„Ich vergleiche das immer mit einem Hausbau“
Alize Zandwijks Inszenierung Das achte Leben (Für Brilka) läuft nun bereits in der dritten Spielzeit im Theater am Goetheplatz. Ein Gespräch zwischen der Dramaturgin Theresa Schlesinger und der Autorin Nino Haratischwili.
Theresa Schlesinger: Über diese ganz persönlichen Geschichten und individuellen Schicksale der Familie Jaschi, von denen du in „Das achte Leben (Für Brilka)“ schreibst, tauchen wir auch gleichzeitig ein in die Geschichte der Sowjetunion. Doch anders als bei einer Geschichtsstunde, verbindet sich die eine – die politische, historische – mit der anderen, der persönlichen, Ebene und erzeugt dadurch beim Schauen eine emotionale Verbindung mit der Zeit und dem Geschehen. Ich habe mich gefragt, ob das auch ein Antrieb sein kann zu schreiben. Also dieses Weltgeschehen, was oft so unverständlich ist und was einen gerade jetzt ja auch wieder zum Verzweifeln bringen kann, über die Menschen zu erzählen, die davon betroffen sind und darin leben, um eine andere Art der Verbindung zu schaffen.
Nino Haratischwili: Auf jeden Fall. Aber ich bin ja keine Historikerin. Dementsprechend glaube ich, es gibt sehr unterschiedliche Zugänge und je nachdem, was man so sucht, wählt man die Mittel. Und meine sind nun mal fiktiv. Auch wenn ich sehr viel mit dokumentarischem Material zu tun hatte, mit Archivmaterial etc., ist das nicht meine Aufgabe, das historisch wiederzugeben. Das hätte ich auch gar nicht gekonnt. Dafür gibt es andere Bücher. Und ich glaube, für mich – auch als Leserin oder als Mensch –, funktioniert eine Geschichte immer darüber am besten, wenn man sich identifiziert mit Menschen. Und das ist es ja auch, was letztlich diese kathartische Wirkung erzeugt, ob es in einem Buch erzählt wird oder auf der Bühne. Idealerweise ist es ja genau das, dass ich so dermaßen mit jemandem sympathisiere, dass ich mich gleichstelle oder gleichsetze mit einer Figur und dadurch etwas über mich erfahre oder eine Form von Reinigung durchlaufe. Es ist also nicht meine Mission gewesen, die Leute aufzuklären. Das würde eh nicht funktionieren. Aber natürlich geht mein Zugang sehr, sehr stark über Figuren und über diese einzelnen Menschenschicksale, deren Leben extrem stark von Politik, Geschichte und einem System bestimmt wird. Und anhand dessen kann ich zeigen, was es bedeutete, in der Sowjetunion zu leben, zu unterschiedlichen Zeiten.
(…)
Es sind ja im „Achten Leben“ unglaublich viele Figuren. Es ist ein Jahrhundert. Es ist eine ganze Familie. Wie kommst du zu denen? Fliegen sie dir zu? Hast du im Vorhinein ein Konzept, wie du die Familie skizzierst?
Nino Haratischwili: Es ist eine Mischung. Ich vergleiche das immer mit einem Hausbau, wie ein Architekt. Ich muss einen Plan haben, bevor ich anfange. Ich muss wissen: Ich will dieses oder jenes Thema beackern. Meistens weiß ich das Ende. Eigentlich immer. Ich weiß den Anfang, ich weiß das Ende. Das heißt, ich muss diesen Punkt am Horizont sehen, auf den zusteuere. Ich weiß also den Weg von A nach Z, aber wie ich von A nach B komme, das weiß ich oft überhaupt nicht. Das ist dann sehr viel Intuition und das ist eben das Gute an so dicken Büchern: Man hat sehr viel Raum, um sich auszubreiten. Und bei Figuren ist das auch ähnlich. Es gibt ein paar Figuren, die sind von Anfang an da. Zum Beispiel war Stasia schon immer die Urmutter und es war klar, mit ihr wird es starten. Brilka war da und die Erzählerin, Niza, war da. Die drei waren mein Ausgangspunkt und die anderen entwickeln sich im Laufe der Zeit. Bei dem Buch war ja auch klar, dass es über mehrere Generationen gehen wird. Stasia wird Kinder kriegen, die Kinder werden erwachsen. Also diese Struktur gab es schon. Ich muss schon wissen, was das für ein Haus werden soll, das ich baue: Ein Mehrfamilienhaus, eins mit Garten oder ein Apartment. Aber wie die Inneneinrichtung aussehen wird, das weiß ich nicht. Das passiert tatsächlich mit der Zeit. (…)
Ich finde, man spürt diese Zeit, die du mit den Figuren verbracht hast. Mir ging es auch so, dass es beim Lesen dann schwer wird, sich von ihnen zu verabschieden.
Nino Haratischwili: Ja, das fiel mir auch schwer. Und manchmal ist es aber eben so, dass ich die Figuren ganz andere oder eigene Wege gehen lassen muss, als geplant. Zum Beispiel bei Kitty fiel es mir sehr, sehr schwer. Ich gehe aber immer von der Figur aus, ich darf als Autorin nicht vorpreschen. Idealerweise ist es so, dass ich gänzlich verschwinde. Das ist immer mein Ziel. Mich gibt’s da nicht. Ich bin quasi nur die, die abtippt.
Das Interview in voller Länge finden Sie im Programmheft zu Das achte Leben (Für Brilka).
Veröffentlicht am 8. Februar 2023, aktualisiert am 6. Dezember 2024