Keine dicke Luft im Theater: PPM, Kohlendioxidkonzentration und Zuschauersäle

Theaterluft schnuppern mal anders: Der Technische Direktor des Theater Bremen, Frank Sonnemann, im Interview mit Brigitte Heusinger über die Belüftung der Zuschauersäle.

Brigitte Heusinger: Neben den Abstandsregelungen für das Publikum, die in Bremen ja sehr streng sind, indem jede zweite Reihe ausgebaut ist und immer zwei Plätze neben den Zuschauer:innen oder Paaren frei bleiben, ist ein weiterer entscheidender Sicherheitsparameter die Luftqualität, die durch die Klimaanlage geregelt ist. Wie kann ich mir das Wirken der Klimaanlage vorstellen? 

Frank Sonnemann: Die Klimaanlage hat normalerweise dafür zu sorgen, dass im Zuschauerraum ein Wohlfühlklima herrscht, also eine bestimmte Temperatur, eine bestimmte Luftfeuchtigkeit und ein bestimmter Grad der Luftbewegung hergestellt werden, die man als angenehm empfindet.

Jetzt liegt das Augenmerk aber auf etwas anderem?

Frank Sonnemann: Der Parameter, der uns zurzeit am meisten interessiert, sind die Aerosole, also die berühmten Schwebeteilchen, in denen Viren transportiert werden können, feinste luftgetragene Flüssigkeitspartikel und Tröpfchenkerne, die kleiner als 5 µm sind. Je mehr die verbrauchte Luft verdünnt und durchmischt ist, je mehr für einen guten Luftaustausch gesorgt ist, so wie ein Wind im Freien die Luft neu zusammensetzt, umso weniger Chancen haben Aerosole.

Und unter diesem Aspekt habt ihr euch jetzt unsere Klimaanlage angeschaut.

Frank Sonnemann: Ja, es geht um den PPM-Wert, von dem jetzt alle reden. PPM steht für Parts per Million und heißt übersetzt: Teilchen pro Million. Das letzte Mal, als wir vor der Corona-Zeitrechnung etwas mit dem PPM-Wert zu tun hatten, war beim Energiespar Contracting. Die uns beratende Firma hat unter dem Aspekt des Energiesparens geraten, für die Umwälzung, die Durchmischung der Luft einen Wert von 1000 PPM vorzugeben, also zu bestimmen, dass die Anlage so arbeitet, dass immer 1000 PPM erreicht werden können. Wir haben dann einen Kompromiss erarbeitet, der bei einem Richtwert von 800 PPM lag. Das kommt uns jetzt zu Gute, denn das ist exakt der Wert, der von Mediziner:innen als Umschlagspunkt zwischen guter zu mittlerer Luftqualität angesehen wird. 

Welches Teilchen wird überhaupt gemessen? Von welchem Stoff dürften höchstens 800 bzw. 1000 Partikeln in einer Millionen Teilchen in der Saalluft enthalten sein?

Frank Sonnemann: Man misst die Kohlendioxidkonzentration, die beim Ausatmen entsteht und als Wert für die Luft, die durch den Körper gegangen ist und wieder ausgeatmet wird, genommen wird.

Wie ist eigentlich der PPM-Wert der Außenluft?

Frank Sonnemann: Ich habe gerade von meinem Bürofenster die Außenluft gemessen und habe einen Wert von 360 PPM abgelesen. Der Wert schwankt natürlich je Wetter, je nach Ort, ob man sich auf dem Land oder in einer Großstadt befindet. Bundesweit wurde sich auf einen Durchschnittswert der Außenluft von 400 PPM geeinigt. 

Die Bremer Luft ist besser als der Durchschnitt.

Frank Sonnemann: Ja, die Bremer Außenluft ist gut und die beste, die wir haben. Wir können die Luft  im Theater nicht besser machen als sie von draußen reinkommt. Wobei das noch nicht mal stimmt, denn wir befreien sie von Verunreinigungen wie Staub und Pollen. 

Das kannst du jetzt so formulieren, weil bei euren Messungen am Wochenende im Großen Haus bei beiden Premieren die Luft nur marginal schlechter war als die Außenluft?

Frank Sonnemann: Ja. Wir haben auch im Kleines Haus gemessen und hier gilt das Gleiche. Natürlich trägt auch die geringe Zuschauerzahl zur guten Luft bei. Im Normalbetrieb und natürlich auch in der momentanen Situation ist die Luft am schlechtesten, wenn beim Einlass viele Menschen in den Saal streben und in das Gebäude reinatmen. Da kann man im vollbesetzten Saal schon in den Bereich von 1000 PPM kommen. Das registrieren die Sensoren, die Fühler, die an vielen Stellen installiert sind und die dann den Luftaustausch auslösen. Insgesamt kann man sagen, dass die Klimaanlage im Großen Haus so leistungsfähig ist, dass sie innen, obwohl Menschen im Saal sind, nahezu genauso gute, teilweise bessere Luft als die Bremer Außenluft produziert.

Wie kommt eigentlich die Frischluft in den Raum?

Frank Sonnemann: Im Großen Haus gibt es neben jedem Zuschauersitz Frischluftauslässe im Boden, Schächte, durch die die Luft in den Saal gepresst wird. Unter diesen Löchern befindet sich eine Druckkammer, ein riesiger, 2.50 Meter hoher, begehbarer, sauberer und frisch gestrichener Raum, in den die Außenluft gepumpt wird und der durch ein ausgeklügeltes System gesteuert die Luft gleichmäßig in den Zuschauerraum abgibt – ein hochkomplexes System aus Maschinen, Sensoren, Ansaugrohren, Schächten, Auslassanlagen, Befeuchtungs-, Entfeuchtungsanlagen, Ventilatoren.

Die Qualität der Luft ist also gut, wie sieht es mit der Quantität aus?

Frank Sonnemann: Im Zuschauerraum umfasst der Luftraum ca. 3700 Kubikmeter. Der Luftraum der Bühne, die ja durch die Portalöffnung mit dem Saal verbunden ist, beträgt von der Unterbühne bis zum Dach ca. 8650 Kubikmeter.

Das klingt nach viel. Und wieviel davon hat theoretisch jede:r Zuschauer:in zur Verfügung?

Frank Sonnemann: Bei einer Belegung mit 100 Zuschauer:innen, stünden jeder Person bis zu 400m³ gefilterte, frische Außenluft je Stunde zur Verfügung. Und Menschen verbrauchen in einer Stunde nur ca. einen halben Kubikmeter Luft.

Eine ganz andere Frage, wie hat die Pandemie das Arbeiten in der technischen Abteilung verändert?

Frank Sonnemann: Viele von uns sind auch am Theater, weil das Theater ein emotionaler, schöner Ort ist, an dem man sich viel näher kommt als in anderen Berufen. Die Leute sagen sich nicht einfach „Guten Tag“, sie haben Spaß sich zu berühren, sich zu umarmen. Die Menschen sind sich sehr nahe, auch körperlich. Das geht bis in die technischen Bereiche rein. Als ich jung war und anfing an der Semperoper zu arbeiten, hatte ich mal einen autoritären Chef, der mir folgenden kuriosen Auftrag erteilt hat: „Lieber Herr Sonnemann, schaffen Sie mir bitte in den Übergangszeiten zwischen Früh-und Spätschicht die Umarmungs- und Kussszenen ab, sie mindern unsere Produktivität.“ 

Die Menschen am Theater sind nicht nur näher, sondern sie sind oft auch risikobereiter.

Frank Sonnemann: In der künstlerischen Arbeit sind wir gewohnt, an Grenzen zu gehen. 

Auch du trägst im gesteckten Rahmen oft vertretbare Risiken mit. Das unterscheidet dich von vielen deiner Kolleg:innen. 

Frank Sonnemann: Ich bin ein optimistischer Mensch. Ich habe dort, wo ich technisch verantwortlich war, den Rahmen, wie weit ich gehen kann, oft ausgeschöpft. Also nicht zehn Schritte vorher gesagt, da hinten kommt ein Stoppschild, da bleib ich jetzt schon mal stehen, sondern ich finde, man sollte dann doch bis zum Stoppschild gehen.

Das ist jetzt anders.

Frank Sonnemann: Was man so liest und hört von anderen Theatern, muss man sagen, dass wir im Vergleich am Theater Bremen sehr, sehr vorsichtig sind und wir – angefangen beim Intendanten Michael Börgerding – , sehr froh sind, dass wir so vorsichtig sind. 

Auch im Haus ist die Disziplin der Mitarbeiter:innen, mit der die Corona-Regeln befolgt werden, erstaunlich hoch.

Frank Sonnemann: Obwohl uns natürlich die Regeln enorm zu schaffen machen, weil die Arbeitsabläufe viel, viel komplizierter werden.

Man denke nur an die Maskenabteilung, in der jetzt nahezu kontaktlos geschminkt werden muss. 

Frank Sonnemann: Ja, aber keiner der Mitarbeiter:innen stellt die Maßnahmen in Frage. Die Formulierung, dass Abstand jetzt die neue Solidarität ist, trifft es ganz gut. Und das gilt auch für die Beziehung zu den Zuschauer:innen. Daher ist es so wichtig, ihnen gute Luft zu verschaffen und sie so im Saal zu verteilen, dass sie angstfrei ins Theater gehen können. 

Und so werden wir, initiiert durch unsere guten Luftwerte, den Abstand zwischen den Künstler:innen auf der Bühne verringern können. Statt sechs Meter entfernt voneinander singen und spielen zu müssen, dürfen sie sich jetzt bis auf drei Meter nahe rücken.

 

Veröffentlichung: 21.08.2021