Ein kleines Haus blickt in die große weite Welt

Das Bremer Theater 11 und sein Festival Kultur on tour zu Gast am Theater Bremen. Von Simone Sterr

Seit 2013 gibt es das Festival Kultur on tour. Seither kommen jedes Jahr im Januar sechs bis acht Theatergruppen, vornehmlich aus Osteuropa, aber auch aus den Niederlanden, aus Italien oder Frankreich nach Bremen, um hier internationales Theater aus aller Welt zu zeigen. Junge, professionell angeleitete Amateurschauspieler*innen treten mit ihren Produktionen auf, tauschen sich aus, nehmen an Workshops teil. Eine Jury begleitet das Festival, gibt Feedback und verteilt anerkennende Preise.

Welche Geschichten, welche Vorlagen bestimmen deinen Blick?

An oberster Stelle aber steht die Begegnung, die Diskussion, der Diskurs zwischen den Kulturen, steht die internationale Gemeinschaft, die über die Begeisterung für das Theater gestiftet wird. Was bedeutet es als junger Mensch Theater zu machen? Welches Verhältnis hast du zu den Traditionen, den Konventionen, der Kultur deines Landes? Welche Geschichten, welche Vorlagen bestimmen deinen Blick und was ist deine eigene Idee vom Theater jetzt, heute, in deinem Land, in deiner Sprache? Welche Sprachen prägen dich und welche Sprache möchtest du auf der Bühne sprechen? Welchen Ausdruck möchtest du wählen für die Geschichten, die dich umtreiben?

Kira Petrov: warmes Herz, glühende Streiterin und kühle Managerin des Projekts

Die Fragen, die sich die jungen Theatermacher*innen stellen, gleichen sich. Die Antworten sind vielfältig. Und diese Vielfalt feiert das Festival Kultur on tour fünf Tage lang. Auf die Beine stellt es ein klitzekleines Theater aus Bremen, das Theater 11. Kaum findet man den Eingang zur ehemaligen Diskothek in der Faulenstraße 11, die dem Theater seinen Namen gibt. Ist man einmal drin, entdeckt man einen liebevoll hergerichteten Bühnen- und Zuschauerraum, der ca. 80 Plätze fasst, dahinter einen noch kleineren Proberaum, an den sich der wohl kleinste Theaterfundus der Welt anschließt und ein Büro mit drei dicht aneinander gedrängten Arbeitsplätzen. An einem sitzt Kira Petrov, in Moskau ausgebildete Regisseurin, Schauspielerin und Musicaldarstellerin. Sie hat das Theater 11 gegründet, ist warmes Herz, glühende Streiterin und kühle Managerin des Projektes. Hervorgegangen ist das Theater 11 aus dem Verein „Integration durch Kunst e.V.“ Die Idee: Sprachförderung, Persönlichkeitsstärkung, lebendige Integrationsarbeit und kreative Bildung für Kinder- und Jugendliche aus migrantischen Familien kann nicht nur in den Kursen geleistet werden, die der Verein im Projekt KINDER WISSEN SCHULE (KIWI-Schule) anbietet und in denen derzeit 100 Kinder- und Jugendliche betreut werden, sondern entsteht im gemeinsamen Theatermachen. Die meisten der Mitwirkenden haben einen russischen oder osteuropäischen Hintergrund. Im Theater 11 wird viel russisch gesprochen. Auf der Bühne finden Aufführungen in russischer und deutscher Sprache statt.

Castings gibt es keine. Jede*r, der oder die Energie und Engagement mitbringt, soll und darf mitmachen.

So entwickelte sich das Theater 11 zu einem Ort, an dem diverse Stadtkultur gelebt und integrative Jugendarbeit gemacht wird. Zahlreiche Theaterkurse für alle Altersklassen werden angeboten, die kleine Bühne bietet die Möglichkeit, Ergebnisse zu präsentieren und vor Publikum auszuprobieren. Unter der Anleitung von professionellen Regisseur*innen werden Theaterstücke zur Aufführung gebracht, Stücke und Projekte selbst entwickelt. Castings gibt es keine. Jede*r, der oder die Energie und Engagement mitbringt, soll und darf mitmachen. Das ist die Philosophie der künstlerischen Leiter*innen der Projekte. Niemand darf ausgeschlossen werden. Es ist die Aufgabe der Regisseur*innen mit dem zu arbeiten, was die Jugendlichen mitbringen und daraus die bestmögliche Aufführung zu erarbeiten. Zwei der so entstandenen Arbeiten sind auch beim diesjährigen Festival Kultur on tour zu sehen: das nonverbale Clownsstück AUTSCH für Kinder und Erwachsene und eine Version von Jugend ohne Gott nach Ödön von Horvaths Roman, dargestellt von Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren, die diese Geschichte ganz aus ihrer Perspektive, ohne die eigentliche Hauptrolle, den Lehrer, erzählen. Sicher eine spannende Ergänzung zur Inszenierung, die seit Kurzem als Koproduktion mit dem Schauspiel im MOKS auf dem Spielplan steht. Nicht die einzige Verbindung, die sich zwischen dem Theater 11 und dem Theater Bremen erkennen lässt.

Dieses Jahr soll nicht nur die Begegnung zwischen den Akteur*innen groß geschrieben werden, sondern auch die mit dem Publikum.

In der Spielzeit 2017/18 kooperierten die beiden Theater in der Produktion Scherbenpark. Seither ist der „big player“ Theater Bremen mit dem kleinen Projekt freundschaftlich verbunden. Und so gehen die Türen des Kleinen Hauses auch in diesem Jahr wieder weit auf für Kultur on tour, für ein kleines aber feines Theater der Welt mit Gruppen aus Russland, Weißrussland, der Ukraine, der Tschechischen Republik und aus Italien. Und dieses Jahr soll nicht nur die Begegnung zwischen den Akteur*innen groß geschrieben werden, sondern auch die mit dem Publikum. Nach jeder Aufführung gibt es die Möglichkeit zum Gespräch.