Ein Licht geht um die Welt – für alle, die uns fehlen
Ein Gespräch mit der Bestatterin und Trauerbegleiterin Monika Fischer anlässlich des Worldwide Candle Lighting Day, geführt von der Dramaturgin Regula Schröter.
Jedes Jahr am zweiten Sonntag im Dezember ist der Worldwide Candle Lighting Day, der Weltgedenktag für alle verstorbenen Kinder. Du hast dich als Bestatterin auf Abschiede und Beisetzungen von Kindern spezialisiert. Wie kam es dazu?
Monika Fischer: Der Tod meiner Eltern war es, der mir vor einigen Jahren sehr deutlich machte, wie gut oder weniger gut man in einer Verlustsituation begleitet werden kann. Bei meinem Vater hatte ich nur die Wahl des Sarges und der Urne. Anderthalb Jahre später, beim Tod meiner Mutter, bezog mich der Bestatter vollumfänglich mit ein und zeigte mir alle Möglichkeiten eines besonderen Abschiedes auf. Darauf hin beschloss ich Trauerbegleiterin zu werden, um Menschen in Trauer und Ausnahmesituationen zu unterstützen. Ich bin zunächst stundenweise eingestiegen und habe es mir zur Aufgabe gemacht, diese verschiedenen Möglichkeiten bekannt zu machen. Neben Bestattungen erwachsener Menschen begann ich, besondere Abschiede für Eltern von Kindern und Sternenkindern, oder für Kinder, die jung einen Elternteil verlieren, zu begleiten. Es gibt wenige Bestatter:innen, die sich auf Abschiede von Kindern spezialisiert haben. Wenn ein Kind vor seinen Eltern stirbt, empfinden wir das immer als falsche Abfolge. Der Trauerprozess ist besonders schwer und komplex. Die Eltern müssen ein Leben lang einen Weg für diese Trauer finden. Es trauern neben den Eltern oft auch Geschwisterkinder und Großeltern, wobei letztere zusätzlich in der Situation sind, mit der Trauer ihrer eigenen Kinder zurecht zu kommen. Es braucht umfangreichere Angebote für alle Betroffenen. Deshalb habe ich mich des Themas angenommen und sehr schnell für mich festgestellt, wie sinnstiftend und schön ich diese Arbeit finde. Die Aufgabe hat mich gefunden. Sie ist eine Herzensangelegenheit für mich.
Welche unterschiedlichen Rollen kannst du in einem Trauerprozess einnehmen?
Trauerprozesse verlaufen sehr indiviuell. Aus meiner Sicht ist es ganz wichtig, die Eltern umfassend über die unterschiedlichen Möglichkeiten von Bestattungen und Abschieden zu informieren und ihnen ihre Ängste zu nehmen. Es kann helfen, sie aktiv einzubinden und gemeinsam ins Handeln zu kommen, damit eine Trauerarbeit beginnen kann. Mir ist sehr wichtig, dass die Eltern jeden Schritt kennen und immer wissen, wo ihr Kind gerade ist. Das erleichtert viele Eltern und ermöglicht ihnen, ihr Kind zu begleiten. Ich versuche zudem einen Raum zu schaffen, um Abschied von dem Kind zu nehmen und mit allen Familienmitgliedern gemeinsame Erinnerungen zu schaffen, ganz in Ruhe. Bei mir dürfen sie alles: Sie dürfen wütend sein und sie dürfen ihre Ohnmacht zeigen, sie dürfen aber auch lachen und ihr Leben ein Stück weitergehen – das kann sehr entlastend sein. Denn auch Trauernde können nicht rund um die Uhr nur traurig sein – zum Glück nicht –, aber die wenigsten trauen sich, auch diese Seite zu leben und beispielsweise mit einem Geschwisterkind Freude zu empfinden oder etwas Schönes zu unternehmen. Häufig nehme ich auch eine Vermittlerinnenposition zwischen den Eltern ein: Menschen trauern sehr unterschiedlich. Ich übersetze manchmal regelrecht zwischen den Partner:innen, damit sie auch als Paar weitermachen können und nicht Gefahr laufen, zu bewerten, wer „richtiger“ oder mehr trauert als der oder die andere. Und ich packe den Eltern so etwas wie einen Erste-Hilfe-Kasten mit Informationen, die sie für sich nutzen können, wenn die Zeit dann reif ist. Denn nicht alles ist sofort dran. Für meine Arbeit ist außerdem ein großes Netzwerk wichtig: Dazu gehört zum Beispiel, dass ich eine spezialisierte Hebammen-Begleitung für Sternenmütter und Reha-Kliniken für verwaiste Eltern empfehlen oder den Kontakt zu Trauergruppen und Vereinen herstellen kann. Die Familien können sich auch lange nachdem das Kind beigesetzt ist, bei mir melden, wenn es Fragen gibt oder wenn sie Trauerbegleitung wünschen.
Der Name Worlwide Candle Lighting Day bezieht sich auf den Brauch, an diesem Tag überall um 19 Uhr Ortszeit brennende Kerzen zum Zeichen des Gedenkens in die Fenster zu stellen. Dadurch wird das Licht des Kerzenscheins durch alle Zeitzonen einmal um die Welt getragen. Was bedeutet dir dieser Tag?
Den Gedanken, dass sich die Eltern miteinander verbinden und eine Lichtwelle um die Welt geht, finde ich wunderschön. Dafür ist dieser Tag sehr wichtig, auch, weil er Sichtbarkeit schafft. Ich bin ehrenamtliches Mitglied der Sterneneltern Achim e. V. und dort begehen wir den Tag schon immer. Wir verlesen die Namen der Kinder, die wir begleitet haben und es werden Kerzen angezündet. Häufig haben wir auch Musik oder es gibt Waffeln und Getränke – wir sind an dem Tag einfach miteinander. Zusammen. Inzwischen wird der Tag wirklich weltweit begangen.
Als betroffene Sternenmutter weiß ich, dass du auch Abschiede und Bestattungen von Sternenkindern anbietest. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, du bist eine Aktivistin, die sich in Bremen und bundesweit für die Sichtbarkeit und Rechte von Sternenkindern und ihren Familien einsetzt.
„Sternenkinder“ ist eine Bezeichnung für Kinder, die während der Schwangerschaft, bei der Geburt oder kurz nach der Geburt sterben. Ich stamme aus der Zeit, in der wenig über Sternenkinder gesprochen wurde und glücklose Schwangerschaften von Ärzt:innen und zum Teil auch vom persönlichen Umfeld kleingeredet wurden. Ich weiß, dass insbesondere Mütter, die das ertragen müssen, häufig sehr lange darunter leiden. Deshalb kämpfe ich seit Jahren dafür, dass auch die Kleinsten einen Namen und den richtigen Platz bekommen und ihre Eltern die Chance auf besondere Hilfe und Unterstützung haben.
Hat sich der gesellschaftliche Umgang mit der Trauer von Sterneneltern in den letzten Jahren verändert?
Wenn ich die zehn Jahre zurückgehe, in denen ich im Kinderbereich aktiv bin, hat sich definitiv etwas verändert. Es gibt inzwischen mehr Selbsthilfegruppen und Vereinigungen – und trotzdem sind noch ganze Landstriche unterversorgt. Viele Verbände und Vereine haben Aufklärungsarbeit geleistet, das zahlt sich langsam aus. Wir vom Verein Sterneneltern Achim e. V. schulen zum Beispiel Klinikpersonal, wir sind aber auch in den Medien aktiv und sichtbar. Das Thema Sternenkinder wird weniger tabuisiert und hat mehr Sichtbarkeit erfahren, was unter anderem daran liegt, dass immer mehr betroffene Prominente damit in die Öffentlichkeit gehen. Aber auch auf der Gesetzesebene bewegt sich etwas: Ein Elternpaar hat eine Erweiterung des Paragrafen 31 im Personenstandsgesetz durchgesetzt. Dieser besagt, dass für fehlgeborene Kinder, also für Kinder unter 500 Gramm und vor der 24. Schwangerschaftswoche, beim Standesamt eine Art Existenzbescheinigung beantragt werden kann und dass diese Kinder einen Namen bekommen können. Ich selbst habe mich in Bremen schon für Gesetzesanpassungen eingesetzt, so dass inzwischen alle Eltern ein Bestattungsrecht für ihr Kind haben, unabhängig davon, in welcher Schwangerschaftswoche das Kind geboren wurde. Es hat sich einiges verändert, aber es gibt noch viel zu tun.
Was wünschst du dir für die Zukunft?
Ich wünsche mir für die betroffenen Familien, dass sie jede Unterstützung bekommen, die sie brauchen: Das fängt bei geschulten Gynäkolg:innen und Mitarbeitenden auf den geburtshilflichen Stationen an, denn in der Realität sind viele von ihnen überfordert. Wir wissen, dass häufig zu wenig Personal da ist, dadurch ist der Druck bei der Arbeit sehr hoch. Und man darf auch nicht vergessen, dass auch im Krankenhaus Betroffene arbeiten. Von der Politik wünsche ich mir ebenfalls Unterstützung, zum Beispiel in einer Frage, die ich bereits angeregt habe: Ich finde, dass Eltern, die ein minderjähriges Kind gehen lassen müssen, auf einfache Weise finanzielle Entlastung bekommen sollten, das gesetzliche Sterbegeld wurde ja vor vielen Jahren abgeschafft. Und ich wünsche mir, dass Selbsthilfegruppen und Vereine staatlich unterstützt werden. Aktuell funktioniert das alles auf Spendenbasis. Das ist sehr kurz gedacht: Es wird leider nicht gesehen, dass begleitete Sterneneltern viel seltener Therapie in Anspruch nehmen – die die Krankenkasse dann ja bezahlen müsste. Mutterschutz für Mütter von Fehlgeborenen fehlt gänzlich. Und was auch fehlt, ist ein Vaterschutz für Väter von Sternenkindern: Sie müssen sofort wieder arbeiten. Sie haben nur die Möglichkeit, sich krankschreiben zu lassen; obwohl sie nicht krank sind, sondern in Trauer.
Monika Fischer, Bankkauffrau, arbeitet als Bestatterin für Kinder und Erwachsene bei Henning Bestattungen in der Bremer Neustadt.
Am Theater Bremen gibt es am Sonntag, dem 8. Dezember – am Worldwide Candle Lighting Day – eine Soundinstallation in der Hörbar (noon / Foyer Kleines Haus), die zwischen 16 und 21 Uhr jederzeit begehbar ist. In ruhiger Atmosphäre sind dort über Kopfhörer literarische Texte zu hören, die sich mit dem Verlust eines Kindes und dem Umgang mit der Trauer beschäftigen. Das Schauspielensemble hat dafür u. a. Texte von Han Kang, Tove Ditlevsen, Else Lasker-Schüler, Rose Ausländer und Emily Dickinson eingesprochen.
Veröffentlicht am 6. Dezember 2024