Vergessen Sie es! #1 – Groll und Vorurteil zu frischer Bremer Luft
Brigitte Heusinger, die leitende Dramaturgin des Musiktheaters, denkt über die Stadt nach, in der sie aufgewachsen ist: Bremen.
Ich habe einen Fehler gemacht. Denn: Ich habe bei einer Redaktionssitzung gefehlt. Bei der Redaktionssitzung für unser neues Content-Magazin. Und jetzt habe ich sie an der Backe; die Kolumne über Brigitte und Bremen. Und ich sage Ihnen, es fällt mir schwer. Ich habe zwar Lust darauf, Bremer*innen zu treffen, mich zu unterhalten und etwas über deren und meine Bremer Wurzeln zu erfahren – aber es sperrt sich alles in mir. Ist das bremisch? Würde ich als Hamburgerin (die ich ja eigentlich bin, obwohl ich „nur“ dort geboren bin) lieber sichtbarer sein? Aber genau das ist es, was mich nervt: Will ich überhaupt mit Ihnen auf dem Papier – oder noch schlimmer auf dem anonymen Bildschirm – solche Fragen diskutieren? Obwohl: Sie sind ja eher eine einfache Klientel, denn Leben und leben lassen, ist ja Ihre Devise. Wahrscheinlich würden Sie über die Frage nach meiner Sichtbarkeit – oder schärfer formuliert: nach meiner Eitelkeit – nur dezent schweigen. Wofür ich Ihnen dankbar wäre. Wirklich.
Aber Spaß beiseite: Theater machen und Theater sehen hat wirklich auch was mit der Mentalität zu tun. Und dieser Mentalität möchte ich mit Hilfe „Bremer“ Gesprächspartner*innen und gerade solchen, die durch längeres „Wegsein“ einen Blick von außen gewonnen haben, nachspüren. Und manchmal werden es vielleicht nur Themen sein, die uns, mich beschäftigen, über die ich in lockerer Folge schreiben werde.
Das nicht vermeidbare Vorurteil ist sowieso das Eis, auf dem ich in der Bremer Frage ausrutschen werde
Jetzt gerade denke ich zum Beispiel darüber nach, wo ich im Theater (im Süden, im Norden, in der Schweiz und in Österreich) die Mentalitätsunterschiede am deutlichsten bemerkt habe?
Da ist erst mal das Zeitverständnis: Eine Sonntagmorgen-Matinee muss in der Schweiz nur eine Stunde dauern, um 12 Uhr hat man genug gehört und geht Mittagessen. Bei einer Stunde Dauer würden Österreicher*innen ihr Geld zurückverlangen. Unter anderthalb Stunden geht da gar nichts. Das deutsche Zeitempfinden befindet sich so leicht unentschieden dazwischen, sage ich jetzt mal vorurteilsbelastet. Aber das nicht vermeidbare Vorurteil ist sowieso das Eis, auf dem ich in der Bremer Frage ausrutschen werde. Noch ein Grund, nicht nur beglückt zu sein, dass meine Kolleg*innen mich zu der Kolumne verdonnert haben.
Der Intendant, der mich schätzte, sah sich veranlasst zu denken, dass ich keinen Humor habe.
Ein weiteres wesentliches Mentalitätsthema ist der Humor. Am deutlichsten habe ich den Kulturclash immer empfunden, wenn sich das jeweilige Theater, Komödien oder heiterer Opern angenommen hat. Ich erinnere mich an einen Orpheus in der Unterwelt im österreichischen Linz, wo wir als junge Piefkes versucht haben, ein Haus neu aufzustellen. Ein trashiges Bühnenbild, hinreißend verlotterte Götter, super ironisch. Totaler Flopp! Pfeifende, buhrufende Menschen! Und das bei einer Inszenierung, die weiter nördlich garantiert das Haus und die Kassen gefüllt hätte. Aber ich war fein raus. Ich musste in Linz (wo es dann anfing, ziemlich gut zu laufen) keine heiteren Produktionen mehr machen. Der Intendant, der mich schätzte, sah sich veranlasst zu denken, dass ich keinen Humor habe. Er ist Frankfurter. So nehme ich ihm diese Fehleinschätzung nicht weiter übel.
Vorurteile, die sich in der ziemlich frischen Bremer Luft auflösen
Aber es gibt dann doch Dinge, die ganz anders sind als man denkt und bei denen sich die Vorurteile in ziemlich frischer Bremer Luft auflösen. Beispielsweise hielt ich die Mannheimer Straßenbahnen für den lautesten und kommunikationsfreudigsten Ort überhaupt – zumindest in deutschsprachigen Raum. Jetzt, nachdem ich nach 40 Jahren Abwesenheit wieder in Bremen bin, bemerke ich, wie viel auch hier unter den als mundfaul verschrienen Norddeutschen geredet wird – auf der Straße, im Geschäft, der Straßenbahn – und man wird nicht so von links angequatscht wie in Berlin – es wird richtig miteinander geredet. Das rührt mich so wie die vielen Blumen in den Vorgärten und die liebevolle und leicht undogmatische Bremer Art, sich Lebensqualität zu verschaffen.
Noch eine Bitte: Lassen Sie uns gemeinsam vergessen, was ich geschrieben habe.
Was hat das jetzt mit Theater zu tun? Alles und nichts. Ich könnte das jetzt ausführen, aber ich befürchte, es würde ein sehr moralischer Absatz werden. Und das möchte ich vermeiden. Obwohl Moral auch so ein Thema wäre. Vielleicht irgendwann – jetzt aber nicht. Also Schluss. Und: ich hätte da noch eine Bitte: Lassen Sie uns gemeinsam vergessen, was ich geschrieben habe. Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar. Wirklich.