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Inmitten einer gesellschaftlichen Situation voller Erschütterungsszenarien fragt The Tide: Ist es in solchen Zeiten überhaupt noch möglich, wachsendes Misstrauen und eine sich daraus ableitende ständige Wachsamkeit abzulegen? Ist es ganz im Gegenteil vielleicht möglich, sich die eigene Verletzbarkeit einzugestehen, sie mit anderen Menschen zu teilen, Formen fragilen Miteinanders zu entwickeln und sie gemeinsam auszuleben?
Die eigene Vorsicht ablegen, die Voraussicht, das Kalkül, die Kraftkompetenz.
Sich anfechtbar machen, darin fallen, wenn auch weich. Kurzum: Können wir unseren Verletzbarkeiten etwas abgewinnen und sie als Ressource ansehen? The Tide ist die Zusammenkunft von elf Menschen, die sich mitunter anlässlich dieses Stückes erst kennengelernt haben. Auf der gemeinsamen Suche nach widerständigen und resilienten Haltungen sind sie auf das Potential sanfter, sich wiederholender Bewegungen gestoßen. Sie machen ihre Bewegungen zum Untersuchungsgegenstand und verlassen sich dabei auf die Beständigkeit ihrer Schritte. Ob im Gleichschritt oder nicht, ob mit- oder nebeneinander, sie nutzen die Bewegung als Vergewisserung, dass sie da sind und einen Platz einnehmen können.
Wie in einem Wellengang, im unerschütterlichen Kommen und Gehen von Ebbe und Flut, gehen sie, schwingen sie, fallen sie (sanft) und schätzen die insistierende Wiederholung ihres Tuns.
Sie sind unaufhörlich in Bewegung, wenngleich in sanfter, beständiger und nie stillstehender Haltung. Die selbstgewählte Softness, sich selbst und den anderen Menschen gegenüber, dient ihnen als Mittel für eine Choreografie des resoluten und freudigen Miteinanders: Wie kann ich Platz machen, ohne mich zurückzuziehen oder mich zurückdrängen zu lassen? Wie nah kann ich jemandem kommen, ohne mich aufzulösen? Ganz im Gegenteil, wie kann ich in eine spielerische Kollision gehen – eine, in der ich mich gerne fallen lasse, eine, die mich abfedert, mich beschwingt, eine, die mich nicht wegdrängt.
Auf der Suche nach gegenseitigem Vertrauen ist The Tide ein fortwährendes Verhandeln von Nähe, Verantwortung und Begehren.
Es ist eine Praxis, die Menschen in Resonanz bringt, so dass kein Körper isoliert, sondern zum Teil eines Beziehungsgeflechts wird. The Tide ist ein Raum, in dem elf Tänzer:innen dem Wellengang ihrer Schritte lauschen und inmitten derer wir ebenfalls eingeladen sind, Platz zu nehmen.
Veröffentlicht am 20. November 2025.
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Ebb and flow
Dramaturge Anne Kersting on softness, fragile coexistence and closeness.
In the midst of a social situation full of real threat scenarios, The Tide asks: In times like these, is it even possible to let go of our growing mistrust and the constant vigilance that comes with it? Is it perhaps possible to admit our own vulnerability, share it with others, develop forms of fragile connectedness, and live them together?
To give up our own caution, foresight, calculation, and power competence.
To make ourselves vulnerable, to enter into it albeit gently. In short: Can we gain something from our vulnerabilities and see them as a resource? The Tide is a gathering of eleven people, some of whom met for the first time while working on this piece. In their search for resilient attitudes, they discovered the potential of gentle, repetitive movements. They make their movements the subject of their investigation, relying on the consistency of their steps. Whether in step or not, whether together or side by side, they use movement as a means of reassuring themselves that they are there and can take their place.
Like waves, in the constant ebb and flow of the tides, they walk, sway, fall (gently), and appreciate the persistent repetition of their actions.
They are constantly in motion, albeit in a gentle, steady, and never calm manner. The self-chosen gentleness towards themselves and other people serves as a means for a choreography of determined and joyful togetherness: How can I create space without withdrawing or allowing myself to be pushed back? How close can I get to someone without dissolving? On the contrary, how can I enter into a playful collision—one in which I am happy to let myself fall, which cushions me, lifts me up, does not push me away.
In search of trust, The Tide is a continuous exploration of closeness, responsibility, and longing.
It is a practice that brings people into resonance so that no body is isolated but becomes part of a network of relationships. The Tide is a space in which eleven dancers listen to the ebb and flow of their steps and in the middle of which we are also allowed to take a seat.
Published on November 20, 2025.