Mein lieber Schwan
Kurz vor der Lohengrin-Premiere schwant der Dramaturgin Frederike Krüger was: vom Schwanengesang über Schwanhilde zu Neuschwanstein. Warum der Entenvogel so bezaubert?
Strahlend und schön, anmutig, elegant und ein Leben lang treu – es gibt wohl kaum ein Tier, das so sehr mit romantischer Liebe verbunden ist wie der Schwan. Zwei sich zugewandte Schwäne, deren Hälse ein Herz bilden und die Valentinstagskarte ist perfekt. Dabei beflügelt der weiße Vogel (mit einer Flügelspannweite von bis zu 2,8 Metern übrigens) nicht nur die Herzen Verliebter, sondern ist schon seit der Antike immer wieder Symbol für Eleganz, Reinheit und Schönheit und taucht in allerhand Märchen und Mythen auf. In der griechischen Mythologie etwa, verführt (oder je nach Auslegung: missbraucht) der ewig untreue Zeus in Schwanengestalt die Königstochter Leda. Diese schläft in derselben Nacht auch mit ihrem Mann, dem spartanischen König Tyndareos. Daraufhin legt Leda zwei Eier mit vier Kindern: das Zwillingspaar Helena (unsterblich) und Polydeukes (sterblich) sowie Kastor (unsterblich) und Klytaimnestra (sterblich). Eine andere Version des Mythos besagt, dass die Göttin Nemesis ein von Zeus befruchtetes goldenes Ei legte und Leda dieses gefunden und ausgebrütet haben soll. Leda wäre demnach nur Pflegemutter der schönen Helena gewesen. Eine wieder andere Version besagt, dass Leda zur Göttin wurde, nachdem sie das Weltenei gelegt hatte, aus dem Kastor und Pollux, der Morgen- und Abendstern, sowie Apollo (die Sonne) geschlüpft seien. Das Sujet dieser (un-)freiwilligen Verpaarung von Zeus und Leda wurde gern und immer wieder in der Kunst aufgegriffen. Das wohl bekannteste Gemälde stammt von Leonardo da Vinci, von dem es jedoch nur Kopien gibt, das Original gilt als verschollen.
Weitere Geschichten in der griechischen Mythologie geben an, dass der Wagen Apolls von einem Schwan gezogen wurde, außerdem soll der Entenvogel die Fähigkeit besitzen, die Zukunft vorherzusagen.
„Es schwant mir“ findet sich noch heute im deutschen Sprachgebrauch und spielt auf diese Form der Intuition an. In Das hässliche Entlein oder Die sechs Schwäne hat der Schwan bei Hans Christian Andersen und den Gebrüdern Grimm seinen märchenhaften Auftritt. Auch der Ausdruck des Schwanengesangs findet seinen Ursprung in der griechischen Antike. Kurz vor ihrem Tod, so heißt es, singen Schwäne noch ein letztes Lied. Zum ersten Mal lässt sich vom Schwanengesang in der Geschichte von Phaëton lesen. Nach dessen tödlichem Sturz singt Kyknos, König der Ligurer, am Pappelhain des Flusses Eridanus wandernd ein zerreißend trauriges Lied. Das hörten die Götter und verwandelten ihn daraufhin in einen Schwan aus funkelnden Sternen – das Sternbild Cygnus am Nordsternhimmel. In der Kunst wird der Schwanengesang außerdem als Synonym für das letzte Kunstwerk eines Künstlers oder einer Künstlerin verwendet. Im Mittelalter wiederum wurde der Schwan aufgrund seines weißen Gefieders als Symbol der Reinheit in der Marien- und Christussymbolik gebraucht und beschrieb dort ebenfalls den Abschiedsgesang eines Menschen. Schwarze Schwäne kommen hingegen in der Natur sehr viel seltener vor, so dass ihr Vorkommen oft mit etwas Nichtvorstellbarem, Unerwartetem und Unwahrscheinlichen assoziiert wird. In der Wirtschaft etwa steht die Metapher „Black Swan“ für ein „historisches, ökonomisches, wirtschaftliches oder persönliches Ereignis, das von Beobachtern einerseits nicht vorhergesagt wurde, andererseits massive Folgen hat.“
Doch was hat das nun alles mit Richard Wagner zu tun? Eine ganze Menge!
Offensichtlich natürlich im Lohengrin, wird das Boot des Helden doch von einem Schwan gezogen. Aber Wagners Faszination für das Vogeltier schlug sich noch in anderen seiner Werke nieder. Im Parsifal etwa erschießt der arglose Titelheld einen Schwan und löst damit einen handfesten Skandal aus. Auch im Ring des Nibelungen ist der Schwan allgegenwärtig: In der nordischen Mythologie schwimmen im Urbrunnen, der die Weltesche bewässert, zwei Schwäne. In der Götterdämmerung erscheinen die Nornen in Schwanengestalt. Dass in der Wagner-Parodie Die lustigen Nibelungen von Oscar Straus die Walküren Helme mit Schwanenfedern auf dem Kopf tragen, kommt auch nicht von ungefähr: Odins (oder Wotans) Geister bewegen sich durch Wasser und Luft gleichermaßen leichtfällig, weil sie dies in – na klar – Schwanenkörpern tun. Kurz nach der Fertigstellung des Lohengrin konzipierte Wagner ein Werk namens Wieland der Schmied. Dort verliebt sich ein fleißiger Schmied in eine Schwanenjungfrau (ganz wagnerlike „Schwanhilde“ genannt). Vielmehr als eine grobe Skizze gibt es von diesem gefiederten Unterfangen jedoch nicht. 1861 wurde Wagner während einer Pariser Aufführung seines Tannhäuser ausgebuht und -gepfiffen. Tief betrübt zog er sich in sein Hotelzimmer zurück, aus dessen Fenster er zwei schwarze Schwäne erblickte. (Schwarze Schwäne sind übrigens in Europa nicht heimisch, sondern wurden aus ästhetischen Gründen im 19. Jahrhundert aus Australien importiert.) Wagner fühlte sich von den schwarzen Schönheiten inspiriert und komponierte sein Klavierstück Ankunft bei den schwarzen Schwänen. Richard Wagners Sohn Siegfried versuchte sich in den großen Fußstapfen seines Vaters und komponierte gleich mehrere Schwanenopern, unter anderem Schwarzschwanenreich. Es heißt, dass der schwarze Schwan dort die Identität als Außenseiter symbolisierte – Siegfried galt als homosexuell. Tschaikowskys Schwanensee zeigt möglicherweise Parallelen dazu auf, immerhin heißt der Protagonist seines Märchens ebenfalls Siegfried.
Wagners ornithologisches Faible übertrug sich nicht nur auf seine Familie, sondern auch auf seinen großen Förderer Ludwig II.
Auf den heimischen Wandgemälden hatte dessen Vater Maximilian II. die Lohengrin-Saga von Brabant auf das Schloss Hohenschwangau verlegen lassen. Nachdem Ludwig II. Wagners Schwanen-Opus gesehen hatte, verschwammen bei ihm immer mehr Wahn und Wirklichkeit, so dass der König sich selbst als Schwanenritter sah und eigens dafür ein Schloss bauen ließ. Sie ahnen es sicher – Schloss Neuschwanstein. Ludwig II. ertränkte sich selbst im Starnberger See. Eine Tat, die oft in Verbindung gebracht wird mit dem plötzlichen Verschwinden Lohengrins über das Wasser. Auf der Speisekarte landet der Schwan übrigens eher selten, aber mindestens Carl Orffs Carmina Burana empfiehlt Schwan am Spieß. Wagner selbst konnte der Uraufführung seines Lohengrin nicht beiwohnen, weil er sich dieser Tage im Schweizer Exil befand. Er beauftragte Franz Liszt mit der Realisation der Oper. Doch Wagner wäre nicht Wagner, wenn er nicht eine Idee gehabt hätte: Symbolträchtig fand er sich in einem Luzerner Gasthof mit dem Namen Zum Schwan ein, breitete seine Partitur vor sich aus und begann die Oper zu dirigieren. Angeblich soll er damit um einiges früher fertig gewesen sein als Liszt. Mein lieber Schwan!
Veröffentlicht am 11. September 2024