Morde an trans* Frauen fließen in die Statistik von Femiziden gar nicht mit ein.
Gewalt gegen Queers: Zahlen, Fakten, persönliche Gedanken und Sorgen von Heinrich Horwitz, Queer-Dramaturgie bei Sissy. Ein Beitrag aus der queeren Community.
Ich schreibe hier als betroffene Person. Als queere, nicht binäre, trans* Person, die von Hate Speech, Mord- und Vergewaltigungsandrohungen, alltäglicher Ausgrenzung und Diskriminierung betroffen ist. Ich bin wie viele von Gewalt an Queers betroffen. Es ist schwer, die Gesamtsituation umfassend zu beschreiben. Die Fülle an Themen rund um Gewalt sind umfangreich: die politischen Entwicklungen, Behörden und medizinische Versorgung, Selbstbestimmungsgesetz, Schutzräume, Alltagsdiskriminierung, Gesetze. Morde an trans* Frauen fließen in die Statistik von Femiziden gar nicht mit ein. Die durchschnittliche Lebenserwartung, zumindest von trans* Menschen in zum Beispiel Lateinamerika, habe ich mit 41 Jahren bereits überschritten. Sie liegt auf Grund von Gewaltdelikten, Suiziden, HIV und weiteren Risiken bei 35 Jahren – wobei sich diese Zahl je nach Gleichberechtigung und Sichtbarkeit global unterschiedet.
In den letzten Jahren steigt mit zunehmender Sichtbarkeit auch der Hass gegen Queers.
2023 gab es fast 50 Prozent mehr Straftaten als im Jahr davor und seit 2010 haben sie sich fast verzehnfacht. Die Dunkelziffer – so nehmen die meisten Studien an – ist wesentlich höher als die bekannten Gewaltdelikte. Die Angriffe auf die größer werdenden CSDs nehmen zu. Die BKA meldet den Anstieg, der Bundestag debattiert über die Hasskriminalität – und trotzdem wird die Regenbogenfahne 2025 zum Christopher Street Day nicht gehisst – obwohl dieser Tag auch den Opfern queerer Gewalt gedenkt. Es finden sich kaum Queers in Leitungspositionen, in der Politik, in den entscheidenden, mitgestaltenden Positionen unseres Landes, die unsere Stimmen und unsere Sorgen vertreten könnten. Wir sind immer noch Token, dienen also als Alibi symbolischer Repräsentation oder werden nur dann hervorgeholt, wenn es den Zahlen taugt. Wir laufen immer Gefahr, dadurch wieder mehr Ausgrenzung zu erfahren.
Keine Sicherheit durch den Staat
Die queere Community scheint im Fokus von Hass und Ausgrenzung zu stehen, der Rechtsruck, auch in den politischen Reihen weltweit, die Absprache oder der Versuch des Verbots gendersensibler Sprache (auch von Seiten der Kulturpolitik – wtf, das ist wie das erneute Absprechen meiner Identität), die Sparpolitik rund um queere Projekte sind Indizien einer Rückläufigkeit der Schutzräume und ein Angriff auf queere Gleichberechtigung. Der Kampf um gleiche Rechte, gleichen Schutz, gleiche Arbeitsbedingungen, gleiche Versorgung scheint mit einem Schlag ins Gesicht gestoppt zu sein. Es ist schwer zu begreifen, warum wir dieser Gewalt ausgesetzt sind und wichtig zu verstehen, dass es hierfür kaum ein Netz, kaum Räume oder Infrastrukturen gibt, die diese Ungleichheit spiegeln, sichtbar machen. Es ist für viele Queers (vor allem nicht binäre und trans* Menschen) gefährlich, die Polizei zu kontaktieren. Uns wird seltener geglaubt, es gibt immer noch ein othering, eine Abgrenzung durch die Zuschreibung der Fremdheit, und dadurch keine Gleichbehandlung im Umgang und dem Ersuchen von Hilfe, Polizeigewalt. Es fehlt an Wissen, an Sensibilisierung und ja, Weichheit auch. Es ist nicht sicher für uns in Behörden, in öffentlichen Räumen, in Krankenhäusern oder bei Ärzt:innen, es ist nicht sicher, gängige Wege zu beschreiten, um nach Unterstützung zu fragen. Die Hasskriminalitiät im Netz ist kaum zu ahnden, ein Schutz hier kaum möglich.
Allyship (kontinuierliche und aktive Solidarität mit marginalisierten Gruppen)
Und doch wäre die Sicherheit von Queers ein demokratischer Akt der Hinwendung – wir alle sind ja Teil der Gesellschaft. Und mehr noch, wir bilden mit anderen Marginalsierten die größere Mehrheit der Gesellschaft, gegenüber der Wenigen, die Macht innehaben. Aber Gewalt setzt sich immer fort, transgenerational, Traumata schreiben sich in die tiefen Furchen unserer Zukunft ein. Wir müssen aktiv arbeiten, um dem etwas entgegenzudenken, andere Narrative zu erschaffen, solidarische Care–Gemeinschaften zu kreieren und Empathie zu schüren. Wir brauchen Allys. Nachdem der Staat immer wieder Möglichkeiten nach Mitsprache, Sichtbarkeit und Gleichberechtigung suggeriert, setzen diese sich kaum in unserem Alltag um. Wenn das Selbstbestimmungsgesetz eine dritte Option eröffnet, diese aber ständig und überall zu Diskriminierungen und potenzieller Gefahr wird – ist die Selbstbestimmung in weiter Ferne. Es gibt keinen fundierten staatlichen Schutz, es gibt keine Absicherung und es gibt keine Aussicht, dass sich das ändert. Es gibt Schutz in der eigenen Blase, in der eigenen Wahlfamilie. Aber auch diese Form der Familie findet keine Anerkennung (während des Lockdowns zum Beispiel wurde sehr deutlich, wer als Familie gilt).
Die Gewalt ist real.
Die Gewalt passiert uns allen, ständig, überall, in Großstädten, Kleinstädten, auf dem Land, zu Hause. Sie passiert in Mikroverletzungen und sie passiert in Morden und Gewalttaten. Sie passiert, wenn ich jetzt wieder viel mehr meinen Ausweis zeigen muss, wenn ich Kommentare, Beschimpfungen, Beleidigungen und tätliche Angriffe erlebe. Wir brauchen den Schutz der Gemeinschaft, wir brauchen die Solidarität von Menschen, die dieser Gewalt nicht ausgesetzt sind, wir brauchen neue Geschichte, Rückzugsorte, Sicherheit und Alltäglichkeit – und wir brauchen wieder die Idee von einer Gesellschaft der Liebe. Heute, morgen für uns alle.
Veröffentlicht am 25. November 2025.