Für uns ist jeder Tag ein feministischer Kampftag
Im Autonomen Bremer Frauenhaus finden Frauen und Kinder, die von Gewalt betroffen sind, Schutz. Die Dramaturgin Frederike Krüger hat zwei Mitarbeiterinnen des Hauses zum Gespräch getroffen.
Die Namen der Mitarbeiterinnen wurden von der Redaktion geändert.
Was bedeutet der 8. März für euch?
Eliza: Für uns ist jeder Tag Weltfrauentag und ein feministischer Kampftag. Wir sind jeden Tag mit Frauen konfrontiert, die von Gewalt betroffen sind und kämpfen müssen.
Gleichzeitig bietet so ein Tag auch die Gelegenheit, den Fokus bewusst auszurichten und diese Thematik unter ein Brennglas zu stellen.
Lana: Ja, wir wünschen uns, dass die Gesellschaft an diesem Tag besonders auf uns schaut und auch für uns auf die Straße geht. Dass viele Leute mit Herzblut an uns denken, auch wenn es nur an diesem Tag ist.
Was braucht es, für einen anderen gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema Gewalt gegen Frauen?
Lana: Das Bewusstsein, dass es kein Tabuthema sein sollte. Gewalt gegen Frauen geht uns alle an, sie betrifft uns alle. Frauen und auch Männer.
Das sagt auch die Statistik: Jede dritte Frau in Deutschland wird mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von Gewalt, jeden dritten Tag wird ein Femizid versucht oder durchgeführt. Also die Tötung einer Frau aufgrund ihres Geschlechts.
Lana: Mir ist es wichtig, dabei vor allem die Perspektive der Frauen, die bei uns sind, nach vorne zu stellen. Für die, die zu uns kommen, ist es wichtig zu erkennen, dass sie nicht alleine sind. Dass es auch anderen Frauen so geht, wie ihnen und dass es nicht nur bloße Zahlen sind, sondern dass tatsächlich Gesichter und Geschichten dahinterstehen. Dann müssen sie begreifen, dass es nicht ihr persönliches Problem ist, sondern ein gesellschaftliches. Viele denken, „ich habe Fehler gemacht“ oder „irgendwas stimmt nicht mit mir“, weil sie in so eine Situation geraten sind. Aber das stimmt nicht.
Eliza: Das ist wichtig zu verstehen: Es kann jede treffen. Egal, wie sicher man sich selbst ist „das passiert mir nicht“. Unter gewissen Umständen kann es jede von uns treffen.
Wer sind die Frauen, die zu euch kommen?
Eliza: Es sind Frauen aus allen gesellschaftlichen Schichten und mit unterschiedlicher Herkunft. Es sind nicht nur „die anderen“.
Lana: Ins Frauenhaus kommen dann aber oft die, die kein sicheres Auffangnetz haben. Frauen, die finanziell abhängig sind oder keine Familie, keinen Freundeskreis hier haben. Auch der Zugang zu Ressourcen wie Bildung ist wichtig. Wenn es der Frau an finanziellen Mittel fehlt oder sie beispielsweise keinen gesicherten Aufenthaltsstatus hat, ist die Lage besonders prekär. Je mehr Ressourcen zur Verfügung stehen, seien es soziale oder finanzielle, desto schneller und besser kann die Frau sich selbst helfen.
Eliza: Das Umfeld spielt eine ganz entscheidende Rolle.
Wie kann so eine Hilfe konkret aussehen?
Eliza: In erster Linie müssen die Menschen genau hinschauen und dann den Mut haben, einzuschreiten. Ich höre nebenan ständig Streit? Vielleicht klopfe ich mal und frage, ob alles in Ordnung ist. Die andere Mutter im Kindergarten macht keinen guten Eindruck auf mich? Vielleicht lade ich sie mal auf einen Kaffee ein und frage nach, wie es Zuhause läuft. Das soziale Netz kann den entscheidenden Unterschied machen. Wir als Gesellschaft und jeder einzelne Mensch können einen Unterschied machen. Wichtig ist aber auch, dass die Frauen letztendlich selbst zu uns kommen wollen. Oft rufen uns Angehörige, Freund:innen oder auch Ärzt:innen an, aber da können wir wenig machen. Die Frau muss selbst entscheiden, ihre Situation zu verlassen.
Wie sind die Situationen, die dazu führen, dass die Frauen zu euch kommen?
Lana: Es ist immer Gewalt. Das Schlimme dabei ist, dass es so viele unterschiedliche Formen von Gewalt gibt. Blaue Flecken sieht man direkt, wenn dir aber systematisch jegliches Selbstvertrauen genommen wird, wenn du sukzessive von deinem Umfeld isoliert wirst, dir deine Geldkarte und andere Papiere abgenommen werden … Das kannst du schlecht beweisen. Psychische Wunden und Narben sind oft unsichtbar.
Eliza: Die Täter gehen dabei oft so manipulativ und perfide vor, dass die Frau manchmal sich selbst kaum glaubt. Vom Umfeld ganz zu schweigen. Viele Angehörige reagieren verwundert und können das gar nicht glauben, dass es „so schlimm“ gewesen sein soll. Das ist wahnsinnig belastend. Von der juristischen Beweislast ganz zu schweigen.
Wenn die Frau den Entschluss gefasst hat, ins Frauenhaus zu gehen, wie läuft das ab?
Eliza: Unterschiedlich, aber sehr oft muss es sehr schnell gehen. Manchmal können sie sich nur die Jacke überwerfen, das Kind unter den Arm klemmen und rausrennen. Dann bleiben wichtige Dokumente zurück, die ihnen für die nachfolgende Bürokratie fehlen. Das ist oft ein weiteres großes Problem. Manchmal müssen sie dann nochmal zurück.
Der 8. März ist ein Tag, an dem auf patriarchale Strukturen und die damit verbundene systematische Gewalt aufmerksam gemacht wird. Was haben diese Strukturen mit eurer Arbeit zu tun?
Lana: Sehr viel. Es ist das Streben nach Macht, dieser Herrschafts- und Besitzanspruch, den Männer den Frauen gegenüber haben, der dazu führt, dass sie diese unterdrücken, isolieren und kleinmachen. Also Gewalt ausüben.
Eliza: Mir ist auch wichtig zu betonen, dass immer Kinder involviert sind. Wir haben 60 Plätze in unserem Frauenhaus, davon sind 30 von Kindern belegt. Diese Strukturen und diese Gewalt treffen auch Kinder, die bei uns dann zum ersten Mal wieder Sicherheit empfinden und Kind sein dürfen.
Dabei ist die Angst vor dem Täter doch sicherlich omnipräsent?
Eliza: Ja, absolut. Wir versuchen den Frauen so viel Alltag und Sicherheit zu geben, wie möglich. Wir machen beispielsweise Ausflüge oder andere gemeinsame Aktivitäten. Aber die Angst ist immer ein großer Faktor.
Lana: Viele Frauen haben vielleicht auch ein falsches Bild davon, wie das Leben im Frauenhaus ist. Hier helfen Frauen anderen Frauen. Oft spüren sie zum ersten Mal so etwas wie eine richtige Gemeinschaft, dass wir aufeinander aufpassen, die Kinder gemeinsam spielen. Manche Frauen erleben hier auch zum ersten Mal Freiheit, weil sie zum Beispiel einkaufen und kochen dürfen, was sie wollen. Ein Frauenhaus ist etwas Einzigartiges. Es ist schrecklich, dass es Männer und Strukturen gibt, die dafür sorgen, dass es Frauenhäuser geben muss. Aber der Ort selbst ist ein Ort voll Gemeinschaft und Zusammenhalt.
Eliza: Wir sind eine große Familie, die zusammenhält. Frauen und Kinder.
Welche strukturellen Änderungen braucht es, damit Frauen vor Gewalt geschützt sind?
Lana: Es ist wichtig zu verstehen, dass die Strukturen, die Gewalt gegen Frau ermöglichen, tiefgreifend sind. Das fängt bei den Tätern an, die genau wie die betroffenen Frauen aus allen gesellschaftlichen und sozialen Schichten kommen.
Eliza: Auch Akademiker oder Männer, die nach außen nett und fürsorglich wirken, sind Täter. Wir müssen den Frauen glauben, die sagen, dass sie von Gewalt betroffen sind.
Lana: Außerdem würde ich mir eine größere Kooperationsbereitschaft von polizeilicher und juristischer Seite wünschen. Wir werden immer wieder alleingelassen, wenn es beispielsweise darum geht, in die Wohnung zurückzukehren, in der der Täter noch lebt, um Dokumente und andere Habseligkeiten der Frau zu holen. Da wird gesagt, dass seitens der Polizei die personellen Kapazitäten fehlen und die Frau anrufen soll, wenn es vor Ort Probleme gibt.
Eliza: Und dann ist es meistens schon zu spät.
Lana: Auch das Umgangsrecht mit den Kindern wird in diesen Fällen oft zum Nachteil der Frauen entschieden. Sie sind an einem geheimen, sicheren Ort und müssen diesen aber preisgeben, weil der Vater ein Umgangsrecht erwirkt. Obwohl es ihm gar nicht um die Kinder geht, sondern diese auch nur ein Druckmittel sind.
Was braucht ihr konkret?
Lana: Dass Menschen zuhören und hinschauen. Viele wollen nichts von Gewalt oder Problemen wissen, aber beides ist da. Und es gehört zu unser aller Alltag.
Eliza: Darüber hinaus finanzieren wir Kleidung, Schulsachen für die Kinder und Freizeitaktivitäten mithilfe von Spenden. Finanzielle Unterstützung können wir immer gebrauchen.
Bundesweites Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen:
08000 116 016 oder www.hilfetelefon.de
Alle Hilfseinrichtungen in Bremen finden Sie unter diesem Link: www.gewaltgegenfrauen.bremen.de
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Veröffentlicht am 7. März 2024