so schön, ich war damals schon Fan. Die Musik, die Ausstattung, die Klamotten, ein großes Kostümdrama – es hatte die gleiche Wirkung und Popularität wie hier die Sissi-Filme.

Wann das erste Mal „Hello, Dolly!“ auf der Bühne gesehen?

Gayle Tufts: Ich habe es nicht gesehen, ich habe es gespielt. 1976 mit 16 Jahren. In meiner Highschool in einer riesigen Produktion mit zweihundert Mitwirkenden. Auf einmal waren wir Theaternerds aus dem Dramaclub auch „cool Kids“ und nicht nur die vom Footballteam und den Cheerleaders. 

Was gefühlt?

Gayle Tufts: Es war fantastisch. Die Kostüme waren gemietet. Ich hatte einen riesigen Hut. Allerdings: Die Bühne hatten die Studenten gebaut und in der Generalprobe vergessen, die Leiter für den wichtigsten Auftritt im Harmonia Gardens Restaurant von hinten an die große Showtreppe zu stellen. Das Orchester stimmt den Titelsong an, ich konnte nicht auftreten und unsere strenge Regisseurin Mrs. Thomas (sie war wie eine Nonne) schrie: Gayle, where are you? You idiot! Ich habe so geheult.

Wann das erste Mal von „Hello, Dolly!“ und Bremen gehört?

Gayle Tufts: Frank Hilbrich hat mich angerufen und wollte mich für eine Rolle in einer Operette in Graz. Operette ist so gar nicht meine Welt. Aber wir kamen ins Gespräch und ich erzählte ihm von zwei Traumrollen: Gypsy von Sondheim und Hello Dolly! Beides Rollen für eine Frau in meinem Alter. Aber im Nachhinein habe ich mich dann doch gefragt: Gayle, warum die Hauptrolle, kann es nicht ein bisschen kleiner sein? Aber why not? Go big or go home! In meinem Alter fühlt sich das richtig an. Und es ist so eine Freude, jetzt hier dafür in Bremen zu sein. Die Leute wissen das, dass ich mittlerweile über 25 Jahre mit einem Bremer zusammen bin. Wir haben uns hier kennengelernt und Bremen wird für mich immer eine bestimmte Magie haben. Es herrscht ein bestimmter, sehr angenehmer Vibe, vergleichbar mit dem in meiner Heimatstadt Boston. Ich bin hin und weg, jetzt, wo ich hier bin. Wenn jemand ein little house im Viertel hat –  her damit. 

Was gefühlt?

Gayle Tufts: Im Vorfeld war ich sehr relaxt. Aber als ich hier war, habe ich mich dann schon gefragt: „Worauf hast du dich bloß eingelassen?“ Mein Deutsch ist nach dreißig Jahren hier immer noch nicht perfekt, ich habe die Sprache nie richtig gelernt. Und die Dialoge und Songs sind auf Deutsch, mit vielen umständlichen Wortkonstruktionen, die mir nicht gut im Mund liegen. Und Dolly plappert die ersten zwanzig Minuten des Stücks vor sich hin, dann singt sie, dann tanzt und dann plappert sie weiter. Man probt das. Und wenn man denkt, man kann den Text, dann kommt die Szene dazu, und wenn man denkt, das sitzt, kommt die Choreographie dazu und wenn man dann denkt, man hat es, kommt die Musik dazu. Ich bin eine Streberin, ich will alles richtig und alle diese crazy people glücklich machen. Gottseidank gibt es überall Unterstützung. Allen voran: Ursel Hoffmann, die Heldin of my life, die Souffleuse. Ich fühle mich wie ein Boxer und sie ist immer in meiner Ecke, mit einem Handtuch und einer Flasche Wasser bewaffnet, metaphorisch gesprochen. 

Wann das erste Mal in Bremen „Hello, Dolly!“ geprobt?

Anfang Oktober. 

Was gefühlt?

Gayle Tufts: Regisseur Frank Hilbrich ist fast und furchtlos – wir sind am ersten Probentag wahnsinnig schnell und intensiv in das Stück eingetaucht. Er hat das Prinzip meiner Eltern angewendet: „Liebe Gayle, rein ins Meer, du wirst schon nicht untergehen und schwimmen lernen.“ Wunderbar ist, dass die Menschen aus dem Cast aus so verschiedenen Welten kommen: Opernsänger:innen, Musicaldarsteller:innen, Tänzer:innen und ich vom Entertainment. Und wir sind alle sehr interessiert aneinander. Wir sind eine wilde Mischung, von der Herkunft her, der Erfahrung, dem Temperament und dem Alter. Wir sprechen viele verschiedene Sprachen, aber lachen sehr oft und viel und laut und spielen sehr gerne miteinander.

Bald ist Premiere „Hello, Dolly!“ und was sind da die Gefühle?

Gayle Tufts: Irgendwann vor der Premiere sind alle sehr nervös und dann muss ich sehr ruhig sein und mich konzentrieren. Und, ach, weißt du, das Publikum wird noch viel nervöser sein als ich: „Schafft sie das? Kann sie das?“ Aber was kann ich tun, außer meinen Job zu machen?

 

 

Veröffentlicht am 4. November 2022