Gastbeitrag: of curious nature
Im Gespräch mit dem Choreografen Helge Letonja und dem Choreografischen Assistenten und Trainingsleiter Paul Pui Wo Lee stellt Kerstin Witges, Projektmanagerin, das Projekt TanzRAUM Nord und darin verortete Ensemble of curious nature vor.
Im Gespräch mit dem Choreografen Helge Letonja und dem Choreografischen Assistenten und Trainingsleiter Paul Pui Wo Lee stellt Kerstin Witges, Projektmanagerin, das Projekt TanzRAUM Nord und darin verortete Ensemble of curious nature vor.
Ein neues zeitgenössisches Tanzensemble betritt die Bühne und verbindet seine künstlerischen Leiter Helge Letonja und Felix Landerer, die Zentren Hannover und Bremen im TanzRAUM Nord. Ermöglicht durch die Exzellenzförderung TANZPAKT Stadt-Land-Bund verspricht der für die freie Tanzszene der Region zukunftsweisende Projektzusammenhang einen neuen Aufbruch: 10 Tänzerpersönlichkeiten aus aller Welt finden im Nordwesten für zunächst zwei Jahre eine neue künstlerische Heimat. Die kontinuierliche Arbeit im Ensemble ebnet fernab projektbezogener Kurzlebigkeit den Weg für eine neue Qualität der Zusammenarbeit und tiefgreifende Prozesse in der künstlerischen Arbeit. Am 27. Februar steht nun mit On the shoulders of giants das Debüt des Ensembles im Theater Bremen, einem von mehreren Koproduzenten und Projektpartnern von TanzRAUM Nord, an. Choreograf Helge Letonja und Paul Pui Wo Lee, Choreografischer Assistent und Trainingsleiter, sprechen vorab über den Probenauftakt, die Bedeutung von Neugierde, den Probenraum als fragilen Ort des Miteinanders und die Auseinandersetzung mit Zwergen und Riesen.
Das Ensemble trägt den Namen of curious nature – was verbirgt sich dahinter?
Paul Pui Wo Lee: Ausschlaggebend für die Namensgebung war das Verständnis von Neugierde als Fundament und Treibstoff zur Freisetzung kreativer Energie. Neue Impulse, Fantasie und künstlerische Freiheit gründen nicht im Verharren an bekannten Ufern, sondern vielmehr in der Loslösung, in der Suchbewegung und im Neugierig-sein auf das Unbekannte. Auch die Voranstellung „of“ beschreibt Freiräume „out of orbit“, erlaubt eine Öffnung für Künstler*innen wie Publikum.
Helge Letonja: Ein Ensemble ist ein vielstimmiges Orchester, bei dem Menschen mit unterschiedlichsten künstlerischen Backgrounds aufeinandertreffen. Entscheidend dabei erscheint mir der uns einende offene Blick auf die Welt: being curious by nature, d.h. stetig und fortwährend Motivation und Mut aufbringen, Neues auszuprobieren, Grenzen zu überwinden und tiefer in sich selbst, sowie in eigene und neue Bewegungsvokabulare einzutauchen. Die Neugierde beschreibt dabei immer eine vorwärtsgewandte Bewegung – in der Gegenwart neugierig sein, zielt unmittelbar in die Zukunft.
Bevor sich das Ensemble Anfang Dezember das erste Mal im Probenraum gegenüberstand, galt es für die beiden Künstlerischen Leiter, mehr als 1.100 Bewerbungen zu sichten und im Zuge intensiver Auditions ihre 10 Tänzer*innen of curious nature auszuwählen. Seither sind fast 3 Monate vergangen – wie würdet ihr den gemeinsamen künstlerischen Weg bis hierher beschreiben?
Helge Letonja: In den ersten drei Wochen ging es zunächst um das gegenseitige Kennenlernen, um Verständigung und Zusammenführung. Anhand der Auseinandersetzung mit verschiedenen Techniken und Bewegungssprachen lag der Fokus darauf, einen gemeinsamen Raum/Körper für die Zusammenarbeit zu schaffen. Das war ein sehr fruchtbarer Prozess, da er Qualitäten, Potentiale, Besonderheiten, aber auch Verwerfungen und Brüche offenlegte. Genährt von diesen Impulsen und im bewussten Zulassen von Vielfalt/Diversität erfolgte dann der Einstieg in die Kreation. Der Zugang erfolgte zunächst ausgehend von Sinnbildern, Assoziationsräumen für das Gleichnis der Zwerge auf den Schultern von Riesen; es ging um Dimensionen, Gegensätze, Richtungen, Volumen, Gewicht, Verdrängung, Images/Selbstbilder. Dabei haben wir uns häufig mit Fragen von Dualität und Transformationen auseinandergesetzt: der Körper und der bewegte Raum zwischen den Körpern, off-balance, konkave-konvexe Krümmung der Wirbelsäule, Konfrontation mit zwei unterschiedlichen Bewegungsqualitäten zugleich.
Paul Pui Wo Lee: Für mich ist der Kreationsprozess vergleichbar mit einem Schiff, das uns zu unbekannten Ufern treibt, an denen die Kunst neue Ebenen erschließt, die wir vorher nicht erwartet hätten. Mit dem Feldenkrais Training verfolge ich den Ansatz, den Tänzer*innen immer neue Türen öffnen zu wollen, damit sie die Flexibilität, die Nuancen, den Reichtum ihrer individuellen Fähigkeiten maximal einbringen / ausloten können für die Kunst.
Helge Letonja: Ein künstlerischer Prozess ist ein Versuch, ein Ausprobieren. Und dabei kann und darf man scheitern. Im Probenraum teilen wir einen sehr fragilen Ort, der großes Vertrauen und eines respektvollen Miteinanders Bedarf. Als Choreograf gebe ich einen Rahmen, setze ein Thema, entwickle eine Bewegungsidee, verfolge die Vision des Stückes – aber letzten Endes ist der Dialog, der mit den Tänzer*innen geführt wird entscheidend.
Im Prozess geht es mir nicht um richtig oder falsch, sondern um Wahrhaftigkeit. Um das Sein statt um Behauptung. Ausgehend von geteilten Gedanken suchen wir nach Entsprechungen im Körper, verdichten, erkunden, nähern uns an.
Paul Pui Wo Lee: Der Schaffensprozess ist wie ein Tanz zwischen Choreograf*in und Tänzer*innen.
Verändert die Aussicht auf Kontinuität die Herangehensweise an den Probenprozess?
Helge Letonja: Es gibt uns ein Gefühl von Stabilität und eröffnet neue künstlerische Räume. Und ich empfinde große Dankbarkeit angesichts der Perspektive einer kontinuierlichen Ensemblearbeit. Die Stücke werden in ein Repertoire gehen und fortführend zur Aufführung gebracht. Dies bedeutet eine neue Qualität für die Arbeit. Wir wachsen gemeinsam und haben ein künstlerisches Zuhause zwischen Bremen und Hannover erschaffen.
Was erwartet das Publikum?
Helge Letonja: Die Zuschauer*innen erwartet ein intensiver Abend: Das Ensemble scheut den Tanz nicht, im Gegenteil, der physische Ausdruck ist ihm Medium und Mittler der oben beschriebenen Neugierde. Zudem spielt die Komposition eine wichtige Rolle: Der Brite Simon Goff und der US-Amerikaner Lynn Wright haben einen sich aufschwellenden Klangraum geschaffen, der zugleich antreibt und trägt. Die Liedtexte der Songs, eingesungen von Jessica Einaudi (Tochter des Filmkomponisten Ludovici Einaudi) und Lynn Wright verstärken die poetische Ebene des Stückes.
Kurzum: Wir laden die Zuschauer*innen herzlich ein, das neue Ensemble mit seinen Tänzerpersönlichkeiten auf der Bühne kennenzulernen.
Gefördert von TANZPAKT Stadt-Land-Bund aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur, Kulturbüro der Landeshauptstadt Hannover, Senator für Kultur Bremen, Theater Bremen, Stiftung Niedersachsen, Karin und Uwe Hollweg Stiftung.