„Unendliche Variationen der Kreativität“

Anlässlich des SYNERGY All-Style Battles 2023 sprechen die Breaker Amin Baahmed und Timo Bölte mit Gregor Runge, künstlerischer Co-Leiter der Tanzsparte, über urbane Tanzformen und ihren Weg in die Mitte der Gesellschaft.

Timo und Amin, ihr seid beide seit vielen Jahren im Breaking aktiv. Wie seid ihr damit in Berührung gekommen?

Timo Bölte: Ich habe 1998 mit dem Breaken begonnen. Ich war damals 12 Jahre alt, bin Skateboard gefahren und über einen Flyer in der Schule auf einen Breakdance-Kurs gestoßen, den Mathias Dollner geleitet hat. Mathias war damals einer der ersten, die das in Bremen angeboten haben. Ich musste mich dann entscheiden, will ich weiter skaten oder mit dem Breaken beginnen? Ich habe mich schließlich für den Tanz entschieden, mache das jetzt seit 25 Jahren und habe darüber die halbe Welt bereist. Ich habe Workshops in Indien und Südafrika gegeben, Events in den USA und in ganz Europa besucht. 2005 habe ich mit einem Freund die Escaflow Crew gegründet, 2015 haben wir anlässlich unseres zehnjährigen Jubiläums ein Event namens Schoolyard Breaks erfunden, das bis heute regelmäßig stattfindet und gezielt den Breaking-Nachwuchs fördert. Daneben bin ich einer von drei Trainern des Bremer Olympia-Kaders, denn 2024 wird Breaking erstmals olympische Disziplin.

Amin Baahmed: Für mich ging es 2012 los, mit dem Film Step Up 3. Ich kam damals völlig euphorisiert aus dem Kino. Das Internet gab damals noch nicht so viele Angebote in Bremen her, also haben wir unserer Begeisterung erst einmal anders Ausdruck verliehen, Capoeira auf Schultischen getanzt und so weiter. Über eine Mitschülerin sind wir dann auf einen Kurs in den Weserterrassen aufmerksam geworden, das war für mich und ein paar Freunde damals auch gleich der Startschuss für die Indigo Crew, die wir seitdem formen. Ich tanze seit neun Jahren, hauptsächlich Breaking, stand aber auch schon in zeitgenössischen Tanzstücken auf der Bühne und habe mich unter anderem in Kanada in zeitgenössischem Tanz weitergebildet. Japan, New York, L.A. – wie bei Timo hat Breaking mich schon um die halbe Welt geführt.

Wie nehmt ihr die Breaking-Szene in Bremen wahr?

Amin: Mathias Dollner hat in den 90er Jahren die Crew Unique North Style gegründet. Alles, was in Bremen seitdem im Breaking entstanden ist, nimmt dort seinen Anfang. Unique North Style waren Pioniere, nicht nur in Bremen, sondern im gesamten Norden. Legendäre Tänzer wie Storm kamen damals extra nach Oldenburg gereist, um die Gruppe zu treffen.

Timo: Daraus gingen dann Crews wie Escaflow, Indigo und BBoy Trip hervor, die bis heute bestehen. Drei Breaking-Crews, das ist für eine Stadt dieser Größe recht viel. Konkurrenz ist dabei schon ein Thema. Es war immer so, dass man sich gegenseitig akzeptiert hat, aber es ging eben auch immer ums Battle, den Wettkampf. In Bremen-Burg gab es mit dem Jugendzentrum einen Spot, an dem sich alle immer mal getroffen haben, dieser Ort ist mit Corona weggebrochen. Während der Pandemie haben alle sehr vereinzelt trainiert, das hat die Grüppchenbildung noch verstärkt. Trotzdem habe ich aktuell den Eindruck, dass wir als Community wieder stärker zusammenkommen, der Konkurrenzkampf nicht mehr ganz so groß ist.

Amin: Das hat auch mit Olympia zu tun, mit der Notwendigkeit, sich zusammenraufen zu müssen, um einen gemeinsamen Kader aufzustellen. Ich würde auch nicht sagen, dass sich aus dem Battle-Charakter zwangsläufig Spannungen ergeben, aber der Zusammenhalt innerhalb der einzelnen Crews ist natürlich sehr eng, man verbringt viel Zeit miteinander, es gibt Codes, an die man sich hält und Orte, die man besetzt. Timo, eure Escaflow Crew habe ich da immer als eine ausgleichende, verbindende Kraft wahrgenommen, euch war immer daran gelegen, einen Ort zu schaffen, zu dem alle eingeladen sind.

Breaking als Disziplin ist Teil einer größeren kulturellen Bewegung: Hip-Hop hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten zur vielleicht größten und kommerziell erfolgreichsten kulturellen Strömung der Welt entwickelt. Was heißt das für euch aus Sicht des urbanen Tanzes?

Timo: Schwierige Frage. Wenn jemand vom Tanzen leben will, ist es toll, wenn das möglich wird. Urbane Tanzstile sieht man heute überall, das schafft Akzeptanz in der breiten Gesellschaft. Aus dieser Perspektive kann man die Kommerzialisierung als Vorteil sehen. Wenn man die Hip-Hop Kultur als Ganzes betrachtet, fällt allerdings auf, dass der Tanz dabei immer noch eine eher untergeordnete Rolle spielt. Fast jede Musikrichtung verwendet heutzutage Hip-Hop Samples, Graffiti wird weltweit in bedeutenden Museen ausgestellt – da hängt der Tanz noch hinterher.

Amin: Die mitunter überkommerzialisierten Hype-Battles sind eine Sache. Ich würde mir wünschen, dass der Blick noch stärker auf Breaking als Kunstform geht, die immer mit der Zeit gegangen ist. Als physische Praxis ist Breaking für mich das ultimative Werkzeug, das unendliche Variationen der Kreativität und des körperlichen Ausdrucks ermöglicht. Es gibt ein Fundament, das von den Wurzeln kommt und wichtig ist. Aber Leute breaken heute auch auf Techno oder Trap-Music, die Mode verändert sich. Der Stil ist sehr divers geworden, Breaking ist immer im Wandel. Das macht es für mich zu einer enorm zeitgenössischen Kunstform.

Mit Events wie SYNERGY halten die urbanen Tanzformen längst auch Einzug in öffentlich geförderte Tanz- und Theaterhäuser – wie bewertet ihr die Verbindung von Subkultur und Institution?

Timo: Die Bewegung in Deutschland hat sich seit ihren Anfängen immer auch viel in Jugendzentren abgespielt, öffentliche Kultureinrichtungen sind also immer schon Teil der Entwicklung. Frankreich zum Beispiel ist uns mit Blick auf die Verbindung von urbanem Tanz und großen Theaterhäusern noch einmal 15-20 Jahre voraus. Ich finde das gut, denn durch diese Verbindungen lernt man, sich als Tänzer:in weiterzuentwickeln, es wächst eine junge Tanzkultur heran.

Amin: Breaking hat auf eine Art immer eher außerhalb der gesellschaftlichen Mitte stattgefunden. Die Kollaboration mit etablierten Kulturorten führt zu einer interessanten Verschiebung. Events wie SYNERGY sind toll, weil hier verschiedene Szenen aufeinandertreffen, voneinander lernen können. Gleichzeitig würde ich mir wünschen, dass Breaking nicht nur im Mix mit zeitgenössischen Stilen oder Ballett auf etablierten Bühnen zur Geltung kommt, sondern auch eigenständig, mit all seinen eigenen, auch intellektuell anspruchsvollen Facetten in diesen Kontexten sichtbar wird.

Gibt es weitere Wünsche für die Zukunft?

Amin: Wir haben anlässlich des zehnjährigen Bestehens unserer Crew neulich die erste Indigo Jam in Bremen veranstaltet und uns dafür nicht an private Sponsoren gewandt, sondern bewusst nach öffentlicher Förderung gesucht. Ich glaube, hier kann noch viel getan werden, um die Zugänge zu vereinfachen, die es erlauben würde, regelmäßig größer gefasste, überregional bedeutende Veranstaltungen in der Stadt durchzuführen. Ich würde mir ein gemeinsames Treffen zwischen Akteur:innen der Szene und Entscheidungsträger:innen der Verwaltung wünschen, um über Wege zu sprechen, Breaking noch stärker in die Mitte der Gesellschaft hinein zu tragen. Und wir müssen das Angebot an Kursen vergrößern und dem potentiellen Nachwuchs noch mehr Aufmerksamkeit schenken.

Timo: Ich wünsche mir, dass der Zusammenhalt, der jetzt gerade in der Bremer Szene entsteht, bestehen bleibt und sich die Vernetzung zu Institutionen wie dem Theater Bremen weiterentwickelt. Darin steckt so viel Potenzial, das unbedingt ausgeschöpft werden sollte.

 

 

Veröffentlicht am 30. Juni 2023