Von wegen Ruhestand: Kammersänger Loren Lang kehrt als Komtur ans Theater Bremen zurück
Ein Porträt von Brigitte Heusinger.
Eigentlich hatte er sich in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet, doch die Theaterabstinenz hat nicht lange vorgehalten. Regisseurin Tatjana Gürbaca wollte ihn unbedingt für die unheimliche Rolle des steineren Gastes im Don Giovanni. So haben wir uns getraut, ihn zu fragen. Und er hat ja gesagt, obwohl er ganz andere Pläne hatte. Wie schön!
Sprühend, wach, dynamisch, lebensbejahend ist er – ein Künstler mit Bodenhaftung.
Siebenunddreißig Jahre stand er auf der Bühne, dreißig Spielzeiten davon in Bremen. Und 2018/19 war seine letzte: Loren Lang ging in den Ruhestand. Das war kaum zu glauben, wenn ich ihm im Theatro bei einer Tasse Cappuccino gegenüber saß: Sprühend, wach, dynamisch, lebensbejahend ist er – ein Künstler mit Bodenhaftung.
Natürlich hat Lang in seinem Sängerleben viel erlebt, „Höhen, Tiefen, mehrere Intendanten, viele Generalmusikdirektoren, Zwischenzeiten und Übergangslösungen.“ Die schönste Rolle unter den vielen, die er gesungen hat? Besonders lebendig ist ihm die Tosca in Erinnerung geblieben. Der Weser-Kurier lobte damals, 2012, besonders die Verführungsszene, in der Scarpia seine Macht über Tosca ausspielt: „Da wird eiskalter Psychoterror par excellence ausgeübt, der sich wie eine eiserne Klammer auf den Zuschauer überträgt. “ Ja, den Scarpia hat er gerne verkörpert: „Ich spiele gerne Bösewichte, auch wenn manche Menschen denken, ich sei zu nett“, sagt er lächelnd. Auch der Holländer sei eine Schattenfigur, tief, verletzlich, verzweifelt und mit existentieller Musik ausgestattet. Diese absolute Traumrolle wäre ihm jedoch beinahe entgangen.
„Es war ein Wagnis, es war unheimlich spannend, und es ist gut gegangen.“
Eigentlich war Lang in der Inszenierung als Daland besetzt, „eine schöne Rolle natürlich“, aber sein Herz schlug eben für die Titelpartie. Eines Abends ging er nach Beendigung einer Traviata-Probe auf seinem Nachhauseweg über die Seitenbühne – sein Kollege Patrick Zielke sang den Daland, der erste Akt ging gerade zu Ende – da kam der Sänger, der den Holländer sang, verzweifelt auf ihn zu: „Ich habe überhaupt keine Stimme mehr, kannst Du für mich übernehmen?“ Noch nie hatte Loren Lang die Partie auf der Bühne gesungen, noch nie mit Orchester. Nur studiert hatte er sie. Doch flugs lieh er sich ein Jackett vom Chordirektor, rief seine Frau an und trat mit schnell besorgten Noten auf der Seite auf. Dirigent Clemens Heil hub an Wie aus der Ferne längst vergangener Zeiten zu dirigieren, schaute irritiert nach vorne, schaute erstaunt zur Seite, das Orchester tat es ihm gleich. „Es war ein Wagnis, es war unheimlich spannend, und es ist gut gegangen. Ein Glücksfall, dass ich eingesungen und nicht zu übermüdet war.“ Die nächste Vorstellung sang er übrigens dann auch von der Seite und zwei weitere auf der Szene. Und letzte Saison hat er sich offiziell mit dieser Partie vom Bremer Publikum verabschiedet.
Im Doppelpack mit seiner Schwester über den großen Teich zum Vorsingen
Dass Loren Lang die Sängerlaufbahn einschlug, war – wie so oft – eine Mischung zwischen Bestimmung und Zufall. Er hatte als Student in Seattle die Tosca gesehen, die ihn schwer beeindruckte, aber seine Leidenschaft galt dem Sport. Football spielte er an der Highschool und wahrscheinlich richtig gut. Ein Autounfall verhinderte tragischerweise weitere sportliche Betätigung. Und da „aktiv sein“ auch damals schon eine Lebensnotwendigkeit war, ging Lang in den Hochschulchor. Jedes Jahr stand ein Musical auf dem Programm; jetzt gerade Irving Berlins Annie, Get Your Gun. Er wurde überredet vorzusingen, tat es und erhielt die Hauptrolle: Frank Butler, dessen berühmter Song There‘s no business like show business Langs Weg charakterisiert. Denn er studierte erst einmal Wirtschaft, „etwas Vernünftiges“, aber merkte schnell, dass „Buchhaltung und all das Zeug“ nichts für ihn sei. Also: Showbusiness. Die Leitung der Opernabteilung der Highschool riet ihm wie seiner Schwester, die ebenfalls sang, einem Lehrer in Hannover vorzusingen. Sie überquerten im Doppelpack den großen Teich und wurden beide gleich beim ersten Anlauf an der Hochschule in Hannover angenommen. Loren drängte es auf die Bühne, er wollte singen, er wollte spielen, doch erstmal währte das Studium lange zwölf Semester, bis sich dann ein Vorsingen am Theater in Würzburg in ein erstes Engagement verwandelte. Drei glückliche Jahre – von 1982-1985 – verbrachte er in hier, wo er auch seine Frau kennenlernte. Ein Einspringen in Ludwigshafen in Peter Cornelius Der Barbier von Bagdad erregte Aufmerksamkeit. Die Agentur rief an, er sollte in Braunschweig vorsingen. Er tat es und wurde engagiert. Und 1989 ging er dann nach Bremen und sang sich hier quer durch sein Bass-Bariton-Fach.
„Ich war ein Leben lang mit meiner Stimme beschäftigt.“
Jetzt freut er sich über ein Leben, das er selbst bestimmen kann und in dem er mehr Freizeit hat. Ein Leben zwischen seinen zwei Heimaten: Osterholz-Scharmbeck, wo seine vier Kinder aufgewachsen sind, und der Westküste von Amerika, im Bundesstaat Washington, wo er aufgewachsen ist. Mindestens einmal im Jahr ist er dort, fährt Motorrad und angelt, ist in der Natur. Natürlich schließt er nicht aus, weiter zu singen: „Schließlich war ich ein Leben lang mit meiner Stimme beschäftigt.“ Die Bühne wird ihm vielleicht fehlen, aber was er nicht vermissen wird, ist der Druck. Ohne jede Bitterkeit redet er über die Ängste, die jede Sängerin, jeder Sänger kennt: „Der Beruf besteht aus viel Angst und Sorge, dass etwas nicht klappt. Und die Stimme ist eine tägliche Arbeit. Der erste Gedanke nach dem Aufstehen gilt ihr. Wenn sie da ist, sie läuft, ist es wunderbar, aber wenn nicht, ist es die Hölle. Dann musst du alles dafür tun, sie in Gang zu kriegen. Da muss man die Ruhe bewahren, die Nerven behalten.“ Wann er das letzte Mal eine Vorstellung abgesagt hat, daran kann er sich nicht erinnern. „Ich lebe nicht für den Applaus, aber wenn man die Herausforderung bewältigt hat, es gut gelaufen und man zufrieden mit sich ist, ist es ein wunderbar beglückendes Gefühl.“
2012 ist Loren Lang übrigens zum Kammersänger des Theater Bremen ernannt worden. Darüber haben wir nicht gesprochen, er hat es nicht erwähnt – irgendwie typisch.