„Strauss hasst seine Tenöre“
Tenor Christian-Andreas Engelhardt im Gespräch mit Dramaturgin Brigitte Heusinger über die Partie des Herodes, Sängerdarsteller und Taktwechsel.
Worum geht es in Richard Strauss‘ Oper Salome?
Christian-Andreas Engelhardt: Erstmal ist diese Oper, was mich betrifft, eine der schönsten überhaupt. Schon in meinem zweiten Jahr am Theater Bremen war ich ihn ihr beschäftigt und habe abwechselnd den ersten, den zweiten und auch den fünften Juden gesungen. Schon damals habe ich mich in die Rolle des Herodes verliebt. Obwohl ich weiß und es auch gerade merke, dass sie zu den schwersten Partien gehört, die man überhaupt singen kann.
Wer ist denn überhaupt Herodes?
Herodes hat einen gravierenden Fehler gemacht. Im Alten Testament war es untersagt, die Frau seines Bruders zu heiraten. Das hat er getan und seine Stieftochter Salome als Tochter angenommen. Ein Stück weit muss er sich in das hübsche Mädel verguckt haben. In vielen Inszenierungen wird er als übergriffig dargestellt. Das machen wir nicht. Dafür bin ich dankbar, denn ich sehe seinen Charakter anders.
Deine Interpretation der Rolle lehnt sich an die historische Situation an.
Für mich ist Herodes Antipas ein getriebener Mensch. Geschichtlich gesehen, wir reden vom 1. Jahrhundert nach Christi, ist er in eine schwierige Situation geraten. Sein Vater, Herodes der Große, hat für seine Nachfolge drei seiner Söhne eingesetzt von Roms Gnaden. Und unser Herodes war der Glückliche, der Jerusalem abgekriegt hat. Darauf hatten die anderen natürlich ebenso geschielt, und so hatte er immer Angst, sein Reich zu verlieren. Zeitlebens stand er im Schatten seines Vaters und vor seiner Nase waren die Römer, die ihm gesagt haben, wo es lang geht. Dieser Konflikt, dass Herodes ein abhängiger König unter vielen ist, kommt in der Strauss-Fassung allerdings nicht vor.
Wir begegnen Herodes auf einem Fest.
Ja, in seinem Palast wird ein Fest gefeiert. Und das, was er offensichtlich am liebsten hat, ist, wenn seine Stieftochter Salome sich bewegt. Und am besten bewegt sie sich im Tanz. Auch sonst hält er sich nicht an die Regeln, die er eigentlich einhalten sollte.
Welche Regeln?
Im Alten Testament gab es gewisse Essensregeln, die mit viel Wein und Völlerei nicht vereinbar waren. Wenn man das dritte Buch Mose durchliest, merkt man aber, wie sehr die Feste von römischer Dekadenz angehaucht waren.
Du bist sehr bibelfest.
Zwangsläufig nach einem absolvierten Fernstudium in Theologie.
In der Bremer Inszenierung bist du als Gastgeber von Beginn an bei dem Fest anwesend und musst dir von Jochanaan so einiges anhören. Herodes hält den jüdischen Propheten in einer Zisterne gefangen, da dieser öffentlich seine Heirat mit Herodias angeprangert hatte. Welche Gefühle stellen sich ein, während du Jochanaan zuhörst, der dir deine Sünden vorwirft?
Die biblische Rolle des Jochanaan ist mir bewusst. Dennoch hat er für mich das berühmte Erlösersyndrom. Ich betrachte ihn als einen Verrückten, der zu lange in der Sonne war. Wie vor 2000 Jahren gehen auch heute noch Menschen für 5-7 Tage in die Wüste Israels, kriegen einen Sonnenstich, verlieren die Vernunft und fühlen sich erleuchtet. Das ist eine anerkannte Krankheit. Mehrfach hat Herodes gehört, dass Jochanaan ein großer Prophet sei. Als Herodes nehme ich das zur Kenntnis, sehe in ihm jedoch definitiv den Verrückten aus der Wüste. Allerdings gibt es eine einzige Stelle, an der ich zweifle. Nach Salomes Tanz fragt sich Herodes, ob es doch sein kann, dass Jochanaan von Gott gesandt sei. Kurz wird er unsicher, denn ihm ist durchaus bewusst, was alten Königen passiert ist, wenn sie nicht auf das Wort Gottes gehört haben. Herodes kennt die Geschichten, aber ist kein gläubiger Mensch.
Wir haben jetzt einiges über die Historie und die Psychologie deiner Figur erfahren, die Musik haben wir aber nur kurz gestreift.
Ich habe die Partie gewaltig unterschätzt.
Was macht sie schwer?
Das habe ich mich auch gefragt. Am Klavier, im Studierzimmer singe ich die Partie durch, ohne angestrengt zu sein. Aber Strauss hasst seine Tenöre.
Warum?
Das fiel mir schon beim Bacchus in Ariadne von Naxos auf. Mörderisch hoch geschrieben und vor allem kompakt, mit Vollpower. Immer wieder nach oben. Man darf die Linie nicht verlieren, muss aber gleichermaßen rausfinden, wo man Ruhe und die Pause zum Atmen finden kann. Das war bei Ariadne schon schwierig. Beim Herodes bin ich voll drauf reingefallen. Alles ist gut, wenn man – wie es früher üblich war – steht und singt. Mit der heutigen Art, sängerdarstellerisch zu arbeiten, wenn man plötzlich kniet, liegt, kriecht, ist es eine Mörderpartie, weil man das Instrument, den Körper, nicht gerade halten kann.
Aber du bist doch ein Sängerdarsteller. Es ist ja nun wahrlich nicht so, dass du gerne nur an der Rampe stehst und singst.
Beim besten Willen nicht. Aber es gibt die Seite 166 im Klavierauszug, da brauche ich den steten Blick zum Dirigenten, weil im Orchester ein Siebenviertel-Takt durchläuft, während ich Taktwechsel von Dreiviertel, Zweiviertel zu Fünfviertel habe. Da stehe ich und sehe. Sobald die Seite rum ist, bewege ich mich wieder. Das merkt man nicht.
Als König ist das ja rollendeckend. Denn wie heißt es so schön im Theater: Den König müssen die anderen spielen …
Im Normalfall ist es so, aber nicht in unserer demokratischen Setzung. Hier muss zumindest meine Stimme königlich strahlen.
Veröffentlicht am 26. Januar 2024