Mit tastendem, warmherzigem Langmut, mit zärtlicher Geduld
Zum Tod von Michael Börgerding ein Text von Ulrich Khuon, Intendant am Schauspielhaus Zürich und langjähriger Wegbegleiter und Freund.
Lieber Michael,
seit Tagen weigere ich mich, deinen Tod zu akzeptieren und ich glaube, so geht es vielen, die dich kannten, gemocht und verehrt haben. Jemand, der dir sehr nahe stand, hat über dich gesagt: „Er war ein so schöner Mensch, innen und außen.“ Das ist vielleicht die kürzeste und treffendste Umschreibung von dir. Die äußere Schönheit konnte jeder sehen, die innere Schönheit lag in einer tastenden, warmherzigen Langmut gegenüber denen, die du mochtest, aber auch gegenüber denen, mit denen du nicht übereingestimmt hast. Hinter dieser zärtlichen Geduld verbarg sich keine Erwartung auf Besserung oder Meinungsänderung, sondern eine grundsätzliche Zugewandtheit. Du warst gebildet und nachdenklich, deine Klugheit umfasste auch die emotionale Seite, das heißt, du warst empfänglich für jede Art von „Sound“, den sprachlichen und musikalischen, aber auch den Beziehungssound. Du hast Schwingungen gespürt, dein Urteil war präzise, durchgestaltet und differenziert, aber du gabst niemanden verloren, der deiner Meinung nicht folgte. Du warst ein großer Beschützer all derer, denen du nahe standst. Dein Schutz war freilich nicht lärmend und demonstrativ, sondern geradezu unsichtbar. Engel beschützen uns auf diese Weise. Kein Wunder, dass du Wim Wenders und Peter Handke liebtest, die Erfinder der „Sanftwut“. Der Regisseur Otto Schnelling kannte dich aus der gemeinsamen Arbeit am Jungen Theater Göttingen. Allein aufgrund seiner Erzählungen ahnte und wusste ich, dass wir zusammenpassen würden, schon bevor ich dich persönlich kennenlernte. Wir haben in Hannover sieben Jahre und in Hamburg fünf Jahre sehr eng und freundschaftlich zusammengearbeitet. Zweimal haben wir in dieser Zeit gemeinsam Inszenierungen zu Ende gebracht, nachdem die Regisseure abhandengekommen waren. Da hast du auch unsere gemeinsame Arbeit lautlos geschützt, so fein, dass für Momente die Idee einer eigenen künstlerischen Dimension aufleuchtete. Auch den großen Nonsense-Künstler F.K. Waechter hast du begleitet. Er war ein komischer Zauberer und Rätselerfinder, mit dir und Verena Reichhardt an der Seite wurde er dann auch zum Regisseur.
Du konntest natürlich auch kritisch eingreifen, hartnäckig sein. Immer, wenn ich mir einer Sache zu sicher war, wölbtest du die Lippen, wiegtest den Kopf und ich dachte: „Vorsicht, lieber nochmal abwarten, neu denken.“ Deine stille Sorgfalt, dein hoher Anspruch beispielsweise beim Machen von Programmbüchern oder Abschiedspublikationen war frappierend. Du konntest dich in Texte ebenso vertiefen, wie in Daten und Zahlenkolonnen. Deine Klugheit hast du weder versteckt, noch vor dir hergetragen. Auf deine stille Weise warst du auch bei deinen Freunden, wenn du nicht da warst, so kam es mir zumindest vor. Zuletzt haben wir uns nur noch über SMS-Nachrichten ausgetauscht. Selber schwer krank, hast du dich in unserem Austausch mehr meiner Sorgen angenommen, als dass du die eigenen benannt hättest. Deine letzte Nachricht Mitte Dezember war voller Wärme. Ihre Endgültigkeit habe ich nicht erkannt. „Jetzt müssen wir weiter unsere guten Gefühle und Gedanken teilen, dass sie helfen und uns stärken. Alles Liebe!“
Ich weigere mich, daran zu glauben, dass du nicht mehr bei uns bist.
Dein Uli