Beseelte Objekte
Ein Gespräch mit der Schauspielerin und Künstlerin Nadine Geyersbach über ihre Installation In weiter Ferne von Hier, geführt von Dramaturgin Marianne Seidler.
Nadine Geyersbach ist seit der Spielzeit 2012/13 festes Ensemblemitglied am Theater Bremen. Auf der Bühne berührt sie nicht nur mit ihrer durch und durch und in jedem Augenblick intensiven Ausdrucksweise, sondern immer wieder auch mit eigens gebauten künstlerischen Objekten. Für den Bremer Kunstsatellit, der Bremer Künstler*innen in alle Welt bringt, hat sie 2019 im Rahmen des Internationalen Hans Christian Andersen-Festivals in Odense, Dänemark, eine Rauminstallation entworfen und gebaut, die nun erstmals in Bremen zu sehen ist.
Marianne Seidler: Am Theater Bremen bist du als Schauspielerin engagiert, immer wieder hast du aber für deine jeweilige Rolle oder sogar für ganze Inszenierungen auch Objekte entworfen und gebaut. Ich erinnere mich am stärksten an all die entrückten Masken, die du für die Schimmelreiter-Inszenierung gebaut hast. Sind es für dich zwei ganz verschiedene Vorgänge des Produzierens? Also der bildenden und der darstellenden Kunst? Ist der jeweilige Ausgangspunkt unterschiedlich?
Nadine Geyersbach: Ich bin absolut aus der darstellenden Kunst, auch bei dem was ich im Sinne der bildenden Kunst kreiere.
Du sagst, du bist immer darstellende Künstlerin, auch wenn du in diesem Fall nicht auf der Bühne stehst. Ist der Grund dafür, dass der Start einer jeden künstlerischen Arbeit immer eine Geschichte bleibt? Oder kann auch ein Objekt oder ein Raum am Beginn einer künstlerischen Arbeit stehen, und diese zieht dann gewissermaßen die Geschichte nach sich?
Nadine Geyersbach: Ja, bei dieser Arbeit war es schon beides. Diese schwarze Folie, aus der die Tiere gebaut sind, waren Teil des Bühnenbilds der Kohlhaas-Inszenierung am Theater Bremen. Damals habe ich schon gedacht, dass all das Material nicht einfach weggeworfen werden sollte. Ich habe es mir damals schon beiseite gelegt. Mich interessieren solche Materialien und Dinge, die einfach irgendwo unfreiwillig liegen bleiben, nicht weiter verwertet werden. Sie sollten noch eine neue Geschichte bekommen.
Neben den Tieren gibt es noch einen Raum. Der Raum bzw. die Räume, die du geschaffen hast, werden unterteilt in drei Zonen: den Vorraum, der experimentell ist, den dramatischen Hauptraum und dem virtuellen Nebenraum.Wie denkst du diese Räume?
Nadine Geyersbach: Es ist eine Geschichte, es ist wieder eine Geschichte. Ich glaube, ich kann nur Geschichten erzählen. Der erste Raum befindet sich außerhalb des Raumes. Von ihm aus kann man den Hauptraum von außen betrachten. Von dort aus kann man dank einer Vorrichtung auch beobachten, wie die Tiere hergestellt werden, die sich im Hauptraum befinden. Eine Art Arbeitsraum.
Und du baust die Tiere live?
Nadine Geyersbach: Immer wenn ein Tier rausgekommen ist, wenn es jemand mitgenommen hat, habe ich ein neues Tier in den Raum gebracht. Ich arbeite immer nach. Ergänze den Raum immer wieder um das Verlorengegangene.
Wie kamen diese Wesen, Geschöpfe, Tiere in den Raum?
Nadine Geyersbach: Diese Tiere, die entstanden sind, sind alle sehr verletzlich. Manchen fehlt etwas, manche sind nur fragmentarisch als Tiere zu erkennen. Und ich wusste schon, dass ich die Installation für das Hans Christian Andersen-Festival anfertige. Durch die starke Verbindung, die ich zu Märchen habe, war für mich klar, ich muss diese Wesen bauen, die ein Geheimnis haben.
Sind Märchen etwas zentrales für deine Kunst, dein Leben?
Nadine Geyersbach: Ich fürchte, ja (lacht). Märchen werden ja als kindlich erachtet, aber sie sind für mich in erster Linie ein Fluchtraum. Ein Ort, der weit weg sein kann von unserer Realität. Sie können gut ausgehen, die Wesen und Figuren und sogar Dinge können in Märchen beseelt sein.
In deiner Kunst scheint sich nicht nur immer eine Geschichte wiederzufinden, die Objekte bzw. das Material, mit dem du arbeitest, hat selbst auch schon Geschichte.
Nadine Geyersbach: Genau. Neben dem Material für die Tiere habe ich auch den Raum aus bereits genutztem Material gebaut. Ich habe gedacht, die Tiere müssen doch irgendwo sein, da habe ich die Wände auch am Theater Bremen gefunden und aus ihnen einen Raum gebaut. Die Tapete habe ich mir dann selbst ausgesucht. Das ist ja ein richtiges Träumchen-Zimmer, was die Tiere da haben. Tapete, keine Fenster. Alles ist dicht.
Sind die Tiere dort gefangen oder geschützt?
Nadine Geyersbach: Das ist ihr Raum. Ich muss sagen, für mich sind das richtige Wesen geworden. Während ich sie gebaut habe, wurden sie für mich immer wesen-artiger.
Gehst du bewusst nachhaltig vor oder inspirieren dich Dinge, die schon da sind, eine andere oder keine Funktion hatten, so sehr, dass die Nachhaltigkeit by the way passiert?
Nadine Geyersbach: Ich habe sehr großen Respekt vor neuen Sachen. Ich hätte mir nie vorstellen können, rollenweise schwarze Folie zu kaufen. Da habe ich auch großes Glück, dass am Theater ständig schon Verwertetes wieder entdeckt werden kann. Da fällt immer was ab. Da kann man immer was Neues machen.
Die Umstände lassen es nicht zu, dass du dem Publikum in Bremen das zeigen kannst, was du in Dänemark mit dem Raum gemacht hast, bzw. um die Menschen herum, die die Installation begehen. Was warst du dort? Und wie wird es in Bremen sein?
Nadine Geyersbach: In Dänemark war ich die Prinzessin, nein, sagen wir die Königin (lacht)! Dieses Mal bin ich als Nadine Geyersbach, Künstlerin und Gesprächspartnerin dabei an den Abenden.
Veröffentlicht im November 2020.
In weiter Ferne von hier.
Installation von Nadine Geyersbach
vom 11. bis 25. Oktober, Mittwoch bis Sonntag von 17 – 20 Uhr im Theater am Goetheplatz (Foyers) und nach telefonischer Vereinbarung unter 0170 5748389
Eintritt frei!
Kurator: Frank Laukötter
Projektleitung: Ursula van den Busch
Gefördert von: Der Senator für Kultur Bremen, Waldemar Koch Stiftung Bremen, Reidemeister und Ulrichs Stiftung Bremen
Unterstützt durch: Theater Bremen, BrücknerAping Büro für Gestaltung Bremen, Caspar Manufaktur, Haan-Gruiten, Dänisches Konsulat Bremen, Goethe-Institut Dänemark. In Kooperation mit dem Künstlerhaus Bremen