„Heute würde Tamino mehr auf die Pauke hauen“

Die Choreografin Jacqueline Davenport über die elfte Wiederaufnahme von Die Zauberflöte, ihre Arbeit als Tänzerin u.a. bei Johann Kresnik und Trainerin. Von Isabelle Becker.

Wir treffen uns in einem Café im Steintor, direkt um die Ecke, wo Jacqueline Davenport seit mehr als vierzig Jahren ihr Tanzstudio betreibt. Bis heute gibt sie dort täglich Training – für alle Altersklassen, Profis wie Laien. Erstmals habe ich sie als Choreografin in der Produktion Anna Karenina (2014) von Armin Petras kennengelernt, erlebte sie als sehr genau, stets ruhig, freundlich, mit dem Blick fürs Detail.

„Ich gehe immer vorwärts und denke kaum zurück.“

Als ich erwähne, dass Die Zauberflöte nun seit über 11 Jahren auf dem Spielplan steht, erwidert sie salopp: „Seit wann? Keine Ahnung. Ich gehe immer vorwärts und denke kaum zurück.“ Das passt zu Jacqueline Davenport – die von vielen am Theater nur „Jacquie“ genannt wird. Das passt zu der eleganten und entschiedenen Erscheinung einer Frau, die seit fast fünfzig Jahren das Theater in Bremen mitgeprägt hat – als Solotänzerin bei Johann Kresnik, Reinhild Hoffmann / Gerhard Bohner oder als Choreografin in über sechzig Opern- und Schauspielinszenierungen. Sie hat viel zu erzählen, doch bevor wir uns Vergangenem widmen, folgen wir ihrem Credo und schauen in die nahe Zukunft: Die Wiederaufnahme der 108. Zauberflöten-Vorstellung am 13. Dezember 2019, in der Inszenierung von Chris Alexander.

Jacqueline Davenport hat Die Zauberflöte immer noch nicht satt

„Es ist einfach auch ein tolles Stück für uns“, mit „uns“ meint sie das riesige Zauberflöten-Ensemble, das in den vergangenen Jahren schon häufig gewechselt hat und um viele Namen erweitert wurde – einige wachsen in die Partien rein, andere raus. Doch Jacqueline Davenport hat Die Zauberflöte immer noch nicht satt. „Auch das Ensemble, der Chor und die Statist*innen sind immer gut aufgelegt, wenn das Stück gespielt wird.“ Es gibt sogar Solist*innen der Premiere, die sich hin und wieder als Gast mit großer Freude in die Klamotten und Rollen von damals schmeißen. Kurzfristig Gäste oder neue Ensemblemitglieder einzuarbeiten, das ist nur eine Facette ihrer Arbeit an der Zauberflöte, die sie gemeinsam mit der Inspizientin Caroline Blanck bei Wiederaufnahmen zu leisten hat. Sie steht auf der Seitenbühne, schaut, wie die Vorstellung läuft, korrigiert Fehler – kurz: Sie achtet darauf, dass die Qualität der Vorstellungen erhalten bleibt.

„Es geht immer darum, noch andere Seiten hervorzulocken.“

In diesem Jahr werden Mima Millo als neue Pamina, Stephen Clark als Sarastro und Patricia Andress als Erste Dame eingearbeitet. Die choreografisch-szenische Arbeit mit den drei Damen hat ihr immer besonders Spaß gemacht. „Damals hat Chris die Damen in der Morgenprobe szenisch angelegt und mich dann gefragt: ‚Was meinst du, können wir das so lassen?‘“ Doch Jacquie arbeitete weiter daran, übernahm die Struktur und baute sie aus: Blicke, Fokus und Haltung. „Es geht immer darum, noch andere Seiten hervorzulocken.“ Weil sie Chris Alexander gut kenne und sie sich gut verstehen, ist die Wiederaufnahme seines Stückes keine besondere Herausforderung. Auf die Frage hin, ob sich die Inszenierung durch unterschiedliche Darsteller*innen auch weiterentwickelt habe, antwortet sie entschieden mit „Ja“. Lachend sagt sie: „Ich könnte wetten, dass die drei Damen heute besser sind, einfach weil ihr Spiel durch die Arbeit über die Jahre intensiver geworden ist.“ Zur 100. Vorstellung in der vergangenen Spielzeit hat das auch der Regisseur Chris Alexander bestätigt. Sein Zuspruch ist Jacquie wichtig. Sie will die Darsteller*innen wachsen sehen und sie dabei begleiten. Ihre Maxime: Erst durch Präzision und Genauigkeit werden sie lebendige Charaktere, die frei spielen können. Deswegen setzt sie auch vor jeder Zauberflöten-Vorstellung und auch in der Pause eine Probe im Ballettsaal an. „Alle stecken in ihrem Alltag oder haben andere Stücke im Kopf, müssen in die Maske und den Text memorieren. Und trotzdem müssen sie einander fühlen.“

Wege gehen, Prüfungen durchstehen und den Glauben nicht verlieren

Apropos: Fühlen. Für Jacquie sind die zentralen Themen in der Zauberflöte übrigens Liebe und Treue. „Mein Vater war ein großer Freimaurer in London.“ Wege gehen, Prüfungen durchstehen und den Glauben nicht verlieren, dass am Ende schon alles zusammenfinden wird, gehörte für ihren Vater, der aus der Kriegsgeneration stammte, dazu: „Sie haben in England damals gesagt, dass sich Liebespaare ein Jahr trennen sollten. Und wenn es danach noch hält und funkt, dann wird’s für immer gut gehen.“ Das sei es auch, so Jacquie, was Pamina im Stück durchleben müsse: Trennungen und Prüfungen. Sie versteht nicht, warum Tamino nicht mit ihr redet oder sie nicht anschaut. „Am Ende kann sie es akzeptieren, aber diese Frustration dazwischen …“ (sie lacht). „Im Stück ist es wahrscheinlich für heutige Verhältnisse etwas harmlos dargestellt. Heute würde Tamino ein bisschen mehr auf die Pauke hauen.“

„Komm bitte sofort auf die Bühne.“

Wenn man so will, dann hat Jacqueline Davenport das auch in ihrer Vergangenheit getan: ordentlich auf die Pauke gehauen. Sie ist nie stehen geblieben, hat immer neue Wege beschritten. 1970 kam sie als Solotänzerin in das Tanzensemble von Johann Kresnik nach Bremen, hat zuvor groß in Frankfurt und Mannheim getanzt – auch in spektakulären Opernproduktionen. Sie hat immer wieder unter den vielen wechselnden Intendanzen in Bremen vorgetanzt – und blieb. Ihre erste eigene Choreografie im Opernkontext musste sie mal eben – „zack!!“ – 1986 zu La traviata erfinden, weil ein anderer Kollege es sich nicht zugetraut hat. Dazu wurde sie direkt aus dem Ballettsaal geholt. „Komm bitte sofort auf die Bühne.“ Dort standen dann der gesamte Chor und Techniker*innen an der Seite und alle schauten: „Was macht sie jetzt?“ Sie wurde wieder gefragt, arbeitete fortan erfolgreich mit verschiedenen Regisseur*innen, unter anderem an den Staatsopern in Hamburg und München, in Düsseldorf und natürlich in Bremen.

Ein bisschen müde, von den Rollen, die sie zu tanzen hatte

Auch ihre Entscheidung, selbst zu unterrichten, kam spontan. „Der Grund dafür war Hans Kresnik.“ Einmal sagte er zu ihr nach einer Probe: „Oh, ich habe vergessen dir zu sagen, dass du morgen zur Tanzschule Renz gehen musst, um nachmittags zu unterrichten.“ Ihre Reaktion: „Das mache ich nicht. Ich werde nie Kinder unterrichten. Das habe ich mir geschworen.“ Sie tat es trotzdem und tut es noch heute mit großer Leidenschaft. Erst unterrichtete sie zwei Mal pro Woche und gründete dann 1976 ihr eigenes Studio. Vor allem aber merkte sie in der Zeit von Reinhild Hoffmann und Gerhard Bohner, dass sie „ein bisschen müde war“ von den Rollen, die sie zu tanzen hatte: „von diesen Frauen, die vergewaltigt werden, der alten Königin oder den Mutterfiguren. Ich merkte, ich wollte etwas anderes machen.“ Und das tat sie. Etwa ein Jahr vor Hoffmanns Weggang gründete sie im Gespräch mit Intendant Tobias Richter ein festes Opern-Tanzensemble von ca. zwanzig Tänzer*innen. Keine Profis. Die Gruppe bestand aus angelernten Tänzer*innen aus ihrem eigenen und anderen Tanzstudios – darunter übrigens auch die jetzige Chefdisponentin des Theater Bremen. Sie trainierten drei Mal die Woche im Studio und drei Mal die Woche im Theater, wurden zu Profis, waren dann besser als die Gäste, die von außen engagiert wurden. „Die hatten so eine tolle Passion, so eine tolle Energie.“ Regisseur*innen, die einmal mit der Truppe gearbeitet hatte, planten sie in ihrer nächsten Arbeit schon mit ein (u.a. Dominique Mentha, Christof Loy, David Mouchtar-Samorai, Ulrich Engelmann). Es war eine besondere Zeit. Einige der Tänzer*innen zogen weiter, anderen gab Jacquie in Bremen eine Heimat.

Wenn dieser Text erscheint …

Wir sprechen weiter: über die besondere Arbeit mit Christof Loys in La Gioconda (1995), über Plateauschuhe statt Spitze, über den tollen Nachwuchs in Bremen (Junge Akteur*innen, Theater Elf) und darüber, was Theater war und sein kann.

Wenn dieser Text erscheint, sind die Proben zur Wiederaufnahme der Zauberflöte noch im vollen Gange. Die neuen Darstellerinnen werden eingearbeitet, Altes wieder aufgefrischt – alljährlich unter der Leitung von Caroline Blanck und natürlich Jacqueline Davenport, die Abend für Abend die Vorstellungen begleiten wird, sie kritisch beäugt, in den Pausen korrigiert und mit Freude auf ein gewachsenes Ensemble schaut.