„Ich glaube, du bist ein Heldentenor“

Der im Bundesstaat New York aufgewachsene Christopher Sokolowski gibt bei Lohengrin sein Debüt in der Titelpartie. Die Dramaturgin Frederike Krüger hat ihn getroffen.

Frederike Krüger: War Lohengrin schon immer eine Traumrolle für dich?

Christopher Sokolowski: Nein, viele Jahre lang habe ich mich tatsächlich gar nicht mit Wagner oder seiner Musik beschäftigt, weil ich niemals dachte, dass meine Stimme für dieses Repertoire geeignet ist. Ich habe als Counter-Tenor angefangen, aber während des Studiums wurde mir immer gesagt, dass ich ein sehr leichter Tenor sei, ein typischer Mozart-Tenor. Also habe ich in meinen Zwanzigern versucht, diese Partien zu singen, was mir aber nie leicht fiel.

Und was ist dann passiert? 

Ein bekannter Casting-Direktor sagte zu mir, „ich glaube, du bist ein Heldentenor“. Ich hatte es bis dahin überhaupt nicht in Erwägung gezogen, dass das eine Möglichkeit für mich sein könnte. Dann habe ich mir das Handbuch der Oper von Rudolf Kloiber vorgenommen … 

… ein Standardwerk im Regal eines jeden Musiktheatermenschen. 

Genau! Und da habe ich nachgelesen, was die verschiedenen Stimmtypen ausmacht. Ein Heldentenor hat keine typisch lyrische, tenorale Stimme, sondern es gibt immer auch eine baritonale Qualität, etwas Metallisches im Klang. Da dachte ich, das könnte es sein! Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich einmal Wagner singen würde. Obwohl ich mich unterbewusst immer schon eher zu dramatischen Tenören und deren klanglicher Qualität hingezogen fühlte. Ich hörte Del Monaco, James King, Giacomini und sogar Kaufmann und dachte: Diese Art von Gesang verstehe ich irgendwie. Aber aus irgendeinem Grund hatte ich nicht das Gefühl, dass es mir zustand, an diesem Repertoire zu arbeiten. Vielen Sänger:innen wird immer wieder der klischeehafte Ratschlag gegeben, das leichteste Repertoire zu singen, das sie können. Ich denke, das kann ein großer Fehler sein.

Wie war es für dich, die ersten Heldentöne zu singen? 

Ich war gerade 30 geworden und wollte an einem Wettbewerb teilnehmen. Es gab eine Altersbeschränkung und ich hatte nur noch diese eine Möglichkeit. Mir blieben 24 Stunden, um mich zu entscheiden, daran teilzunehmen und ein ganz anderes Repertoire zu wählen, als ich es sonst tat. Dann sagte ich mir schließlich „scheiß drauf, ich mache jetzt einfach genau das, was ich machen will.“ Ich lernte die Arie von Max aus Webers Freischütz und eine Arie aus Wagners Parsifal. Meine Stimme und mein Körper fühlten sich nach drei Tagen Singen völlig anders an. Es war, als ob ich eine Tür geöffnet hätte und mir die Sonne ins Gesicht scheinen würde. Ich fühlte mich zum ersten Mal in meinem Gesang völlig frei und ohne Angst.

Jetzt ist es soweit, du gibst hier in Bremen dein Debüt, nicht nur mit der Partie des Lohengrin, sondern mit Wagner überhaupt.

Ja, ausgerechnet Lohengrin! Ich weiß noch, dass ich anfangs eingeschüchtert war, weil es eine der wenigen Wagner-Rolle ist, die sehr viele lyrische Anteile hat. Es geht darum, die Balance zwischen Zartheit und Kraft zu finden. Es kommt wirklich darauf an, so zärtlich zu singen, wie es nur geht. Die Musik ist extrem transparent und hat eine fast ätherische Leichtigkeit: die Zartheit der Geigen im Vorspiel, noch bevor Lohengrin überhaupt auftritt. Die Töne klingen, obwohl die Instrumente quasi kaum gespielt werden. Das Leichte und Lyrische erfordert am meisten Kraft und Präzision. Aber ich habe mich beim Lernen immer mehr in diese Partie verliebt.

Glaubst du, dass die Gesellschaft von heute noch Heldenfiguren braucht?

Ich glaube, dass wir auch heute noch viel von Lohengrin lernen können. Er ist kein Held, der mit einem Schwert einmarschiert. Für mich spielt sich sein Heldentum eher auf intellektueller Ebene ab, er klärt auf und stellt sich in den Dienst der Gemeinschaft.

Aber dennoch tötet er einen Menschen.

In genau diesem Moment endet die Geschichte des Helden Lohengrin auch. Die Gesellschaft profitiert von der Idee des Heldentums, wenn sie mit offenem Herzen und offenem Geist an gewaltfreien Lösungen arbeitet. Sobald das Heldenblut an seinen Händen klebt, ist die Geschichte Lohengrins aus und seine heldenhafte Mission gescheitert. In einer anderen Geschichte würde ihn das Töten des Feindes vielleicht zum Sieger erklären. Aber in dieser Oper ist es das Zeichen für das Ende. Lohengrin macht deutlich, dass Gewalt nicht die Antwort ist.

Apropos Antwort … Lohengrin verwehrt Elsa die Antwort auf eine wichtige Frage, nämlich die nach seiner Herkunft. 

Ja, das ist natürlich bizarr. Aber ich glaube, dass es uns viel darüber erzählt, auf eine andere Art und Weise zu vertrauen. Im dritten Akt, wenn Lohengrin „atmest du nicht die süßen Düfte“ singt und sagt „dich sah mein Aug‘, mein Herz begriff dich da“, zeigt er auf, wohin Chaos, Zerstörung und Krieg die Menschheit gebracht haben. Und fordert, dass die Menschen innehalten und mit einem humanistischen Blick auf sich und andere schauen. Das erscheint den Menschen so absurd, dass sie ihn als Lügner darstellen, weil er so anders ist, als sie es kennen. Lohengrin schlägt eine unmenschliche, im Sinne von untypische Lösung für ein zutiefst menschliches Problem vor. Deswegen scheitert er, auch als Held.

Das ist eine ungewöhnliche Betrachtungsweise.

Lohengrin ist ja auch ungewöhnlich. Er ist ein Held, der mit Zärtlichkeit führt. Das sieht man schon daran, dass er mit einem Schwan auftritt. Ein Symbol von zarter Stärke. 

Dabei erfüllen Helden oft das Klischee des Machos, es geht um Macht und Muskeln, nicht um Gefühl. Wagners Musik zeigt, dass Helden anders sein können. Lohengrins Heldenstärke ist seine Sensibilität.

Er ist einfach ein sehr interessanter Held. Mich erinnert er immer an Hercules in der Disney Verfilmung. Hercules weiß zu Anfang nicht einmal, dass er ein Held ist. Dann wird er zu diesem super machohaften Paradebeispiel eines Helden, mit großen Muskeln und viel Kraft. Aber er verliert nie seine Sensibilität. Das finde ich schön.

Neben all der Schönheit, die Wagners Musik bereithält, ist er keine unumstrittene Person. Er vertrat sehr problematische, menschenverachtende Weltbilder. Was macht das mit dir?

Ich glaube, es ist wichtig, sich diese Frage zu stellen, auf die es aber keine einfache Antwort gibt. Seine Musik nicht zu spielen, erscheint mir dabei nicht die Lösung zu sein. Vielmehr sollten wir uns seine Werke zu eigen machen. Denn die Musik, die Kunst, die Wagner erschuf, die geht über alles Irdische und Menschliche hinaus. In so vielen Momenten, wenn ich die Musik einstudiere, oder wenn wir proben, denke ich: „Mein Gott, dieser Typ war kein Mensch“.

Du kommst aus den USA, wo du auch studiert hast, warst im Opernstudio der Staatsoper Stuttgart, dann im Ensemble am Theater in St. Gallen, gastierst unter anderem in Berlin und Hannover … Bist du froh, dass dich der Schwan ausgerechnet nach Bremen gezogen hat? 

Ja, das bin ich. Es ist wirklich schön, hier zu sein. Die Atmosphäre im Haus gefällt mir. Ich habe das Gefühl, dass sich hier alle mit großem Respekt begegnen. Alle geben ihr Bestes für die Kunst.

 

 

Veröffentlicht am 6. September 2024