„Bitte schaut weiter hin!“
Iran ist ein Gefängnis: Parisa Fathi hat eine Rede in der Bremischen Bürgerschaft vor dem Ausschuss für die Gleichstellung der Frau zur Situation im Iran gehalten.
Sehr geehrte Frau Vorsitzende,
sehr geehrte Ausschussmitglieder,
mein Name ist Parisa Fathi und ich stehe hier als deutsch-iranische Mitbürgerin und Bremerin. Ich stehe hier, um den mutigen Menschen im Iran eine Stimme zu geben. Ich stehe hier, um Sie zu bitten, alles in Ihrer Macht Stehende zu tun, um die Protestierenden in meiner Heimat zu unterstützen, die nach über 40 Jahren der Unterdrückung für ihre Freiheit und die universellen Menschenrechte kämpfen.
Seit acht Wochen gehen die Menschen auf die Straße, obwohl sie um die Konsequenzen wissen: Sie können umgebracht, verhaftet, vergewaltigt, misshandelt und gefoltert werden. Dennoch lassen sie sich nicht einschüchtern. Es handelt sich nicht um vorübergehende Unruhen, sondern wir haben es mit einer historischen Frauenbewegung zu tun, der sich alle anderen Teile der iranischen Bevölkerung angeschlossen haben. Sie alle kämpfen für das Ende der islamischen Republik. Und das ist der Unterschied zu den Protesten, die es seit 1979 immer wieder im Iran gegeben hat. Heute handelt es sich um eine Revolution.
Die Proteste begannen am 16. September 2022 anlässlich des Todes der 22-jährigen Jina Mahsa Amini, die wegen eines angeblich falsch getragenen Kopftuchs von der Sittenpolizei festgenommen und umgebracht wurde. Ihre Ermordung hat das Fass zum Überlaufen gebracht und eine Bewegung ausgelöst, die nicht mehr zu stoppen ist.
Die Menschen kämpfen gegen willkürliche Verhaftungen, Hinrichtungen, systematische Vergewaltigungen, Diskriminierung, Bevormundung, Unterdrückung, Korruption, Hunger, Umweltverschmutzung, Misswirtschaft und Armut. Das Leben im Iran ist nicht lebenswert. Die Menschen wollen und können nicht mehr. Darum sind sie bereit, ihr Leben zu geben. Iran ist ein Gefängnis, in dem über 80 Millionen Menschen von einem terroristischen Regime in Unfreiheit gefangen gehalten werden.
Ich selbst habe in meiner Jugend diese Unfreiheit, die Unterdrückung, die Angst und die Willkür gespürt. Mitschülerinnen von mir wurden hingerichtet, weil sie regimekritische Auffassungen vertreten haben. Sie waren gerade 18 Jahre alt. Das geschieht seit über 40 Jahren im Iran.
In den letzten acht Wochen sind bislang über 400 Menschen getötet (darunter ca. 60 Kinder und Jugendliche) und fast 17.000 Menschen verhaftet worden, denen jetzt die Todesstrafe droht. Das Regime schießt aber nicht nur auf Protestierende, sondern wahllos auch auf Menschen, die sich in ihrer Nähe aufhalten. Beispielhaft möchte ich den 9-jährigen Kian erwähnen, der mit seinen Eltern im Auto in der Stadt Ize unterwegs war und durch Schüsse aus Maschinenpistolen getötet wurde. Sein Vater liegt schwer verletzt im Krankenhaus.
Dennoch gehen die Proteste weiter. Die Menschen im Iran wissen, dass sie dort keine Zukunft haben. Das Terror-Regime geht mit äußerster Brutalität gegen die eigene Bevölkerung vor. Die Videos, die mich über die Sozialen Netzwerke erreichen, sind kaum auszuhalten. Das Terror-Regime scheut vor nichts zurück. Seit dem Wochenende herrschen in der kurdischen Stadt Mahabad kriegsähnliche Zustände. Das Terror-Regime ist dort mit Panzern einmarschiert, hat nachts den Strom abgestellt und wahllos auf Häuser und Menschen geschossen.
Gleichzeitig nehmen die mutigen Menschen im Iran wahr, dass sie auf der ganzen Welt Unterstützung erfahren. Insbesondere die Exil-Iraner:innen sorgen dafür, dass z.B. Demonstrationen wie vor einigen Wochen in Berlin, als aus ganz Europa über 80.000 Menschen zu einer Solidaritätskundgebung mit den Protestierenden zusammen gekommen waren, im Iran sichtbar wurden. Aber dafür sorgen auch kleinere Aktionen wie die Demonstration vor zehn Tagen in Bremen oder ein Solidaritätsplakat, das an der Fassade des Theaters am Goetheplatz angebracht ist. Die Reaktionen meiner Familie, Freunde und Bekannten aus dem Iran ermutigen mich, auch von hier aus weiter zu machen. Sätze wie „Danke, Ihr seid toll!“, „Danke Euch und Euren europäischen Freunden, dass Ihr uns nicht vergesst!“, „Bitte schaut weiter hin!“ und „Lasst nicht zu, dass wir von der Außenwelt abgekapselt werden, wenn das Internet komplett blockiert wird!“.
Sie wissen also um unsere Unterstützung. Sie gibt ihnen Energie, Mut und Kraft – auch dadurch ist all das nur möglich. Und sie sind dankbar dafür, dass wir hinsehen.
Wir können uns dieser Revolution nicht verschließen, denn die Menschen im Iran kämpfen auch für unsere Werte: die Demokratie und die Grundwerte.
Ich bitte Sie als politische Entscheidungsträger: Setzen Sie sich dafür ein, dass das Terror-Regime im Iran politisch maximal geschwächt wird. Bitte sorgen Sie dafür, dass die Revolution weiterhin Gesprächsthema bleibt und Aufmerksamkeit erfährt. Unterstützen Sie die Demonstrationen auch deshalb, weil der iranische Staat den Weltfrieden bedroht. Er will den Staat Israel vernichten, unterstützt die Hamas in Palästina, führt Krieg im Irak und im Jemen und liefert Drohnen nach Russland, damit diese in der Ukraine gegen Menschen eingesetzt werden.
Aber auch wir Exil-Iraner:innen, die sich für Revolution und die Freiheit einsetzen, sind bedroht. So ist es zu Messerangriffen in Berlin gekommen, als vor der iranischen Botschaft Mahnwachen abgehalten wurden. Das Regime schreckt vor nichts zurück.
Morgen, am 24. November, befasst sich der UN-Menschenrechtsrat auf einer Sondersitzung mit der Lage im Iran. Das nehme ich zum Anlass, um das weltberühmte Gedicht des großen persischen Dichters Saadi zu zitieren, das sich gut lesbar auf der Eingangstür des UNO-Hauptgebäudes in New York befindet.
Wie Glieder sind die Menschen verbunden,
Als Teil des Ganzen für gleich empfunden,
Hat Schicksal ein Glied mit Schmerz versehen,
So auch die anderen vor Leid vergehen,
Wer kein Mitleid mit anderen kennt,
Ist unwürdig, dass man Mensch ihn nennt.
Zan Zengi Azadi
Jin Jian Azadi
Frau Leben Freiheit
Woman Life Freedom
Vielen Dank!
Freedom for Iran
Am Samstag, dem 26. November, findet von 12 bis 14 Uhr eine Kundgebung auf dem Goetheplatz statt, um auf die Menschenrechtsverletzungen im Iran hinzuweisen. Veranstalter ist das Kurdenzentrum e.V.
Die Rede wurde am 23. November in der Bremischen Bürgerschaft gehalten.
Die Autorin: Parisa Fathi wurde 1967 im Iran geboren und kam 1988 nach Deutschland, um hier Medizin zu studieren. Sie arbeitet als niedergelassene Augenärztin in Bremen.