„Different, but together“
Dramaturgin Frederike Krüger über die Geschichte des Internationalen Frauentags und die Frage, warum „Feministischer Kampftag“ heute ein guter Name dafür ist.
8. März – Internationaler Frauentag, Weltfrauentag, Frauenkampftag, feministischer Kampftag, Rabatte, Rabatte, Rabatte, rote Nelken, rosa Herzen, 24-Stunden-Power-Hits von Power-Frauen, because „You’re simply the best“! Der 8. März: Tag des Erinnerns, des Feierns oder des Kämpfens?
Schauen wir doch mal hin.
Der Internationale Frauentag hat seine Ursprünge in der Arbeiterinnenbewegung von der Mitte des 19. Jahrhundert bis zum 20. Jahrhundert. Ausschlaggebend für die Formierung organisierter Arbeitskämpfe waren Demonstrationen und Streiks von Textilarbeiterinnen in den USA seit 1858. Auch wenn es zur gleichen Zeit an unterschiedlichen Orten ähnliche Bewegungen gab, die als ein Gründungsmoment des Internationalen Frauentags gelten, so sind es jedoch vorrangig Frauen (und Kinder) der Arbeiterklasse gewesen, die gegen unzumutbare Wohn- und Lebensbedingungen, strukturelle Ungerechtigkeit und Diskriminierung und für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen kämpften. 1909 streikten 20.000 Näherinnen in New York, Tausende wurden verhaftet, blieben jedoch wehrhaft. Mit Erfolg: Nach zweimonatigem Stillstand mussten die Unternehmen den Forderungen nachgeben.
Nordamerikanische Arbeiterinnen begingen bereits am 20. Februar 1909 einen nationalen Frauentag.
Ein Jahr später in Kopenhagen: Die Zweite Internationale Sozialistische Frauenkonferenz, an der mehr als 100 Delegierte aus 17 Ländern zusammenkamen, beschloss auf Initiative der Sozialistin Clara Zetkin („Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ohne Unterschied des Geschlechts.“) die Einführung eines jährlichen Internationalen Frauentages. Der erste internationale Frauentag fand am 19. März 1911 in Dänemark, Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA statt. Die Forderung: Das aktive und passive Wahlrecht für Frauen. Mehr als eine Million Frauen gingen auf die Straße, eine bis dahin beispiellose Massenbewegung. In den folgenden Jahren schlossen sich Frauen in weiteren Ländern dem Kampf um Gleichberechtigung an. Am 8. März 1917 traten in der russischen Hauptstadt Petrograd Textilarbeiterinnen in den Arbeitskampf, andere Betriebe zogen nach, so dass schließlich 90.000 Menschen streikten. Am 12. März mündete diese Unzufriedenheit in einen Aufstand; in Folge dieser sogenannten Februarrevolution dankte der russische Zar ab und eine provisorische bürgerliche Regierung übernahm die Staatsführung. You go, girl!
Aufgrund der epochalen Bedeutung dieses Ereignisses wurde der Internationale Frauentag auf den 8. März gelegt.
1921 wurde auf der Zweiten Internationalen Konferenz kommunistischer Frauen in Moskau der 8. März als internationaler Gedenktag eingeführt, ein Jahr später wurde der Internationale Frauentag erstmals in verschiedenen Ländern einheitlich begangen und 1975 von den Vereinten Nationen institutionalisiert. Im vereinten Deutschland wird der Internationale Frauentag seit 1993 von Frauen unterschiedlicher politischer Richtungen begangen, vor allem beim „Frauenstreiktag“ am 8. März 1994 erlebte er ein Comeback und seitdem Jahr für Jahr ein neues. Die Akteur:innen kommen nach wie vor aus unterschiedlichen Richtungen, sind in unterschiedlichen Gruppierungen organisiert. So verschieden wie die Beteiligten sind auch ihre Themen und Forderungen. Die Hauptforderung von 1911 – das Wahlrecht für Frauen – ist erfüllt. Und wie steht es sonst um Gleichberechtigung der Geschlechter und Emanzipation?
Anfang 2022 hatten 49 von 193 UN-Mitgliedstaaten keine Gesetze, die Frauen vor häuslicher Gewalt schützen.
In 18 Ländern können laut einer Studie der Weltbank aus dem Jahr 2022 Ehepartner ihren Frauen verbieten, einer Lohnarbeit nachzugehen. Frauen und Mädchen werden strukturell benachteiligt, wenn es um den Zugang zu Bildung geht. Gewalt, in unterschiedlichen Formen, gehört für viele Frauen weltweit zum Alltag, darunter die gezielte Abtreibung weiblicher Föten sowie Frauenhandel. Laut Vereinten Nationen leiden mindestens 200 Millionen Frauen unter den Folgen einer Genitalverstümmelung. Jedes Jahr sind mehr als vier Millionen Menschen in Gefahr, diese Art von Gewalt zu erfahren. Sexualisierte Gewalt wird systematisch als Waffe eingesetzt, sie ist Teil nahezu aller Art bewaffneter Konflikte und Kriege, was seit den Massenvergewaltigungen in Bosnien-Herzegowina in den 1990er Jahren verstärkt in der Öffentlichkeit und Politik anerkannt wird. Derzeit wird sexualisierte Gewalt insbesondere angesichts des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine wahrgenommen und thematisiert. Laut einem aktuellen UN-Bericht hat die Terrororganisation Hamas „aller Wahrscheinlichkeit nach“ sexualisierte Gewalt bei ihrem Überfall auf Israel eingesetzt. Eine weitere Form von Gewalt gegen Frauen sind Femizide, die Ermordung einer Frau aufgrund ihres Geschlechts.
Weltweit gibt es alle elf Minuten einen Femizid.
In vielen Ländern der Welt werden die reproduktiven Rechte von Frauen, wie sie von den Vereinten Nationen 1994 formuliert wurden, nicht hinreichend beachtet. Zu ihnen gehört etwa das Recht auf ein selbstbestimmtes Sexualleben, Aufklärung und Zugang zu Verhütungsmitteln sowie das Recht auf Gesundheitsvorsorge für eine sichere Schwangerschaft und Geburt. In mehreren Ländern wurden die Möglichkeiten für einen Schwangerschaftsabbruch in jüngster Zeit massiv eingeschränkt.
Und in Deutschland?
Hier sind Frauen gesetzlich gleichgestellt, es gibt aber nach wie vor strukturelle Benachteiligung. Die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern, die sogenannte „Gender-Pay-Gap“, lag im Jahr 2023 laut Statistischem Bundesamt bei 18 Prozent. 2021 betrug der Anteil der Frauen in den Aufsichts- bzw. Verwaltungsräten der 200 größten deutschen Firmen bei ca. 31 Prozent. Im Deutschen Bundestag liegt der Frauenanteil in der laufenden Legislaturperiode bei rund 35 Prozent. Im weltweiten IPU-Ranking liegt Deutschland damit beim Frauenanteil in den nationalen Parlamenten auf Patz 45 von 188. In Deutschland gibt es verschiedene Kennziffern, die den Stand der Gleichstellung anzeigen. Neben der bereits genannten Gender-Pay-Gap gibt es noch die Gender-Care-Gap. Diese zeigt den unterschiedlichen Zeitaufwand, den Frauen und Männer für unbezahlte Sorgearbeit aufbringen: sämtliche Arbeiten im Haushalt und Garten, Pflege und Betreuung von Kindern und anderen Angehörigen sowie ehrenamtliches Engagement und unbezahlte Hilfen für andere Haushalte. Diese Gender-Care-Gap beträgt aktuell 43,8 Prozent.
Umgerechnet sind das täglich 77 Minuten, die Frauen mehr für unbezahlte Sorgearbeit leisten als Männer.
So verbringen Männer pro Woche knapp 21 Stunden und Frauen knapp 30 Stunden mit unbezahlter Sorgearbeit. Zeit, die Frauen für ihre Erwerbsarbeit fehlt, womit ihre beruflichen Chancen, ökonomische Eigenständigkeit und letztlich auch ihre Alterssicherung erheblich gefährdet sind.
Gewalt gegen Frauen ist auch in Deutschland verbreitet und alltäglich, sie zieht sich durch alle sozialen Schichten und jede Altersklasse.
Frauen sind vor allem von zwei Formen der Gewalt betroffen: sexualisierte Gewalt und Gewalt durch intime Partner oder Ex-Partner. Jede dritte Frau wird mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von physischer oder sexualisierter Gewalt. Jede vierte Frau in Deutschland hat schon Erfahrungen mit Partnergewalt gemacht. Die Hälfte der Tötungsdelikte an Frauen wurden von einem Partner oder Ex-Partner ausgeübt. Jeden dritten Tag wird ein Femizid in Deutschland versucht oder durchgeführt. Mädchen und Frauen mit Behinderung sind je nach Gewaltform zwei- bis dreimal häufiger betroffen als der Bevölkerungsdurchschnitt.
Der 8. März – ein Grund zum Feiern? Weltfrauentag oder feministischer Kampftag?
Damals wie heute ist der 8. März ein Tag, um gegen bestehende Machtungleichheiten und diskriminierende patriarchale Strukturen zu kämpfen und sich als feministische Bewegung zu solidarisieren. International und intersektional. Letzteres bedeutet, die Lebensrealität von Personen anzuerkennen, die von unterschiedlichen Diskriminierungsformen, die sich gegenseitig beeinflussen oder sogar verstärken können, gleichzeitig betroffen sind. Denn die Perspektiven und Positionen innerhalb der feministischen Bewegung haben sich in den letzten Jahrzehnten ebenfalls weiterentwickelt, was sich zwangsläufig auch im Vokabular widerspiegelt. Mit dem Begriff „feministischer Kampftag“ drückt sich dieser Veränderungswille und die damit verbundene Erkenntnis, dass es am 8. März (und besser noch an allen 365 bis 366 Tagen im Jahr) um die Bekämpfung eines Systems geht und nicht ausschließlich um die Rechte einer bestimmten marginalisierten Gruppe. Denn unter den patriarchalen Strukturen und ihren Folgen, von denen einige in diesem Text beispielhaft erwähnt wurden, leiden nicht nur Frauen und Mädchen, sondern alle FLINTA*-Personen (cis Frauen, also Frauen, deren Geschlechtsidentität dem Geschlecht entspricht, das ihnen bei der Geburt zugeschrieben wurde, Lesben, inter*, nicht binäre, trans*, agender und weitere Personen). Sie alle sind von patriarchalen Strukturen, stereotypen Geschlechterrollen und der daraus hervorgehenden Diskriminierung betroffen. Statistiken, die nicht von einem binären Geschlechtersystem ausgehen, gibt es bisher nicht.
Am 8. März sollte es also darum gehen, Kämpfe zu verbinden, um feministische Wut kollektiv herzustellen und sich zu solidarisieren.
Nur so können politische Verhältnisse fundamental verändert werden. Veränderungen, von denen übrigens auch Männer profitieren würden. Denn das Patriarchat beschert den meisten Männer ein verkürztes, stressiges und schlechtes Leben, wie die Statistiken zeigen. So sterben Männer weltweit signifikant öfter an Suizid, Unfällen, Gewalt, Krebs, Alkohol oder Drogenmissbrauch, Mord und Risikoverhalten. In Deutschland sind über 60 Prozent aller Notfallpatient:innen, 80 Prozent aller Suizierenden, 80 Prozent aller Suchtkranken und über 90 Prozent aller Häftlinge in Strafanstalten männlich. Boy, oh Boy!
„Ich bin nicht frei, solange noch eine einzige Frau unfrei ist, auch wenn sie ganz andere Fesseln trägt als ich“
Das sagte Audre Geraldine Lorde, eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen Aktivistinnen des 20. Jahrhunderts. Sie hielt all jenen den Spiegel vor, die aus ihrer privilegierten Perspektive heraus argumentierten und agierten und forderte zornig und kämpferisch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Unterschiedlichkeit und eine Solidarität über Hautfarbe, Klassenunterschiede, Alter und sexuelle Orientierung hinweg.
„Different, but together“ war ihr Postulat, sollte es heute noch sein. Am 8. März und immer.
Veröffentlicht am 7. März