Ich werde immer stiller

Ein Gastbeitrag von Autorin Jana Heinicke zum Weltfrauentag.

07. März 2021

ICH WERDE IMMER STILLER
von Jana Heinicke

Morgen ist Feministischer Kampftag. Und wie jedes Jahr rund um den 8. März rüstet sich mein aktivistisches Umfeld – und ich werde immer stiller. 

Zu keiner anderen Zeit im Jahr ist die Ohnmacht, sind die Selbstzweifel größer: Nehme ich jemenschen Raum weg, wenn ich spreche? Oder lasse ich mein Privileg, gehört zu werden, ungenutzt, wenn ich den Mund halte?

Wie kämpft man gegen ein System, auf dessen Boden man steht? Wie kann ich frei sprechen, in einer Sprache, die aus sich selbst heraus unterdrückend ist?

Ich bin müde und mutlos.

An allen anderen Tagen des Jahres kämpfe ich ganz selbstverständlich. Alle FINTA-Personen kämpfen auf die eine oder andere Weise ganzjährig: Für gleiche Chancen auf Bildung, Teilhabe, und gegen Altersarmut. Für wirkliche Wertschätzung von Reproduktionsarbeit,  Inklusion und angemessene Honorierung von Pflegeberufen. Für sexuelle Selbstbestimmung, gegen Zwangsheirat, Sexsklaverei und Genitalverstümmelung. Für das Recht auf Asyl und Privatsphäre und gegen die menschenverachtenden Zustände an den europäischen Außengrenzen. 

Die Liste ist stetig unvollständig. Sie wird von Jahr zu Jahr länger, statt kürzer, weil sich einfach nichts tut, weil sich an 364 Tagen im Jahr niemand für unsere Forderungen interessiert. 

Aber morgen, am 365. Tag, da sollen wir auf einmal performen. Unsere Anliegen noch lauter, deutlicher, mit mehr Nachdruck hervorbringen. Gemeinsam, im Chor, auf Knopfdruck. 

Ich bewundere alle, die das noch können: Sich nach 364 Tagen Kampf die gesammelte Ohnmacht, Wut, Verzweiflung und das letzte Bisschen Hoffnung aus dem Leib performen – weil morgen der einzige Tag im Jahr ist, an dem uns eine Bühne geboten wird. 

Und dann sitzen sie wieder im Publikum. Mimen Betroffenheit, beteuern, dass sich jetzt wirklich etwas ändern muss, schenken Applaus. 

Aber spätestens, wenn der Vorhang fällt, ist alles wieder beim Alten. 

Ich bin müde, mutlos und ich bin es leid. 

Morgen ist Feministischer Kampftag – und ich habe heute schon kapituliert.

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Jana Heinicke hat literarisches Schreiben an der HdK Bern studiert, schreibt Kinderbücher, Theaterstücke und als @janaheinicke auf Instagram. 

Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin. ​