„Ich war ein Kraftwerk“
Brigitte Heusinger, Leitende Dramaturgin im Musiktheater, geht nach der Spielzeit 24/25 in den Ruhestand. Fast. Ein Interview zum Abschied mit Regisseur Martin G. Berger.
Martin G. Berger: Brigitte, du hast in Bremen angefangen und hörst jetzt auch in Bremen auf. Wie begann dieser sich nun schließende Kreis?
Brigitte Heusinger: Ich bin schon in der Kurt-Hübner-Ära mit 13 Jahren in legendäre Aufführungen gegangen wie Bremer Freiheit, aber weil ich Familie wollte, habe ich zunächst in Freiburg Psychologie studiert. Über Umwege bin ich dann doch als Hospitantin ans Bremer Theater gekommen. Bis dahin war ich in vielen Zusammenhängen ein fremder Mensch, anders als andere. Aber am Theater war ich zum ersten Mal völlig normal! Da wusste ich: Das ist es.
Was heißt denn Dramaturgin sein?
Früher hat man viel recherchiert, die Teams sind eine Woche lang nach Griechenland gefahren – heute habe ich den Ruf, Pragmatikerin und Wirkungsästhetin zu sein. Der rührt aber daher, dass ich in meinen Analysen schnell bin, weil ich gelernt habe, meinen Bauch ernst zu nehmen. Auch dank Psychologie-Studium konnte ich Regisseur:innen beim Zuschauen beschreiben, welche Gefühle ich habe, was mir für Bilder kommen und das ist meist besser als eine Bewertung. Dadurch kann ich kritische Punkte oft auf eine klare Formel, ein eigenes Bild reduzieren. Deshalb habe ich besonders gut mit ähnlich tickenden Regisseuren wie Olivier Tambosi zusammengearbeitet, aber auch mit Frank Hilbrich, Philipp Stölzl und dem jungen Benedikt von Peter.
Gab es eine besonders prägende Begegnung?
Penthesilea mit Regisseur Hans Neuenfels in Basel. Er konnte ein unmöglicher Mensch sein, weil seine große Verletzlichkeit unter Druck in Aggressivität umschlug, aber er war eine große Seele. Er fand für jede Szene eindrückliche Bilder, die einander fremd waren und trotzdem durch die Partitur verbunden. Für einen Moment, der größte Grausamkeit verlangte, schlug ich vor, schlicht das Licht auszumachen. Er hat es gemacht und ich war wahnsinnig stolz, weil er eine Ikone für mich war. Wir sind uns immer wieder begegnet, auch als ich nach Saarbrücken ging. Er dichtete auf mich … egal.
Das wollen wir jetzt schon hören!
Okay. „Mein Herz hat viele Lücken / Hör ich das Wort Saarbrücken / Womit ich es dann bitte / Ist mit dem Wort Brigitte.“ Allerdings bin ich genauso stolz darauf, dass ich, wo ich war, den Frauenanteil in der Regie gesteigert habe! Ich habe u. a. Jetske Mijnssen und Ulrike Schwab auf ihren ersten Schritten begleitet. Das ist jetzt auch mein Plan: Als Coach von meinen Erfahrungen als weibliche Führungskraft etwas weitergeben. Ich hatte persönlich viel Glück – ich wurde z.B. nach Linz engagiert, obwohl ich gerade schwanger war. Intendant Michael Klügl hat gesagt: Du schaffst das. Und ich hab’ es geschafft. Aber ich habe mich manchmal übergeben vor Erschöpfung und bis nachts um vier gearbeitet. Ich kann meinen Kindern nur auf Knien danken, dass sie das mitgemacht haben. Abends habe ich oft gemerkt, dass mir die Mundwinkel weh taten, weil ich so viel gelächelt habe. Das machst du als Frau, du lächelst, um etwas zu bekommen. Das verkneife ich mir jetzt. Leider beobachte ich gerade einen Backlash bei dem Thema. Die Finanzen werden knapper, der Druck nimmt zu, da fällt man auf alte Strukturen und Männerbünde zurück.
Du warst an acht Theatern. Wie sieht denn das Ideale aus?
Ich war am liebsten in Dreispartenhäusern in mittleren Städten, in denen man angstfrei arbeiten konnte. Ich habe auch selbst meine Abteilungen versucht, so zu leiten, dass ich ihr erster Soldat war! Ich muss nicht befehlen, sondern will motivieren, vorangehen und meine Leute schützen. Meine Regeln dafür waren erstens: Mut zum Fehler! Sich Sachen nicht übelnehmen und weiterarbeiten. Und zweitens: Einfach anfangen, sich nicht so viel Gedanken machen, frei laufenlassen!
Du hast mal superfrech gesagt „Kein Projekt, an dem ich mitgewirkt habe, ist schlecht geworden“. Stimmt das?
(lacht) Nein. Ich habe z.B. regelmäßig Die Entführung aus dem Serail in den Sand gesetzt. Wobei: ganz lange schon, weil ich mit Haut und Haaren um das Ergebnis meiner Produktionen gekämpft habe. Ich war ein Kraftwerk, Klavierhauptproben waren hart mit mir, denn ich wurde oft trotz meiner liebevollen Art extrem wütend. Aber das war eine produktive Wut, die zu tollen Ergebnissen geführt hat. Das geht aber nur, wenn man seine Leute grundsätzlich stützt! Und ich bin eben ein Theatermensch. Das Theater und meine Töchter waren mein Leben. Jetzt habe ich dafür wieder mehr Zeit zum Recherchieren und Denken. Und das ist auch total in Ordnung!
Veröffentlicht am 30. Juni 2025.