Vom Roman zum Libretto zur Oper: Über Musik und Sprache

Anlässlich der Musiktheater-Uraufführung Wellen: Der Musikalische Leiter Yoel Gamzou im Gespräch mit Komponist Elmar Lampson und Librettistin Julia Spinola.

Yoel Gamzou: Julia, was ist der größte Unterschied zwischen dem Schreiben eines Romans und einem Libretto? Stellst du dir beim Schreiben vor, wie ein Satz in der Vertonung klingen wird oder denkst du ihn erst einmal nur rein sprachlich?

Julia Spinola: Es ist natürlich ein riesiger Unterschied, ob man einen Roman schreibt oder ein Libretto, denn ein Libretto ist eine Vorlage für eine Komposition und kein Text, der aus sich selbst heraus lebt. Und es ist für die Bühne bestimmt. Die Funktion ist also eine ganz andere. Außerdem habe ich mich in diesem Fall an einem bereits existenten Stoff abgearbeitet, immer im Hinblick auf die Komposition, die daraus entstehen sollte. Eine gewisse klangliche und auch optische Vorstellung hat mich beim Schreiben begleitet, aber konkrete Vorstellungen davon, wie eine bestimmte Textstelle musikalisch klingen könnte, hatte ich nicht. Das ist Aufgabe des Komponisten.

Yoel Gamzou: Elmar, wie entstand dein Wunsch eine Oper zu schreiben? Und was macht diese Form für dich besonders? 

Elmar Lampson: In meiner Auffassung von Oper wird nur gesungen, wenn es einen wirklichen inneren Anlass gibt zum Singen. Wenn ich in der Textvorlage Worte finde, die aus dramatischen Gründen notwendig sind, aber in denen ich keinen inneren Anlass zum Singen finde, vertone ich sie nicht, sondern lasse sie sprechen. Die Motive für das Singen müssen bei mir außerdem immer auch aus der musikalischen Gesamtform der Oper heraus entstehen. Für „Wellen“ schwebten mir am Anfang zwei getrennte Ebenen vor: eine rein schauspielerische Welt, in der nur gesprochen wird, und eine musikalische mit Gesang. Der sich darstellende Mensch ist für mich die Grundlage von Oper. Ich frage dann also: Wann singt er? Wann spricht er? Und wann schweigt er, wann treibt die Musik das Geschehen voran? Julias Libretto war für mich ein Glücksgriff. Weil es mir klare Situationen und klare Konstellationen gegeben hat und einen Pool an singbaren Worten. Ich hatte die grundsätzliche Zustimmung der Librettistin auszuwählen, was der musikalische Strom erlaubt. Für mich gehört zum Singen auch die Wiederholung, weil das Singen eine vom Inhalt der gesprochenen Mitteilung gelöste kreisende Zeitempfindung eröffnet.

Yoel Gamzou: Wenn Musik und Sprache zusammenkommen, ist das wie eine Fusion von zwei Tonarten. Denn in der Sprache steckt auch bereits Musik. Durch die Musikgeschichte hindurch gab es viele verschiedene Konstellation im Verhältnis von Sprache Musik. Musik kann Sprache illustrieren oder ihr widersprechen. Oder sie wird, wie Elmar es beschreibt, fragmentiert und die Worte nehmen den Charakter von musikalischen Vokabeln an. Was war dein Ziel, Julia? Wie wolltest du die Sprache deines Librettos musikalisch behandelt wissen? Hast du dir eher eine Reibung zwischen der Sprache und der Musik vorgestellt oder eine Illustration?

Julia Spinola: Ich habe mir eher eine Reibung vorgestellt zwischen der Sprache und der Musik. Und selbstverständlich bin ich davon ausgegangen, dass Elmar sich aus den Szenen auswählen würde, was davon er vertont und wo er sich entschließt, Dinge rein musikalisch zu sagen, wodurch Teile des Textes überflüssig werden.

Yoel Gamzou: Elmar, das Orchester spielt in deiner Komposition eine bedeutende Rolle. Ist das Orchester das Meer?

Elmar Lampson: Ja, das Orchester ist das Meer, gewissermaßen. Es hat mich an dem Roman sehr beeindruckt, wie Keyserling mitten in der Schilderung einer Alltagsszene plötzlich eine Beschreibung des Meeres einflechten kann, die wirkt, als würden wir beim Blick aus dem Fenster aufs Meer von einer total anderen Wirklichkeit angeweht werden. Und das stellte mich vor die Herausforderung, diesen Strom von Wirklichkeit musikalisch einzufangen.

Yoel Gamzou: Es gibt lange Orchesterzwischenspiele. Wünschst du dir, dass diese Musik beim Hörer Assoziationen auslösen, die konkret mit dem Meer zu tun haben? Oder ist das Meer eher eine Metapher?

Elmar Lampson: Ich wünsche mir, dass die Menschen, die zuhören, das Gefühl der Zeit, der Weite und der Ruhe in sich entstehen lassen, die man nicht abkürzen kann, wie man sie am Meer erleben kann. Die Präzisierung und das Anbinden an konkrete Vorstellungen ist die Aufgabe der Sprache, der Begriffe. Und die Musik umgibt sie mit Wellen, auch im metaphorischen Sinne. Die Zwischenspiele schaffen eine Gesamtform, ein alles umgreifendes Geschehen, aus dem die einzelnen Szenen auftauchen und von dem sie wieder hinweggespült werden.

Yoel Gamzou: Nächste Frage an die Librettistin: Was ist das Musikalische an der Sprache von Eduard von Keyserling? Und was hat dich an seinen Texten am meisten berührt?

Julia Spinola: Ich fange mal mit der zweiten Frage an. Am meisten berührt mich die liebevolle Präzision, mit der er schreibt. Er hat einen sehr analytischen Blick auf das Geschehen, das heißt, er durchschaut seine Figuren, die in scheiternden Beziehungen stecken, ohne es zu wissen, und ihre Illusionen. Er blickt einerseits so analytisch wie ein Forscher auf diese Sommergesellschaft und beobachtet wie unter einem Mikroskop ihre Mechanismen von Selbstbetrug und Selbstdarstellung. Aber er wird dadurch nicht zum Zyniker, sondern blickt vielmehr voller Anteilnahme und Liebe auf die Unfähigkeit seiner Figuren, das Leben zu meistern. Und das finde ich ziemlich einzigartig. Das erinnert mich an einen Komponisten, den ich sehr liebe: an Alexander Zemlinsky, der in seinen Opern auch sehr schonungslos auf die Realität blickt, seine Figuren aber nie vorführt oder karikiert, und dessen Musik oft klingt, als wolle sie den Zuhörer über das Leid, das sie musikalisch ausdrückt, zugleich auch hinwegtrösten. Keyserlings Roman ist hoch musikalisch, nicht nur in der oft hervorgehobenen Stimmungsmalerei, sondern auch in der Logik des Fortschreitens. Er hangelt sich nicht logisch an einem Plot entlang, sondern eher assoziativ, kaleidoskopisch, metamorphotisch, wie im Traum.

Veröffentlicht am 22. Mai 2025.