Plastik on tour – Bozen, Brünn und Gütersloh

Über den Technischen Direktor und Herausforderungen, wenn Der Schimmelreiter auf Reisen geht. Frank Sonnemann im Gespräch mit Simone Sterr.

Seine Bürofenster sind dicht zugewachsen. Macht nichts. Im Gegenteil. Manchmal schaukelt ein Vogel in den Blättern. Frank Sonnemann freut sich an solchen Szenen. Er liebt die Natur. Und er liebt das Theater. In Der Schimmelreiter kommt beides zusammen. Wir sprechen über Verantwortung und Begeisterung, Kreativität und Pragmatismus, Kunst und Technik und darüber, wie gute Kompromisse aussehen. Zum Beispiel, wenn ein kompliziertes Bühnenbild auf Gastspielreise geht.

Simone Sterr: Frank, seit 2010 bist du als Technischer Direktor am Theater Bremen. Eine Menge Verantwortung.

Frank Sonnemann: Ich bin sehr gerne verantwortlich. Für das Gebäude, die Infrastruktur, die Sicherheitsvorschriften, die baulichen Veränderungen im Hinblick auf die aktuellen Themen Inklusion, Barrierefreiheit, Energiehaushalt, Gebäudedämmung. Und natürlich für die Menschen. Von den 440 Leuten, die am Theater Bremen arbeiten, bin ich für die 150 Mitarbeiter*innen des technischen Bereichs zuständig. Das sind die Leute in den Werkstätten, Deko, Tischlerei, Schlosserei, Malsaal, um die sich mein Werkstattleiter und Stellvertreter kümmert und die Leute der Ton-, Licht- und Videoabteilung, der Bühnentechnik und der Transportabteilung. Bis auf Kostüm und Maske ist das ganze nichtkünstlerische Personal mein Bereich. Und wir alle sorgen dafür, dass die, die auf der Bühne sind, angstfrei und konzentriert Theaterspielen können.

Simone Sterr: „Nichtkünstlerisches Personal“. Das ist doch kein schöner Ausdruck. 

Frank Sonnemann: Ich finde den Ausdruck nicht despektierlich. Überhaupt nicht. Ich mag ihn sogar. Denn zum Theater gehören auch die praktischen Dinge, die sich mit der Schwerkraft des Lebens beschäftigen, mit Materialien, mit Zahlen, Zeichnungen, recht kalten Dingen. Je mehr die Menschen, die das machen, an den künstlerischen Sachen, die auf der Bühne passieren, Spaß haben, umso besser. Aber auch diejenigen, die ganz nüchtern ihre Arbeit machen, sind wertvoll und produktiv, weil sie genau arbeiten, weil sie die Physik beachten. Das Theater braucht Realisten. Wenn wir alle unsere Varianten und Vorschläge probieren und diskutieren, dann würden wir einfach nie fertig werden.

Simone Sterr: Zu viel Ideen sind nicht gut für ein Theater?

Frank Sonnemann: Na, ja. Ein bisschen mehr Pragmatismus würde ich uns manchmal schon wünschen.

Simone Sterr: Heißt Pragmatismus auch „Nein“ sagen? Das hört man von dir aber ziemlich selten.

Frank Sonnemann: Meine große Schwäche. Die meiner Kolleg*innen auch.

Simone Sterr: Das ist doch sympathisch.

Frank Sonnemann: Ich liege den Künstler*innen zu Füßen, bewundere, was sie machen. Aber vor lauter Ergriffenheit darf man nicht vergessen: von uns muss das Handfeste kommen, das Klare, das Sichere.

Simone Sterr: Und manchmal ist das ein klares „Nein“?

Frank Sonnemann: Ja!

Simone Sterr: Kommen wir zum schönsten Teil deiner Arbeit: dem Realisieren von Bühnenentwürfen. Hat jedes neue Bühnenmodell einen Wow-Effekt für dich?

Frank Sonnemann: Mit Ende vierzig habe ich nach hinten geschaut und nach vorne gedacht und hatte die schreckliche Vision, dass es mir mal langweilig werden könnte. Dann kam ich ans Theater Bremen und ich bin schier geplatzt vor Freude darüber, mit so vielen neuen Dingen konfrontiert zu sein. Sehr junge Leute mit sehr anderen Ideen. Da war ich begeistert und bin sehr froh über diese Überraschung. So ein traditionelles Bühnenbild, mit Wand, Gasse, Tür auf, Tür zu, Soffitte, da habe ich schon meine Probleme damit. Das ganz Andere, Besondere, die Überraschung ist anstrengend, weil man nicht aus der Erfahrung schöpfen kann aber es ist das, was am meisten Spaß macht.

Simone Sterr: Bist du bei Thomas Ruperts Entwurf von Der Schimmelreiter auch geplatzt vor Freude? Eine Bühne aus gesammeltem Plastikmüll, dann wächst da ein Plastiktütenbaum und es sollen sich aus diesem Müll heraus auch noch Pferde bewegen?!

Frank Sonnemann: Große Begeisterung. Ja. Für diese ganze Produktion. Es beginnt beim Schulstoff, der mich schon als Kind fasziniert hat. Der Norden, die Nordsee, das war für mich ein unbekannter, geheimnisumwitterter Sehnsuchtsort. Ich habe mir vorgestellt, da oben könnte ich sogar einem Wal begegnen. Und dann war mein Blues als Jugendlicher neben der Opposition zum DDR-System, die Umweltproblematik. Die dünnhäutigen Schalen der Greifvögel, das Insektizid DDT, die unendlich schmutzigen Flüsse. Das hat mich sehr traurig gemacht. Dass ich diesen Umweltgedanken, der mich schon immer begleitet hat, im Theater umsetzen kann, mitarbeiten kann, eine Botschaft zu senden, ist für mich das pure Glück. Und dann zeigte mir Thomas Rupert ein Video von Leuten, die diese dünnen, blöden Abfalltüten zusammenkleben, daraus kleine Tiere machen, diese an Luftschächte in der U-Bahn binden und durch den Druck der einfahrenden Züge nehmen die schlappen Hüllen Gestalt an. Ich habe mich kaputtgefreut.

Simone Sterr: Und dann habt ihr zwei Tiere „gebaut“?

Frank Sonnemann: … wir haben U-Bahn gespielt. Wir haben versucht, große Luftmengen so zu steuern, dass die Tiere nicht nur plastisch werden, sondern sich unberechenbar verhalten. Ich bin leidenschaftlicher Naturbeobachter. Und ich finde, dass diese luftigen Tiere eine unwahrscheinliche Nähe zu ihrem tatsächlichen Verhalten haben. Die Nervosität, die Muskelanspannung, das entsteht lebensecht durch die zufälligen Bewegungen der Luft. Auf der einen Seite ist das abstrakt, auf der anderen Seite kommt der Schimmel konkret und bildhaft auf die Bühne. Toll.

Simone Sterr: Und dann geht die Produktion auch noch mehrmals auf Gastspiel. Hast du sofort gewusst, ob und wie wir das auch an anderen Orten hinkriegen?

Frank Sonnemann: Wir haben ja bei uns sehr viel experimentiert mit der Luftzufuhr, den großen Ventilatoren, der Problematik, dass auch die anderen Tüten angesaugt werden usw.. Das ging bis dahin, dass wir, um den Luftzug zu steigern, die Türen auf der Unterbühne aufgemacht haben. Solche Spielchen können wir am Gastspielort ja nicht machen. Ich dachte also schon: „Oh. Das wird schwierig.“

Simone Sterr: Dann habt ihr etwas überlegt, das auf Anhieb überall funktioniert?

Frank Sonnemann: Andreas Düchting, der Bühnenmeister, hatte die gute Idee, einen Stahlbau zu konstruieren, der auf allen Bühnen gestellt werden kann und der gleich mehrere Funktionen hat. Er stützt den stark bespielten Baum, schafft uns die zweite Ebene, die wir hier in Bremen durch Hochfahren eines in die Bühne eingelassenen Podiums herstellen, und der Hohlraum der Konstruktionen wird zu Trickkiste. Die Lüfter und Ventilatoren, die die Pferde lebendig machen, sind dort versteckt.

Simone Sterr: Wir bringen die Luft also selber mit?

Frank Sonnemann: Unseren Luftraum, den bühnentechnischen Orbit, den haben wir dabei, ja.

Simone Sterr: Ganz so wie „zu Hause“ ist es aber nicht, auch wenn in Bozen, Gütersloh, Coesfeld und Brünn der Schimmel galoppiert?

Frank Sonnemann: Wir haben eine Variante gefunden, die ähnlich schön ist. Anders schön.

Simone Sterr: Ein guter Kompromiss, der nicht weh tut … ist das Teil des Jobs: gute Kompromisse finden?

Frank Sonnemann: Hier arbeiten viele Menschen mit unterschiedlichen Charakteren und Wünschen. Gerade im Zusammenspiel von Kunst und Technik werden oft Kompromisse gesucht und gefunden. Oft sind das die besseren Lösungen, als die anfängliche 100% Forderung.

Simone Sterr: Als Pragmatiker und Realist: Wie sieht das denn aus, wenn wir beispielsweise nach Bozen fahren?

Frank Sonnemann: Erstmal schaut sich einer von uns das Theater, an dem wir zu Gast sein werden, an, holt Grundrisse, den Schnitt des Gebäudes und der Bühne, informiert sich also über die Grundlagen, schaut sich die Transportwege an, was für Rampen, Wege, Lifte es gibt und bespricht, wie viel helfendes Personal es vor Ort geben wird. Dann zeichnen wir den Grundriss unseres Bühnenbildes in den der anderen Bühne und sehen daran, wie die Dimensionen sich unterscheiden und was beim Gastspiel selbst dann angepasst werden muss. Beim Schimmelreiter ist das Transportvolumen leicht zu berechnen, die Stahlkonstruktion ist schnell erfasst, auch der Müll und der Aushang ist gut in Zahlen zu fassen und zu vermitteln. Dann kommt alles in Container und wird an den Gastspielort gefahren.

Simone Sterr: Wie viele Menschen machen sich dann auf den Weg?

Frank Sonnemann: So wenig wie möglich. Das ist ja auch eine Frage der Ökonomie und bei uns muss der Spielbetrieb ja auch weiter gehen. Vier Menschen Bühnentechnik, ein Bühnenmeister, ein Beleuchtungsmeister, jeweils ein bis zwei Menschen von Ton, Requisite, Kostüm, Maske, also unter zwölf Leuten, geht das nicht.

Simone Sterr: … das Ensemble sollte auch noch mit. Und alle fahren umweltfreundlich mit der Bahn … macht so ein Gastspiel eigentlich Spaß?

Frank Sonnemann: Ich war früher sehr viel auf Gastspielreisen. Ich habe Europa kennengelernt durch das Theater. Ich habe es immer als ein aufregendes, lustiges, die Kollektive verbindendes, freundschaftliches, großes Erfolgserlebnis erlebt.

Simone Sterr: Na dann. Nix wie los!