Natur & Theater. Wie geht Zukunftszuversicht?

Dr. Elisabeth Hollerweger, Literaturwissenschaftlerin an der Uni Bremen, spricht anlässlich der Inszenierungen Wasserwelt. Das Musical und Sonne / Luft mit Dramaturg Stefan Bläske über Nachhaltigkeitsthemen in der Kunst und die Kraft von Theater.

Stefan Bläske: Wenn in Romanen, Filmen oder Theaterstücken die Zukunft erzählt, also erfunden wird, geht es selten utopisch, meist eher düster zu.

Elisabeth Hollerweger: Ja, erzählt werden medienübergreifend in erster Linie Dystopien – einfach, weil sich in einer aus den Fugen geratenen Welt die spannenderen Geschichten ergeben. Aber ob man daraus voller Tatendrang oder Resignation herausgeht, ist individuell sehr unterschiedlich. 

Die aktuelle Stimmung wirkt eher resigniert. Könnten positivere Erzählungen mehr Mut machen? 

In letzter Zeit wurden vermehrt Forderungen nach positiven Zukunftsnarrativen laut und ich frage mich, wie Utopien aussehen müssten, die Zukunftszuversicht verbreiten, Lust auf ein gemeinsames Morgen machen und trotzdem oder gerade deshalb spannend und erzählenswert sind. Denn wenn man Geschichten nur noch als Mittel zum Zweck begreift, Wissen und Werte zu vermitteln – und diese Tendenz zeichnet sich zum Beispiel im Bilderbuch auf eine besorgniserregende Weise ab – verlieren sie genau das, was man ihnen eigentlich zugutehält: das immersive Potential.

Zum Mitfühlen und Eintauchen braucht es Tragödien? 

Die sogenannte Solarpunk-Bewegung hat sich zwar einem „Science-Fiction-Optimismus“ verschrieben, aber auch dabei gehen die Darstellungen einer perfekten Welt auf Kosten einer mitreißenden Dramaturgie. Was daraus entsteht, sind sicher erstrebenswerte, aber eben eher langweilige Idyllen. Etwas plakativ, aber anschaulich ist der Kontrast im Stück Fifty-Fifty – Wie die Welt wird. Eine Klasse soll für Ethik „Mein Leben in 30 Jahren“ beschreiben, dabei entstehen schnell zwei Lager und gegensätzliche Geschichten: Während in der zerstörten Welt jeder gegen jeden ums Überleben kämpfen muss, begegnen sich die Menschen in der idealen Welt mit Komplimenten, Blumen und Unterstützung. Welchen Handlungsstrang verfolgt man da wohl gebannter?

Forschungen dazu, welche Rolle Literatur und Kunst in Bezug auf Bildung und Nachhaltigkeit spielen, gibt es schon länger? 

Die Kernidee einer literarisch-kulturellen Bildung für nachhaltige Entwicklung wurzelt in der Forschungsrichtung des sogenannten „Ecocriticism“. Die ist im Zuge der Umweltbewegung der 1970er Jahre in den USA entstanden. Ihren Vertreter:innen ging und geht es um eine „Neuausrichtung“ der Literatur- und Kulturwissenschaft – weg vom Elfenbeinturm hinein in die Mitte der Gesellschaft. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass Literatur und die Künste das Verhältnis von Mensch und Umwelt nicht nur widerspiegeln, sondern auch prägen – dass unser Verständnis von Natur also auch von der Kultur abhängt, die uns umgibt. 

Was wird da untersucht?

Wie Natur und Umwelt in unterschiedlichen Gattungen, Genres und Medien dargestellt werden und welche Funktionen solche ästhetisch gestalteten Erzählungen für die Entwicklung von Nachhaltigkeitsbewusstsein zukommen. Besonders einschlägig ist dabei das Modell von Hubert Zapf, der drei Funktionen unterscheidet: Erzählungen können Zapf zufolge durch die negative Darstellung von kulturellen Fehlentwicklungen Kritik üben („kritische Funktion“). Sie können durch die positive Darstellung von alternativen Handlungsmöglichkeiten Gegenmodelle aufzeigen („imaginative Funktion“). Und sie können in der Fiktion Dinge zusammendenken, die im öffentlichen Diskurs getrennt voneinander betrachtet werden und damit auch neue Ideen in die Welt bringen („reintegrative Funktion“).

Welche Werke, Genres oder Medien sind besonders wirkmächtig?

Großes Potential wird den sogenannten Future Fictions zugeschrieben, also Werken, die Zukunftsszenarien ausgestalten und damit einerseits abstrakte Prognosen in einer in sich geschlossenen Welt konkret erfahrbar machen und andererseits auch dazu herausfordern, die Gegenwart aus Perspektive einer möglichen Zukunft neu zu sehen. Auch in der Zukunftsforschung werden Erzählungen als Schlüssel gesehen, um Imaginationsarmut zu überwinden und dadurch aktiv an einer besseren Zukunft mitzuwirken. Ob eher die Dystopien oder die Utopien dazu beitragen, dass Menschen vom Wissen zum Handeln kommen, darüber herrscht Uneinigkeit.

Welche Rolle kann das Theater spielen?

Das Theater bietet die Möglichkeit, innerhalb eines festgelegten einzigartigen Raum-Zeit-Kontinuums Welten zu erschaffen und damit sowohl kulturelle Fehlentwicklungen als auch imaginative Alternativen mit allen Sinnen spür- und fühlbar zu machen. Damit verfügt es über besonders hohes immersives Potential, das für die auch emotionale Vergegenwärtigung von vermeidenswerten und wünschenswerten Zukünften unabdingbar ist.

Hast du Beispiele?

Wir können mit zwei konsumverliebten Hasen mitfiebern, die mit der Vorhersage konfrontiert sind, dass ihr Planet in zehn Tagen explodiert, wie in Tina Müllers Planet der Hasen. Wir können um Ehsan bangen, der es in einer Welt, „in der die Hoffnung echt Migräne hat“ nicht mehr aushält, wie in Gwendoline Soublins Und alles. Wir können an einem Abend von Klimafolgen in Bangladesch, Kenia, Pakistan, Kalifornien erfasst werden wie bei Michael Rufs Die Klima-Monologe. Wir können mit einem kleinen Krebs in der Tiefsee mitfiebern wie bei Wasserwelt. Das Musical und sogar die Perspektiven von Sonne und Luft einnehmen wie bei Elfriede Jelineks Sonne / Luft. Idealerweise sehen wir danach unsere eigene Welt differenzierter als zuvor.

 

Am 22. November 2024 um 19.30 Uhr ist Elisabeth Hollerweger zwischen zwei Wasserwelt-Vorstellungen am Theater Bremen zum Gespräch: „Naturschauspiel. Über Natur und Nachhaltigkeit in der Kunst“, Eintritt frei!

 

 

Veröffentlicht am 5. November 2024