Rassismen am Theater? Aktivistin und Autorin Tupoka Ogette im Interview
Gespräch mit der Referentin für interkulturelle Öffnung, Ferdaouss Adda, über rassismuskritische Seminare
Tupoka, im Magazin Nr. 03 des Schauspiel Köln mit dem Titel MACHT erzählst du, wie du als Jugendliche überlegt hast, den Schauspielberuf zu ergreifen und beschreibst, welche einschneidende Erfahrung du damals als Teenager bei einer Theaterproduktion machen musstest. Heute bist du Autorin und Trainerin und richtest rassismuskritische Workshops aus, u. a. bei uns im Theater Bremen. Was hat sich seit deiner Erfahrung damals in der Theaterlandschaft geändert?
Tupoka Ogette: Wenn ich die Erzählungen von Schwarzen und Person of Color Schauspieler*innen höre über die Erfahrungen, die sie machen, denke ich oft, dass sich wirklich wenig geändert hat. Die Erfahrungen wiederholen sich wieder und wieder. Grenzüberschreitungen, rassistische Mikro-, und Makroagressionen im Ensemble, durch die Regisseur*innen, die Reproduktion von Rassismus in den Stücken selbst. Es ist oft ziemlich enttäuschend. Aber zugleich gibt es immer mehr Bewegung innerhalb der Theaterlandschaft. Im theaterpädagogischen Bereich bekommen wir bereits seit vier, fünf Jahren immer mehr Aufträge. Menschen, die in ihrer Arbeit rassismuskritischer werden möchten, neue Wege gehen, die Perspektive erweitern. Und auch die Theater selbst machen sich auf den Weg, so wie das Theater Bremen, das wir nun seit einiger Zeit begleiten dürfen. Das ist stark, eine klare Signalwirkung und gibt Hoffnung, auch wenn dies oft eine bottom up Bewegung ist. Sie wird eingefordert, von „unten“, oft von den Person of Color und Schwarzen Schauspieler*innen selbst, die es einfach leid sind, bestimmte Erfahrungen immer und immer wieder zu machen. Die Regisseure und Intendanz müssen oft noch zum Jagen getragen werden. Aber es gibt auch wahre Lichtblicke.
Das Theater Bremen hat im Rahmen seiner Probenarbeit für das Stück Die Abenteuer des Huckleberry Finn Kontakt zu dir aufgenommen. Du warst hierbei beratend tätig. Wie sah das aus?
Tupoka Ogette: Das war ein wirklich spannender Prozess. Wir haben gemeinsam mit Simon Zigah, dem Schauspieler, der Jim spielte, den Text gelesen und rassismuskritisch überarbeitet. Dabei ging es einerseits um das Ersetzen von rassifizierenden Fremdbeschreibungen, konkret ist im Text zum Beispiel von Jim als „Sklaven“ die Rede, das ist ja aber einerseits für den Schauspieler selbst und auch für die Kinder im Publikum, die von Rassismus betroffen sind, schmerzhaft und triggernd. Es ging aber auch darum, die Figur des Jim aus der Rolle des hilflosen und eindimensionalen Freunds von Huck umzuwandeln in einen komplexeren und vor allem selbstbestimmten Charakter. Und zu guter Letzt ging es in diesem Prozess auch um Empowerment, das heißt um Ermächtigung. So eine Rolle zu spielen, fordert unglaubliche Kraft. Da gut mit den eigenen Ressourcen zu haushalten, Wege zu finden mit Verletzungen umzugehen und sich selbst immer wieder zu erden, dabei haben wir Simon Zigah unterstützt. Wichtig dabei ist: Das gesamte Ensemble hat sich auf diesen Prozess eingelassen. Das war sicherlich auch emotional immer wieder schwierig. Ich finde das sehr bewundernswert. Und das Stück spricht für sich. So empowernd, so stark.
In einer immer komplexer und diverser werdenden Gesellschaft: Wie wichtig ist es das Repertoire, Texte, Stoffe neu und rassismuskritisch zu lesen und zu denken? Welche Rolle spielt die Sprache?
Tupoka Ogette: Sie ist natürlich wesentlich. Sprache bildet Wirklichkeit ab, etabliert alteingesessene Machtstrukturen immer wieder neu. Sie bestimmt, wer sichtbar ist und wer nicht. Wer angesprochen ist, wer gemeint ist und wer nicht. Welche Perspektive immer wieder gehört wird und als Maßstab gesetzt und welche Perspektiven kein Gehör bekommen. Aber Sprache kann auch für wertschätzende, diskriminierungsärmere Räume sorgen. Ich glaube, es führt kein Weg daran vorbei, Texte, das Repertoire und die Stoffe zu überarbeiten und vor allem auch neu zu schreiben.
Während der Arbeit am Stück „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“ wuchs bei den Beteiligten der Produktion der Bedarf nach einer Auseinandersetzung mit Mechanismen von Darstellung und Vermittlung von überlieferten diskriminierenden Zuschreibungen. In der Spielzeit 2018/19 hast du zwei Workshops im Theater Bremen ausgerichtet, zwei weitere werden im ersten Quartal der Spielzeit 2019/20 stattfinden. Kannst du die Inhalte der Workshops skizzieren?
Tupoka Ogette: In den Workshops nehme ich die Teilnehmenden auf eine rassismuskritische Reise mit. Es handelt sich um eine Erstsensibilisierung, in der es darum geht, zu verstehen, was Rassismus genau bedeutet, wie er definiert ist, wie er historisch einzuordnen ist und vor allem, wie die eigene Position dazu ist. Dazu gehört auch die Beschäftigung mit den eigenen weißen Privilegien und der Funktion von gesellschaftlichen, rassistischen Vorurteilen. Am zweiten Tag geht es dann ans Tun. Was können wir tun, damit das Theater rassismuskritischer wird? Welche Fragen müssen wir uns stellen, wie muss Rassismuskritik strukturell eingebettet werden? Je nach Wunsch der Teilnehmenden schauen wir auch auf rassistische Textstellen oder Darstellungsweisen auf der Bühne, wie zum Beispiel blackfacing. Das Ziel des Workshops ist es, einen gesamtinstitutionellen Dialog zu starten, also die Etablierung einer Kultur, in der das Sprechen über Rassismus möglich ist und in der Rückmeldungen zu Rassismus und anderen Diskriminierungen wünschenswert sind.
Wie ist es für dich Workshops zum Thema Rassismus im Theaterkontext auszurichten? Gibt es da Unterschiede zu deinen Workshops in anderen Kontexten, z. B. in Unternehmen?
Tupoka Ogette: Ich mag die Arbeit im Theater sehr gern. Theater ist so ein spannendes Medium, das gesellschaftlich so viel Positives bewirken kann, aber über die Jahrhunderte auch so viel Gewalt und Macht reproduziert hat. Es ist eine ehrenvolle Aufgabe, die mir auch sehr viel gibt, dort mit engagierten Menschen über diese Machtstrukturen nachzudenken und zu reflektieren.
Die Fragen, die die Teilnehmenden haben, sind überall sehr ähnlich. Was genau ist Rassismus? Welche Sprache ist rassistisch und warum? Was sind weiße Privilegien? Was kann ich tun? Diese Fragen bekommen wir in Schulen, bei Parteien, in großen Firmen, bei Fernsehsendern, in Theatern.
Bei Schauspieler*innen finde ich es einfacher auf die Gefühlsebene der Auseinandersetzung zu gehen, die ich für sehr wichtig halte. Sie sind es gewohnt, Emotionen zuzulassen und auch klar benennen zu können. Das ist dann oft sehr bewegend. Generell macht es uns sehr viel Spaß mit dem Theater zu arbeiten, es sind sehr engagierte Gruppen, die mit viel Kraft und Mut in diesen Prozess gehen. Ich freue mich, dass auch die Intendanz und die Regisseur*innen den nächsten Workshop besuchen werden.