Raus aus der Bubble – BOY und das Gendersternchen

Ein Interview mit den Jungen Akteur*innen Anne Leira van Poppel und Hale Richter von der Dramaturgin Anne Sophie Domenz.

Ihr spielt beide in der Produktion BOY mit, am 16. November steht die 3. Wiederaufnahme vor der Tür. Würdet ihr beide einmal Boys don’t cry für mich singen?

Leira van Poppel und Hale Richter: singen Boys don’t cry.

Super. Kanntet ihr den Song von „The Cure“ schon bevor ihr in die Produktion BOY eingestiegen seid? Wann habt ihr es gesungen?

Hale Richter: Ich habe das Lied mit meinem Freund Jona auf dem Schulhof gehört, während wir Kopfhörer im Ohr hatten, wir haben nicht laut rumgegrölt, sondern es für uns gesungen.

Anne Leira van Poppel: Ich kann mich erinnern, dass mein Papa den Song gern gehört hat.

Ihr habt BOY jetzt schon 17 Mal gespielt, was hat sich für euch mit der Zeit verändert?

Hale Richter: Es ist mir immer mehr ein persönliches Anliegen geworden, das Stück zu spielen und gleichzeitig muss ich mich immer stärker dazu verhalten. Ich spiele John, einen gewalttätigen, hasserfüllten Typen, verkörpere also auf der Bühne eine totale toxische Männlichkeit, mich beschäftigt, was diese Figur beim Publikum auslöst: Konstituiere ich Übergriffigkeit, Gewalt oder hate crimes? Daher fasst es mich persönlich sehr an diese Rolle zu spielen; ich vergleiche mich, beobachte mein Verhalten im Alltag: Wie oder wann bin ich toxisch männlich? Raus aus meiner Komfortzone!

Anne Leira van Poppel: Für mich hat sich eine größere Gelassenheit eingestellt; ein klarer Ablauf, Alltäglichkeit – ich spiele eine Stunde eine Rolle, eben die von Chris, füge mich in sie ein und dann war es das wieder – eine Professionalisierung meinerseits hat stattgefunden. Trotzdem sind die Reaktionen vom Publikum krass, wie sehr und wie viele Menschen das Stück berührt, reißt mich oft mit, weil wir so nah am Publikum spielen, sind die Reaktionen eins zu eins erlebbar. Ich beschäftige mich jetzt auch mehr im Alltag mit den Themen Gender und Transsexualität innerhalb unserer Gesellschaft, das habe ich früher nicht getan, ich bin mehr raus aus meiner Bubble!

Könnt ihr euch an eine bestimmte Publikumsreaktion erinnern?

Anne Leira van Poppel: Für mich gab es eine Begegnung nach einer Vorstellung im Brauhaus-Foyer, wir saßen zusammen und eine Transfrau kam auf mich zu und hat sich bedankt und gesagt, dass sie sehr stolz ist, dass ich diese Rolle von Chris so verkörpert habe. Für mich war das ein riesen Kompliment, eine Person, die mich nicht kennt, die nicht auf mich zukommen muss und mir etwas sagen muss. Von Freunden zum Beispiel erwarte ich eine Reaktion, von einer Fremden nicht. Gleichzeitig ist sie eine Person, die eine Transformation gemacht hat und steht vor mir und ist glücklich, wow! Sie fühlt sich verstanden, das berührt mich tief! Ein super schönes Gefühl!!!

Hale Richter: Bei einer der letzten Vorstellungen von BOY saß in der ersten Reihe ein Typ und auf seinem T-Shirt stand „THAT’S WHAT TRANS LOOK LIKE“ und dann ist er zu einer der darauffolgenden Vorstellungen noch einmal gekommen und hatte Freund*innen mitgebracht.

Wie engagiert ihr euch gesellschaftlich oder politisch? Macht ihr das auch außerhalb des Theaters?

Hale Richter: Ich sehe Theater als ein Medium, meine Überzeugungen zu transportieren. Ich habe aber auch mit anderen einen Verein gegründet: Partner*innen über Grenzen, der zu Rassismussensibilisierung arbeitet, Aufklärungsarbeit leistet zu post- oder neokolonialen Strukturen und ganz explizit Jugendaustausch organsiert. Ich suche mir meinen Freundeskreis immer gerichteter aus, wir tauschen uns intensiv darüber aus: Wie wollen wir leben? In welch einer Gesellschaft, die wir ja selbst schaffen, wollen wir leben? Und diese Frage gilt es ganz klar in unseren Alltag zu transportieren und durchdringt dann Freizeit, Politikarbeit, Theaterarbeit, das sind für mich nicht abgeschlossene Blasen. Zivilcourage zu zeigen zum Beispiel bedeutet für mich ein wachsames Auge zu haben, Mut zu haben, Grenzen zu kennen, aber auch nicht nur zu verurteilen oder bevormunden, sondern ins Gespräch zu kommen.

Anne Leira van Poppel: Ich konzentriere mich gerade auf Sensibilisierung in der Sprache in meinen Freundeskreisen, auf der Arbeit. Im Alltag zum Beispiel ist mir aufgefallen, wie wenig immer noch der Genderstar benutzt wird – auch und gerade in den Massenmedien. Dann heißt es nämlich Freund*innen; Kolleg*innen; Lehrer*in oder auch Chef*in oder eben Kanzler*in zu sagen und zu denken! Das ist doch nicht schwer und wir können klein anfangen, um das große Ganze gemeinsam zu ändern. Oder?

Ward ihr 2019 auf dem CSD in Bremen?

Anne Leira van Poppel: Ja, aber nur kurz!

Hale Richter: Weil wir eine Wiederaufnahmeprobe hatten und dann am Abend haben wir die Wiederaufnahme von BOY gespielt, unser Stück ist also parallel zum CSD Bremen gelaufen, was ganz schön war, weil tatsächlich Leute vom CSD gekommen sind und sich das Stück angeguckt haben.

Anne Leira van Poppel: Und danach auch noch mit uns gefeiert haben bei der Karaokeshow von Kick-Ass-Queereeoké! Queerer Tag!

Hale Richter: Es gibt aber auch schon tatsächlich Sachen, die ich nicht so cool finde an der Veranstaltung. Zum Beispiel, dass die Polizeigewerkschaft mitgeht. Der CSD sich aber aus den Stonewall Riots gebildet hat. Diese revolutionären Tage 1969 waren erfüllt von einer krassen Polizeigewalt und auch heute noch wird die LGBTQ-Gemeinde weltweit auch von der Polizei gegängelt, institutionell diskriminiert, geschlagen, verhaftet, eingesperrt oder getötet. Ich finde es wichtig, auch neben der Party im Kopf zu behalten, der CSD ist aus einer revolutionären Bewegung entstanden, für die es weiter zu kämpfen gilt neben der Party.

Wie erlebt ihr Homophobie, Ausgrenzung oder Sexismus?

Hale Richter: Es gibt viele kleine Sachen: Blicke auf der Straße wenn man ein Kleid trägt. Blicke auf der Straße, wenn man Nagellack trägt. Blicke, wenn man eine Person des vermeintlich eigenen Geschlechts küsst. Tagtägliche Nicht-Anerkennung von Diversität im Streetlife oder auf dem Amt. Es gibt Situationen in den ich Rufen oder Sprüchen ausgesetzt bin, ich habe das Glück eines großen Egos, so dass ich dann zurückpöbeln kann oder es linksliegen lasse. Bei einer gewalttätigen Auseinandersetzung war ich zum Glück nicht allein, Freund*innen haben sich jedoch den Tätern radikal in den Weg gestellt, dafür Schläge ins Gesicht kassiert, was entsetzlich war. Die Bereitschaft meiner Freund*innen mir beizustehen, sich für mich einzusetzen, hat mich aber sehr glücklich gemacht!

Anne Leira van Poppel: Ich werde sehr oft angeglotzt, blöde angemacht. Typen bringen es echt, beim ersten Kennenlernen an einer Bar als erste Frage zu stellen, ob ich lesbisch bin? Tatsächlich sind es oft weiße Cis-Männer, die dann so als „echter“ Mann in einer Partysituation nochmal so richtig hochfahren müssen, meist eh schon übergriffig sind. Ich distanzier mich in so einer Situation, sage „Lass es mal lieber“ oder sage „Ich habe eine Freundin.“ Und dann folgt meist nicht so eine Reaktion von „Ah, sie ist vergeben.“ Punkt. Sondern: „Geil! Zwei Frauen!“ Und in letzter Zeit wurde ich auch oft betatscht.

Wie reagiert das Umfeld in einer solchen Situation?

Anne Leira van Poppel: Ich hatte dann in den körperlich übergriffigen Situationen Freund*innen bei mir, die mich unterstützt haben.

Bremer Clubbetreiber*innen haben eine Kampagne gestartet: „Gemeinsam.Sicher.Feiern.“ Sprecht ihr in den Situationen die Partydurchführer*innen an?

Anne Leira van Poppel: Ich finde die Kampagne gut, habe bis jetzt aber die Situationen mit meinen Freund*innen klären können.

Hale Richter: Es ist leider trotzdem auch so, dass ich gezielt aussuche, wohin ich gehe. Ich gehe nicht in jede Bar oder nicht zu jeder Veranstaltung.

Wo wäre das in Bremen?

Anne Leira van Poppel: Haifi oder das Wiener Hofkaffee.

Hale Richter: Es gibt in Bremen nicht wirklich eine queere Bar, aber es gibt Bars die sensibilisiert sind, die Plakate von „Gemeinsam.Sicher.Feiern.“ nicht nur vorne an den Einlass hängen, sondern aktiv mit einem Awareness-Team dem diversen Hedonismus frönen, zum Beispiel Partys vom Zucker, in der Spedition oder im Güterbahnhof.