„Es funktioniert wie ein Comic ohne Sprache“
Beim ersten Familienkonzert dieser Spielzeit geht es tierisch wild zu. Für die Zoofantasie erschafft die Künstlerin Cristina Lelli mit ihren Live-Animationen magische Bildwelten. Dramaturgin Caroline Scheidegger hat mit ihr gesprochen.
Caroline Scheidegger: Du und die Regisseurin Sarah Weinberg bringt als Familienkonzert #1 einen Klassiker auf die Bühne: Camille Saint-Saëns Der Karneval der Tiere. Ihr habt euch ganz bewusst entschieden, das Stück nicht als Konzert mit eine:r Erzähler:in zu machen, sondern eine ganz eigene Geschichte zu erzählen.
Cristina Lelli: Ja, uns war es sehr wichtig, den Karneval der Tiere mit einem Thema zu verbinden, das spielerisch ist und das etwas mit unserer Zeit zu tun hat – mit Umwelt, mit Tierschutz. Und so kamen wir auf die Idee, unseren Karneval in einen Zoo zu verlegen, in dem die Tiere sich mit der Hilfe einer Ratte, die in alle Gehege schlüpfen kann, aus ihren Käfigen befreien. Die Tiere und ihre Sehnsucht nach Freiheit haben uns interessiert, was natürlich auch ein Bild sein kann für Menschen, die sich unter Druck fühlen oder die in ihrer Lebenssituation gefangen sind.
Du arbeitest mit Overhead-Projektoren und Objekten, die du zur Musik bewegst. Welche Materialien verwendest du?
Erstmal experimentiere ich einfach herum und suche objekt- oder bildhafte Übersetzungen für die Themen, die ich oder wir uns ausgedacht haben. Ich habe auch ein Repertoire an Objekten, die gut funktionieren und die ich immer wieder verwende. Glühbirnen, Spitzenstoffe oder Sachen, die meine Mutter gehäkelt hat, also Dinge, die eine interessante Form und Kontur haben. Oder die durchsichtig sind, wie Lichtfilter und Folien, selbstgemachte Zeichnungen. Oder auch Flüssigkeiten, ich arbeite viel mit Tinten. Beim Karneval der Tiere setze ich auch Scherenschnitte ein, das habe ich bisher noch kaum gemacht.
Neben Nadine Geyersbach als Ratte und Guido Gallmann als Zoowärter sind deine Projektionen die Hauptakteure. Wie schaffst du es, dass deine Bilder nicht nur Illustrationen bleiben, sondern wirklich zur Erzählerin werden?
Erstmal sind es nur Objekte, Zeichnungen. Aber dadurch, dass ich sie live bewegen kann, kriegen sie ein Eigenleben. Es funktioniert wie ein Comic ohne Sprache. Ein Bild folgt auf das nächste, manchmal sind sie logisch, manchmal nur assoziativ verbunden. Und dann gibt es auch Interaktionen zwischen den Projektionen und den Spieler:innen: Nadine Geyersbach schneidet zum Beispiel ein Loch in einen projizierten Zaun, woraufhin ich das Bild dann verändere.
Lassen sich über die Live-Projektionen auch Emotionen transportieren?
Ja, auf jeden Fall. Ich glaube, da spielt die Verbindung mit der Musik eine große Rolle, weil sie eine sehr starke Emotionsträgerin ist. Die Musik hat eine große Kraft, gerade bei diesem Konzert. Und die Kunst besteht darin, mich sehr genau mit ihrer Dynamik und ihrem Rhythmus zu verbinden und meine Projektionen in und mit ihr zu bewegen.
Der Karneval der Tiere ist eine Abfolge von musikalischen Tierporträts. Hast du einen Favoriten?
Die Käuzchen, die bei Saint-Saëns eigentlich ein Kuckuck sind. Ich fand, der Kuckuck sieht als Vogel ein bisschen langweilig aus und so haben wir ihn durch Käuzchen ersetzt. Die Fossilien sind bei uns kleine Krebse, die mag ich auch. Das sind so Krawallkrebse, die mit ihren Scheren Röhren zerschneiden.
Du und Sarah Weinberg habt schon beim Familienkonzert Atlantis und Mauricio Kagels Zählen und Erzählen zusammengearbeitet und ihr seid mittlerweile als Duo eng zusammengewachsen. Beides waren keine fertigen Stücke mit einer vorgegebenen Handlung, sondern ihr habt sie gemeinsam entwickelt. Auch beim Karneval der Tiere erfindet ihr frei. Wie geht ihr vor?
Wir treffen uns, machen die Musik an und ich beginne mit Objekten zu improvisieren. Dann steigt Sarah ein und erfindet quasi beim Sprechen Szenen und Teile der Geschichte, auf die ich dann wieder reagiere. Wir erfinden und überlegen gemeinsam, sie inspiriert mich und ich inspiriere sie.
Bevor du zu den Karneval-Proben nach Bremen gekommen bist, warst du in Taiwan. Was hast du dort gemacht?
Ich hatte dort ein Gastspiel mit einem Tanzstück einer deutsch-taiwanesischen Kompanie. Und da ich zwei Wochen vor Ort war und noch freie Zeit hatte, dachte ich, ich könnte parallel mit meinen Live-Projektionen durchs Land touren. Mein transportabler Projektor wiegt nur vier Kilogramm und passt in meinen Reiserucksack, und die Projektionsobjekte habe ich im Koffer transportiert. Verschiedene Veranstalter:innen, die ich angeschrieben habe, vernetzten mich mit Musiker:innen vor Ort. Schließlich habe ich vier Konzerte gegeben: eins mit Klavier, Geige und Kehlkopfgesang, die anderen drei mit elektronischer Musik.
Hattest du die Musik im Vorfeld schon mal gehört? Oder hast du während der Konzerte einfach improvisiert?
Zum Teil hatte ich die Musik schon mal gehört, zum Teil habe ich völlig spontan dazu projiziert. Eine Dramaturgie hatte ich aber schon vorher im Kopf. Ich halte mich an eine Abfolge von Bildern, aber innerhalb jedes Bildes agiere ich frei, improvisiere und gehe mit der Musik mit. In Taiwan habe ich meine Arbeit in vier unterschiedlichen Städten gezeigt und ich hatte für jede Stadt einen Stadtplan gemalt, der sich dann im Laufe der Performance aufgelöst hat und durch Wasser, durch Natur ersetzt wurde. Meine Themen waren schon immer Natur, Naturschutz und posthumane Welten. Wie verhalten sich Natur und Mensch? Wie stehen sie zueinander? Und was kommt, wenn der Mensch eines Tages vielleicht nicht mehr da ist?
Veröffentlicht am 6. Dezember 2024