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Musiktheater #HelloDolly!

It Takes a Woman: Really?

Theater Bremen macht Musical – mit der musikalischen Komödie „Hello, Dolly!“. Dramaturgin Brigitte Heusinger und Dirigent William Kelley über Live-Show-Feeling und High-Camp.

Brigitte Heusinger: Erste Musical-Berührungen?

William Kelley: An meinem Gymnasium gab es ein vielfältiges Musical-Theatre-Programm und schon als Kind habe ich mit meiner Mutter die Shows besucht. Und natürlich habe ich den Film Hello, Dolly! gesehen, aber ich halte ihn nicht für repräsentativ für das Stück.

Warum?

William Kelley: Die Show funktioniert viel besser auf der Bühne. Sie lebt vom Live-Show-Feeling. Hello, Dolly! ist ein Real-Life-Cartoon. Es ist theatralisch, es ist high-camp.

High-camp?

William Kelley: High-camp hat etwas mit dem homosexuellen, jüdischen New-York-Leben in den 50er, 60er Jahren zu tun und ist ein Ausdruck des Prä-Drag- und Prä-Gay-Liberation-Movement. 

Aber Homosexualität wird in „Hello, Dolly“! nicht thematisiert.

William Kelley: Doch indirekt, sie schwingt in jedem Moment mit. Damals musste es so sein, dass der Mann eine Frau sucht und die Frau einen Mann. Aber ich denke, der homosexuelle Komponist Jerry Herman hat eigentlich Männerrollen geschrieben, die dann Frauen aufgeführt haben. Ribbons down my back („Bunte Bänder“) zum Beispiel ist für mich von so einer Gay-Sensibility geprägt, der romantischen Sehnsucht nach dem Mann, der „ihn“ erhört. Und es ist ein Song über das „sich schön machen“, über Dekoration. In der schwulen Community gibt es diese Tendenz, sich zu dekorieren. Wir dekorieren unsere Körper mit extravaganter Kleidung und Muskeln und unsere Wohnungen mit Designermöbeln – und dies alles aus dem Bestreben heraus, wertgeschätzt, akzeptiert zu werden. Ribbons down my back is so gay. Für mich ist Mrs. Molloy in diesem Lied eigentlich ein Mann.

Wenn man das Stück naiv liest, stößt man doch eher auf sehr fixierte Rollenklischees zwischen den Geschlechtern. Wie geht das zusammen?   

William Kelley: Ja, das extremste Beispiel ist ein Song It takes a woman, der thematisiert, dass Frauen am besten im Haus und am Herd aufgehoben sind. Von Jerry Herman war das total ironisch gemeint, denn er brauchte sicherlich keine Frau. Und das ist eben genau das, was ich mit „high camp“ meine. Es ist eine Art, die Welt zu sehen, die Strukturen durch Übertreibung zu demaskieren und sich über sie lustig zu machen. Alles ist ein bisschen zu viel, zu theatralisch, zu extrem, zu laut, zu bunt, viel zu viel Glimmer und Glamour. Diese klassischen Musicals funktionieren aber eben auch, weil du spürst, dass hinter diesem Glitzern etwas durchschimmert, das real ist, etwas, was man ernst nehmen kann wie Einsamkeit, Verlust, die Sehnsucht nach einem Partner, einer Partnerin. Die Stücke leben von dieser Doppelbödigkeit, sie sind unprofoundly profound – untief, tiefgründig. Die Broadwaywelt bot eine Nische für die schwulen Künstler, sich und ihre Gefühle auszudrücken.

Und man konnte in den 60er Jahren durch die Identifikation mit glamourösen Frauenrollen indirekt seine Homosexualität bespielen. Und heute?

William Kelley: Auch heute kommt man als Kind oft nicht um ein Trauma herum: Du bist nicht gut genug, du bist nicht männlich genug, du bist nicht groß genug, du bist zu schwach, du bist zu feminin, du interessierst dich für Musik und nicht für Fußball.

Und da kommen Diven, wie auch Dolly eine ist, als idealisierte Ikonen gerade recht?

William Kelley: Ja, sie sind feminin, aber sie haben einen starken Charakter mit Wirkung und Macht. Und vor allem: Sie haben keine Angst.

 

 

Veröffentlicht am 18.11.22

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