„Nochmal ein Stückchen Zuhause als Gast“
Seine Stimme war in Hallo Spencer und der Muppet Show zu hören, auf Bremer Bühnen ist er ohnehin als Schauspieler und Regisseur bekannt: Martin Leßmann gibt nach fast fünfzig Theaterjahren die Bühne auf und verabschiedet sich mit seinem Solo-Stück im Brauhauskeller.
Ich erwarte jetzt irgendwie, dass mir Ihre Stimme vertraut ist, weil ich als Kind wirklich gern Hallo Spencer geguckt habe. Sie haben den Kasi gesprochen und auch der Puppe Leben eingehaucht?
Martin Leßmann: Ich habe den Kasi gleichzeitig gespielt und gesprochen. Das war Ende der 80er Jahre, Anfang der 90er Jahre, dann nochmal für ein paar Folgen Anfang 2000. Und jetzt haben wir einen Film gedreht, auf Initiative von Jan Böhmermann. Viele der damaligen Puppenspieler waren dabei, im Dezember wird er auch im ZDF ausgestrahlt: Hallo Spencer – Der Film.
Hat Kasi Sie begleitet in den letzten dreißig Jahren?
Am Set haben mich alle gefragt, wie das ist, wieder in den Kasi zu schlüpfen. Für mich war das aber gar kein fremdes Gefühl, denn er hat mich immer begleitet: Kasi, das ist eine Seite von mir, dieses Zarte, Verletzliche, Kindliche. Die Puppen und ihre Charaktere werden ja nicht älter. Das ist das Schöne. Einerseits. Andererseits ist es auch schön, wenn man sich weiterentwickelt. Im Grunde gibt es in meiner Laufbahn nur zwei große Klammern: Kasi und das Moks. Mit beiden bin ich seit Mitte der 1980er Jahre verbunden.
Sie haben in den 70er Jahren in Marburg und Göttingen Germanistik, Anglistik und Pädagogik studiert. Wollten Sie ursprünglich Lehrer werden? Und warum sind Sie es nicht geworden, was hat keinen Spaß gemacht: Germanistik, Anglistik oder Pädagogik?
Es war eher umgekehrt, ich wollte Schauspieler werden, hatte aber nicht das Zutrauen, an eine Schauspielschule zu gehen. Ich war noch nicht reif und habe die Chance genutzt, in Marburg und Göttingen Studenten-Theater zu machen – das war eher ein Parkstudium, obwohl ich Germanistik mochte, ich habe mich mit Lyrik und Theaterliteratur befasst.
Dann sind Sie an die Hochschule für Musik und Theater Hannover gewechselt und haben ein Schauspiel- und Spielleiter-Diplom gemacht. Sie haben ziemlich viel Kinder- und Jugendtheater gemacht. Aber dann wollten Sie weg vom Kinder- und Jugendtheater. Warum?
Gute Frage. Damals war ich Ende Zwanzig, vielleicht bin ich den Warnungen von außen zu sehr aufgesessen, dass, wenn man mit Kinder- und Jugendtheater anfängt, man da nie mehr weg kommt. Deswegen habe ich mich im Bremer Schauspielensemble beworben und habe im Weihnachtsstück mitgespielt, 1985: Vom dicken Schwein, das dünn werden wollte. Ich hatte viele Nebenrollen, ich war eine Sonne, zwischendurch ein Elefant, der über den Hühnerhof geistert, dann bin ich als Abend, der aufs Land herniederfällt, in einem Batman-Kostüm mit Biene-Maja-Flügeln mehrfach aus einer Tonne gesprungen. Bei der dritten Vorstellung habe ich mir das Kreuzband gerissen. Als ich wieder gesund war, suchte das Moks Leute und ich bin wieder zum Kinder- und Jugendtheater zurück. Erst zweieinhalb Jahre als festangestellter Schauspieler, Mitte der 90er Jahre dann als Leiter. Danach war ich immer mal wieder als Gast dort. Heute kann ich sagen: Diese Verbindung zum jungen Publikum, die hat mir den Sinn von Theater immer spürbar gemacht. Ich würde das Kinder- und Jugendtheater heute nie mehr infrage stellen. Das war die Erfüllung.
Ich habe mich ein bisschen auf Ihrer Homepage umgeschaut und auch Ihre Vita angeklickt und ich muss sagen: Die ist echt lang. Puppenspiel, Regie, Leitung des Moks, Theaterschauspieler, Sprecher, Filme … und jetzt hören Sie auf? Bei so einer vielfältigen Vita würde ich einen umtriebigen, nimmermüden Menschen vermuten …
Jo, hab‘ ich auch gedacht. Der Kreuzbandriss damals war ein Einschnitt – seitdem versuche ich, mehr auf mich zu achten. Nach meinem Engagement am Moks war ich in der freien Szene tätig und habe vierzehn Jahre als Gast am Bremer Kriminaltheater gearbeitet. Ich habe aber jetzt gesagt, dass ich keine sportiven Stücke mehr spielen kann. Das macht mir in dem Moment auf der Bühne zwar Spaß, aber ich brauche zwei bis drei Tage, bis sich mein Körper davon erholt. Ein ruhigeres Stück gibt es, das würde ich noch weiterspielen. Aber auch meine Solostücke, wie jetzt Herrn Jules, sind körperlich anspruchsvoll. Ich arbeite als freier Theatermacher, also muss ich alles allein machen: vorher aufbauen, hinterher abbauen. Die Termine organisieren. Veranstalter finden. Wie lange will ich mir das abverlangen? Das muss man sich doch auch nicht mehr zumuten mit 67 Jahren.
Für Ihre letzten Auftritte haben Sie sich ein Theatersolo ausgesucht, das Stück heißt Ein Tag mit Herrn Jules, geschrieben nach der Novelle von Diane Broeckhoven. Um was geht es?
Ich spiele mehrere Rollen: Herrn Jules, der ist gestorben. Seine Frau, Alice, die um ihn trauert. Den Nachbarsjungen David, der autistisch ist und auf seinem täglichen Schachspiel mit Herrn Jules besteht. Alice findet ihren Mann am Morgen tot, möchte aber mit ihm noch ein bisschen allein sein, noch nicht das Bestattungsinstitut anrufen, nicht ihren Sohn. In diese Situation kommt dann David dazu.
Das ist ein Stück über Abschied und Loslassen, über den Tod. Kein leichtes Thema. Warum liegt es Ihnen am Herzen?
Das hat sich ergeben aus einem Stück, Du bist meine Mutter von Joop Admiraal, das ich gemeinsam mit einem Musikerkollegen 13 Jahre lang gespielt habe. Wir haben das nicht nur in Theatern, sondern auch für Hospizdienste, Kirchengemeinden und Alzheimergesellschaften gespielt. Später hat die Hospizbegleiterin meiner Mutter mich auf die Novelle Ein Tag mit Herrn Jules aufmerksam gemacht und das habe ich dann 2018 rausgebracht. Es ist toll, wie einfühlsam Broeckhoven alle Figuren beschreibt, man kann ein großes Spektrum von Gefühlen in der Trauer zeigen. Alice versucht zudem, im Selbstgespräch viel zu bewältigen, das macht deutlich: Die Sprache ist ein wichtiger Halt im Leben.
Sie spielen im Brauhauskeller – was ist das für ein Gefühl, wieder am Moks zu spielen?
Ich denke, es wird ähnlich, wie jetzt für den Film nach zwanzig, dreißig Jahren wieder in den Kasi zu schlüpfen: vertraut. Um mit Brecht zu sprechen: erschreckend, wie wenig sich verändert. Aber dann auch wieder schön. Es ist ja nicht so, dass ich nicht mehr Theaterspielen möchte, aber das Drumherum, das Schleppen, das Aufbauen, das Kommunizieren, das ist alles zu viel. Das Spielen selbst hat was Göttliches. Mich beleuchten wird übrigens Jörg Hartenstein, der ist langjähriger Mitarbeiter am Moks, den habe ich in den 90er Jahren angestellt. Das ist natürlich eine besondere Verbundenheit. Nochmal ein Stückchen Zuhause als Gast …
Womit werden Sie den Tag füllen, wenn Sie kein Theater mehr machen?
Seit zehn Jahren lebe ich im Haus meines verstorbenen Vaters in der Lüneburger Heide. Das hat einen großen Garten: Garten und Theater, das habe ich die letzten zehn Jahre gemacht, schöne Jahre waren das in diesem Zusammenspiel. Und jetzt gebe ich mich vor allem der Natur hin, den Jahreszeiten. Aber es wird sich erst zeigen, ob mir die Bühnenkunst und das Publikum nicht doch ein wenig fehlen.
Möchten Sie noch was Sentimentales zum Abschied sagen?
Uiii. (überlegt einen Moment) Also das Sentimentalste ist die Erkenntnis, dass mich das Spielen und die Begegnung mit dem Publikum immer glücklich gemacht hat. Man steht auf der Bühne, teilweise allein, und die Menschen wenden sich einem zu, sie schauen einen an, und ich trage die Verantwortung, Ihnen etwas mitzuteilen. Ob ich ohne diesen besonderen, magischen Dialog auskomme, das wird sich zeigen ...
Veröffentlicht am 14. November 2024