Sprache ist Musik!
Ferdaouss Adda, Referentin für interkulturelle Öffnung, im Gespräch mit dem Schauspieler Yahya Gaier über Mehrsprachigkeit
Als ich Yahya Gaier für das Interview kontaktierte, schrieb ich ihm auf Englisch. Dass er Niederländer marokkanischer Herkunft ist, war keine Garantie dafür, dass er Darija (marokkanisches Arabisch) oder Französisch spricht. Niederländisch kann ich wiederum nicht. Er sprach Darija, auch Französisch und seitdem läuft unsere Kommunikation in beiden Sprachen. In unserem Gespräch führen wir das fort und garnieren Darija und Französisch noch mit Deutsch und Niederländisch. Die Tamazight-Sprache hätte auch eine Rolle spielen können, denn Yahya spricht sie, an mir ist es aber gescheitert. Aber auch so ist unsere Verständigung – wie meine Mutter sagen würde – ein schöner salade niçoise geworden. Als Gastschauspieler ist Yahya Gaier nicht häufig in Bremen anzutreffen. Wir verabreden uns an einem Sonntagmorgen, nach einer Vorstellung von Vögel, und treffen uns in der Lounge einer bekannten Hotelkette. Mit einem Kaffee gestärkt starten wir unser Gespräch.
Yahya, du spielst als Gast im Stück Vögel mit, das diese Spielzeit im Theater Bremen unter der Regie von Alize Zandwijk aufgeführt wird. Kannst du dich kurz vorstellen?
Yahya Gaier: Gerne. Ich bin am 24. April 1974 in Oujda (Marokko) geboren und habe dort meine Kindheit verbracht. Später brachte mein Vater uns, also mich und meine Familie, in die Niederlande. Ich muss damals zwischen 12 und 13 Jahren alt gewesen sein. Meine Kindheit in Oujda hat mich geprägt: kulturell, sprachlich. Als ich in die Niederlande kam, in denen mein Vater bereits arbeitete, war es für mich nicht so einfach, obwohl das Land für mich positiv konnotiert war; denn ich verband damit jene Mitbringsel, insbesondere begehrte Lebensmittel, die mein Vater uns bei seinen Besuchen in Oujda mitbrachte. Durch die Familienzusammenführung waren wir dann alle an einem Ort vereint. Es gab viele Familienzusammenführungen, vor allem ab Mitte der 1980er Jahre. Genau genommen spielte der Familiennachzug für meinen Vater zu Beginn seiner Auswanderung keine Rolle: als Bauer, der als Gastarbeiter emigrierte, investierte er sein verdientes und gespartes Geld zuerst in Oujda.
Die Lebensumstände haben sich also für deinen Vater und euch verändert ...
Yahya Gaier: Vielleicht hat das Geldverdienen meinem Vater so viel Freude bereitet, dass er vom einfachen Bauern zum Kapitalisten geworden ist (lacht). Ich war jedenfalls froh darüber, dass wir nun in den Niederlanden zusammen lebten, auch wenn wir damals „gesellschaftlich“ etwas isoliert lebten. Mich interessierte die Gesellschaft, in der ich lebte, schon immer. Als Jugendlicher fehlte mir aber schlichtweg der Mut, mich aus meinem vertrauten Umfeld hinauszuwagen ... In die Schule ging ich zwar, aber wenn man eine Sprache nicht kann, versteht man den Lernstoff nicht.
Wie war es für dich damals, als 12-Jähriger, Niederländisch zu erlernen?
Yahya Gaier: In der Schule gab es Niederländisch-Sprachkurse für neueingewanderte Schüler*innen, die ich besuchte. Meine Mitschüler*innen in den Sprachkursen kamen aus der Türkei, dem Iran, dem Kongo ... Ich war erstaunt. Dadurch wurde mir bewusst, wie groß die Welt ist, denn ich kannte nur meine eigene, kleine Lebenswelt und Internet gab es zu jener Zeit gar nicht. Ich denke, dass mir diese Erfahrung in den Sprachkursen sehr geholfen hat, nicht nur die Sprache, sondern auch verschiedene kulturelle Gepflogenheiten kennenzulernen. Das zum einen. Zum anderen lernte ich die Sprache über das Medium Fernsehen, indem ich mir zum Beispiel Filme anschaute. Die englisch-, deutsch- oder italienischsprachigen Filme wurden nicht synchronisiert.
Es gab also Untertitel?
Yahya Gaier: Ja, durch die Untertitel lernte ich Niederländisch. Die Situation war komplex: ich hörte zum Beispiel Englisch oder Deutsch – Sprachen, die ich noch nicht verstand – und versuchte zugleich die niederländischen Untertitel zu verstehen. Mit der Zeit klappte das aber gut, so dass meine Sprachkenntnisse sich verbesserten und ich bald das Gymnasium besuchen konnte.
Was bedeutet für dich Sprache?
Yahya Gaier: Niederländisch ist die Sprache meines Denkens geworden, in der Tiefe prägen mich Darija und Tamazight. Wenn ich Tamazight höre, denke ich sofort an meine Mutter, von der ich sie erlernte. Sprache beschreibt dich in gewisser Weise. Die Sprachen, die dich geprägt haben, sind entscheidend. Die Art und Weise wie ich gerade mit dir auf Darija spreche, ist vom Niederländischen beeinflusst.
Mir geht es ähnlich. Mich prägen, neben Darija, vor allem Französisch und Deutsch. Ähnlich wie bei dir ziehe ich, allerdings bei Französisch, direkt die Verbindung zu meiner Mutter. Tamazight bleibt für mich fragmentarisch, da meine Eltern, obwohl sie jeweils verschiedene Tamazight-Dialekte sprechen, es mir nicht beigebracht haben.
Yahya Gaier: Die Sprache ist eine Form und durch die Art und Weise ihres Gebrauchs erlangt sie erst ihre Bedeutung. Als ich in die Schauspielschule ging, fühlte ich mich etwas unwohl, verglich mich mit anderen und wusste vorerst nicht, wie ich kommunizieren, mich artikulieren sollte. Ich überlegte, wie ich wahrgenommen werden könnte und arbeitete allmählich daran, ein guter Tänzer und Komiker zu sein. Ich versuchte, mich zu akklimatisieren.
Wie bist du das erste Mal mit der Theaterwelt in Berührung gekommen?
Yahya Gaier: Mit Theater bin ich im Rahmen eines Jugendtreffs in Berührung gekommen. An diesem Ort war damals ein Marokkaner, der sich für Kultur einsetzte und die Menschen ermutigte, sich einzubringen, sich auszudrücken und Projekte zu realisieren. Theater zu spielen hat mir die Möglichkeit gegeben und mich als Jugendlicher dazu befähigt, mich auszudrücken. Ich konnte wieder das Kind sein, das ich einst in Marokko war und mich frei fühlen. Als Kind stand ich gerne im Mittelpunkt, unterhielt gerne meine Familie und war gerne albern. Ich liebte Charlie Chaplin und habe mich später an der Theaterakademie für Bewegungs- und Tanztheater eingeschrieben, um nicht (verbal) sprechen zu müssen. Mir fehlte das nötige Selbstvertrauen dazu. Vor dem Sprechtheater hatte ich großen Respekt. In der Theaterakademie in Amsterdam habe ich eine neue Welt entdeckt und viel gelernt: Begriffe und Konzepte, die für einige meiner Kommiliton*innen zum gängigen Sprachgebrauch gehörten, für mich jedoch vollkommen neu waren. Hier habe ich meine Persönlichkeit entfalten können.
Und wie ging es nach der Schauspielschule für dich weiter?
Yahya Gaier: Die Schauspielschule schloss ich vor zwanzig Jahren ab. Als Schauspieler arbeitete ich gemeinsam mit meiner ehemaligen Lebenspartnerin, die aus Dänemark kam. Wir lernten uns im Studium kennen und traten danach zu zweit auf. Später hatte ich auch Filmrollen. Irgendwann aber wollte ich doch den Weg zum Sprechtheater wagen, das hat mein Interesse geweckt. So kam ich an das Theater Rotterdam und lernte Alize Zandwijk kennen. Während dieser Zeit hatte ich Sprachunterricht bei einem Komponisten und das war der beste Sprachunterricht, den ich je hatte. Hätte ich diese Art des Sprachunterrichts damals, als ich in die Niederlande kam, gehabt, hätte ich die niederländische Sprache als Musik aufgefasst und nicht als „Schulstoff“. Der Unterricht fokussierte die Tonlagen, den Klang, die Aussprache …
Die Phonetik …
Yahya Gaier: Genau. Sprache ist Musik!
In Vögel spielst du den Rabbiner und Hasan Ben Muhammed al-Wazzan. In diesen Rollen wird Hebräisch und Arabisch gesprochen. War das für dich von Anfang an klar? Oder hat sich das entwickelt?
Yahya Gaier: Dass ich die beiden Rollen spiele, war für mich von Anfang an klar. In welcher Sprachversion die Rollen auftreten werden, war eine Entwicklung. Das Stück ist in seinem Ursprung in vier Sprachen verfasst: in Englisch, Hebräisch, Arabisch und Deutsch. Kurz: es ist multilingual. Das Theater Bremen hat sich entschieden, eine deutschsprachige Version aufzuführen. Die Textfassung meiner Rollen war ebenso auf Deutsch und das war für mich als Nicht-Deutschsprechender nicht ganz einfach. Wir haben uns dann dazu entschieden, dass Hasan al-Wazzan Arabisch, Hocharabisch um genau zu sein, spricht und der Rabbiner Hebräisch. Den hebräischen Text, den der Rabbiner rezitiert, habe ich auf Arabisch niedergeschrieben, um nah an der hebräischen Aussprache zu sein. Den hocharabischen Text musste ich natürlich auch genau einstudieren, insbesondere die exakte Vokalisation.
… die bei kleiner Abweichung unter Umständen einen anderen Wortsinn ergibt als beabsichtig.
Yahya Gaier: Ich bin jemand, der Teamarbeit liebt. Wir haben unsere Theatersprache. Das heißt, dass wir uns gegenseitig vertrauen, in dem was wir machen. Das ermöglicht uns, als Team gemeinsam etwas zu erschaffen. Die Theatersprache ist unser Fundament. In meiner Rolle als Hasan al-Wazzan oder Rabbiner war es auch meine Aufgabe durch mein non-verbales Spiel zu einer Atmosphäre zu verhelfen. Eine Vorstellungswelt zu kreieren. Schließlich bin ich Theatermacher.