„Wie früher Geister kamen aus Vergangenheit / So jetzt aus Zukunft, ebenso“ (Bertolt Brecht: Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer)
Goetheplatz, Aprilnacht.
Alize Zandwijk puzzelt: Lady Gaga im Fleischkleid (1000 Teile). Anderthalb Meter daneben zupft Beppe Costa „Bat Out Of Hell“ (Meat Loaf).
Schlachthof, Kesselhalle, Dezemberabend.
Schauspieler (mit George-Tabori-Maske): Mein Name ist Frank-Patrick Steckel. Ich bin 65 Jahre alt. Ich habe von einem Schauspielhaus in Bremen geträumt, von einem Labor für soziale Fantasie. Gegen den schleichenden Theatertod, gegen Rathaus-Reaktionäre. Das ist nun vorbei. Ah, alte Wirkungslosigkeitsstätte! Dich behalt ich.
Die Arbeiter (Chor): Lange schon ist diese Arbeit uns ekelhaft, / Die Fabrik uns die Hölle. / Wir sind verloren. Der blutige Tönnies hält / Unseren Ausbeuter am Hals, und / Uns geht die Luft aus.
Souffleur (Rudolf Hickel): Es ist etwas faul in Rheda-Wiedenbrück.
Die Arbeiter (Casting-Chor): Es ist etwas faul in Rheda-Wiedenbrück.
Gabriele Möller-Lukasz (Frau Luckerniddle): Ich will wissen, was mit meinem Mann los ist.
Guido Gallmann (Graham, Cridle, Lennox, Meyers): Wir sagen Ihnen, dass er nach Weißenfels gefahren ist.
Susanne Schrader (Johanna Dark): Auf dem Weg hierher habe ich sagen hören, Ihrem Mann sei in der Fabrik etwas zugestoßen, woran die Fabrik schuld ist. Hiobs Botschaft, einmal mehr. Waten oder Warten, was liegt daran. Die Engel der Geschichte staken in Blut.
Souffleur: Lasst mich den Tönnies auch noch spielen.
Guido Gallmann: Lasst mich den Tönnies auch noch spielen.
Halbstündige Schlachtszene aus deutschen Landen: Nibelungen, Stalingrad etc.
Claus Peymann (Deus ex Machina): Tod, wo ist dein Steckel?
Die Arbeiter (Casting-Chor): Wir, die Opfer der Expansion des Niedriglohnsektors. Wir, die Opfer geschönter Wirtschaftsstatistiken. So, wie es ist, bleibt es nicht. Wenn wir mit Fleischermessern durch eure Wohnstuben gehen, werdet ihr die Wahrheit wissen.
PROJEKTION: Das ist ja wohl die Krönung, Richard! Na danke, Vollhorst Franke! Baggermassaker in der Fleischmarkthalle. IM NAMEN DES VERRATS. 1929. 1953. 1979. 2001. 2008. 2017. 2020. Re:Set. Obacht vor scharfen Klingen, Siri & Silly! Jetzt rede ich. WER IST DAS. Mummenschanz in der Sankt-Pauli-Passage, ein Rudel Schauspieler eskortiert den Hauptdarsteller im Gleichschritt. MERKT IHR NICHT, DASS SIE GEFÄHRLICH SIND. ES SIND SCHAUSPIELER, JEDES KNTHLZ LEBT. IMITATIO CHRISTI. Das Wundmal zeigt die Ostmark. Über allem aber thront - nein, keine Gottheit - eine bravouröse Ensembleleistung.
Stehende Ovationen. Aus dem Schnürboden fallen Minisalamis.
Premierenfeier im Concordia
Schauspielkritiker (Rainer Mammen): Was für ein Abend. Kraftvoll, fulminant nachgerade, kurz und knackig, so erschreckend wie bestimmt. Ich nehme noch eine Partyfrikadelle.
Claus Peymann: Den Knipp von Safft müssen Sie unbedingt probieren!
Hans-Joachim Frey: Ich gehöre zu einer Generation, die sehr genau um die Probleme der Gesellschaft weiß. Die Oper geht vor. Chopin!
Jörg Kastendiek (Kultursenator): Sie werden durch Ihre künstlerische Kompetenz und Ihre Kontakte das Bremer Theater erfolgreich weiterentwickeln.
Bernd Neumann: Chapeau! Ich bin nur kurz eingenickt.
Elisabeth Motschmann: Das habe ich gehört. Wenn das der Gründgens wüsste!
Schauspielkritiker: PRIMITIVER SINGSANG AUS DER MOTTENKISTE DES KLASSENKAMPFES. Meine Rede damals.
Rudolf Hickel: Mein Lieblingsstück ist Becketts „Atem“. Gerade 50 geworden. Eindringlich, dabei wohltuend kurz. Und passt unleugbar zur Zeit. Floyd und Leid. Zu dieser neuen Seuche sowieso.
Rainer Mammen: Sie meinen das Internet?
Claus Peymann: Johanna Darknet. Sozusagen. Eigentlich sollte ja Manfred Karge statt Steckel inszenieren: den Kaukasischen Kreidekreis. Aber Karge ist erkrankt.
Alle: Woran?
Hendrik Werner ist Referent des Senators für Kultur. In Vorbereitung: Der Spleen von Bremen. Schauernovelle.