Warum eigentlich … Leerstand?

Schauspieldramaturg Stefan Bläske im Gespräch mit Daniel Schnier und Oliver Hasemann von der ZwischenZeitZentrale über Galopprennbahn und Großinvestoren, Corona und die Kunst, immer wieder neu anzufangen.

Stefan Bläske: „Die Zwischenzeit ist mein“, sagt Hamlet. Ihr nennt euch ZwischenZeitZentrale (ZZZ) und kümmert euch – eben für begrenzte Zeit – um die Nutzung von freien Räumen und Immobilien. Ihr seid nun für die Galopprennbahn zuständig, aber auch in der Innenstadt gibt es viel Leerstand, sogar die Sparkasse am Brill geht raus. Was ist da los?

Daniel Schnier: Es wird noch viel leerer. Das alte analoge Konzept zerbricht – jetzt natürlich noch schneller. Es gibt seit 2008 das Smartphone mit dem sogenannten mobilen Internet. Bankhäuser darben dahin, da alles online unternommen werden kann. Diverse Nutzungen könnten nun Einzug in die Innenstädte erhalten. Das Shopping ist schon sehr lange nicht mehr Innenstadt, eher am Rand der Stadt mit Centermanagement und kostenfreien Parkplätzen.

Oliver Hasemann: Eigentlich wissen alle, dass die Einkaufsinnenstadt des 20. Jahrhunderts nicht mehr zurückkommt und dass Corona diese Entwicklung nur beschleunigt hat. Leider hat dies bisher noch nicht dazu geführt, dass sich die Stadt zu einem neuen Innenstadtbild bekannt hat. Die Innenstadt müsste eigentlich ein Ort sein, an dem sich die Bremer*innen gerne aufhalten, der Mittelpunkt des öffentlichen Lebens. Das ist sie aber bisher nur partiell und die Interessen vieler Akteure sind eher auf den Status Quo gerichtet, was natürlich auch handfest an Immobilienpreise gebunden ist. Einzelne Großprojekte können dazu führen, dass verfahrene Situationen aufgelöst werden. Aber natürlich begibt sich die Stadt dort in Abhängigkeiten, wenn nicht von vornherein transparente Ziele der Stadtentwicklung aufgestellt werden.                                                                                                                               

Parallel zum Leerstand gibt es Gentrifizierung, Unterbringungsprobleme und Obdachlosigkeit. Ließe sich das eine mit dem anderen lösen?

Daniel Schnier: Nein, Leerstand ist nicht die Lösung für arme oder gar obdachlose Menschen, die Hilfe benötigen. Die Lösung wären vernünftige Gehälter in diesem Land, sodass auch Menschen, die jeden Tag als Beispiel jeweils 10 Stunden einen Discounter führen, sich für ihre Familie eine gute Wohnung oder ein Haus in der Stadt leisten können. Seit 2009 geht das Geld nicht mehr ins unsichere Aktiengeschäft, sondern bestimmt den Immobilienmarkt. Rendite pur. Die Antwort der Bundesregierung ist nicht gegensteuern, sondern die Verknappung des Angebots mit der Beendigung des „sozialen Wohnungsbaus“. Es wird immer teurer, Tag für Tag. Die fehlenden Steuereinnahmen und leeren Kassen zwingen u. a. die Kommunen und Städte, viel mehr auf private Investoren zu setzen. Das ist seither zu einseitig geworden.

Oliver Hasemann: Der Leerstand in vielen Städten, zumindest in den sogenannten „alten“ Bundesländern, ist häufig kein Wohnungsleerstand und damit nicht so ohne weiteres zum Wohnen geeignet, da müssten dann erst einmal grundsätzliche Bedingungen erfüllt werden. Viele Leerstände liegen auch in Gebieten, in denen Wohnen, sehr zu recht, nicht erlaubt ist, aufgrund von Emissionen, gefährlichen Aktivitäten in der Nachbarschaft, etc. Dann gibt es auch Gemeinden mit Wohnungsleerstand, weil Menschen wegziehen und der demographische Wandel zu einer Verödung führt. Da wollen aber Menschen unter Umständen gar nicht wohnen, weil ihnen ihr soziales Netzwerk fehlt.

Die Möglichkeit für neuen Wohnraum gäbe es nun hier auf dem Gelände der Galopprennbahn – Symbol einer vergangenen Zeit und zugleich Zankapfel in Bezug auf die Stadtentwicklung der Zukunft. Wie kam das, dass ihr nun für dies Zwischennutzung zuständig seid?

Daniel Schnier: Am 31.03.2018 war das letzte Rennen hier. Das Galopprennen wurde über mehrere Jahrzehnte steuerlich und privat gefördert und ist zuletzt, wie so viele Unternehmungen, dem Internet zum Opfer gefallen. Mit Ende der großen Koalition begann das klamme Bremen einige Dinge zu hinterfragen und drehte den Förderhahn für die Galopprennbahn ab, aber auch private Förderer nahmen Abstand. Wir dürfen nun Zwischennutzungen gemeinsam mit vielen unterschiedlichen Menschen auf dem riesigen Areal unternehmen.

Oliver Hasemann: Die längerfristige Nutzung des Areals wird momentan in einem Beteiligungsprozess an einem Runden Tisch geplant. Bis es hier zu einer Entscheidung kommt, soll das Gelände trotzdem schon für Menschen und Ideen offen stehen. Als ZZZ organisieren wir momentan, dass dies im Rahmen von Zwischennutzungen möglich ist, und wollen damit insbesondere auch Ideen und Experimente fördern, für die es in der Regel nicht so große Flächen in der Stadt gibt.

Wenn man nachliest über die Galopprennbahn, erscheint einiges wie ein Schildbürger*innenstreich. Warum haben Stadt und Steuerzahler*innen so oft das Nachsehen, während Golfvereine und Superreiche noch Vorkaufsrechte und Entschädigungen bekommen?

Daniel Schnier: Diese Superreichen haben die Freie Hansestadt Bremen aufgebaut, auch vor dem Krieg, und die Idee dieser Galopprennbahn in Bremen begann im Jahre 1864. An der Stelle der Galopprennbahn waren ursprünglich Weideland und Wiesen ringsumher. In einer Aufbruchszeit bauten die Pfeffersäcke dieses Hobby-Karussell für Superreiche. Aber auch die Botanischen Gärten am Osterdeich wurden 1905 von Reichen (Franz Schütte) erbaut, heute der Rhododendron-Park Bremen – umgezogen und neu geplant nach Horn durch die Nazis in den 1930er Jahren. Viele große gemeinwohlorientierte bremische Projekte wurden durch das Mäzenatentum der Pfeffersäcke nicht nur gefördert, sondern vielmehr gestartet und teilweise betreut. Die Zeit und die Projekte, mit denen sich die Reichen in der Stadt zeigen, haben sich geändert. Nun kann die klamme Stadt die übriggebliebenen Projekte fördern, für die sich kein Mäzen mehr findet.

Nun seid ihr verantwortlich für die Nutzung des Geländes, sogar haftbar.

Daniel Schnier: Wir sind davon nicht begeistert, aber der Grund und Boden wird uns in einer Art Zwischennutzung geliehen, bis wir tot sind. Die Stadt plant nicht mehr wirklich und gibt selbst kaum innovative Ideen weiter, bzw. stellt sie vor oder hat sie. Natürlich gibt es sie, punktuell, aber die großen Projekte sind in privater Hand.

Mal ganz grundsätzlich gefragt: Warum darf man Grund und Boden, warum darf man die Erde überhaupt besitzen? Rousseau hat diese Grundannahme unserer kapitalistischen und „bürgerlichen“ Gesellschaft gut beschrieben: „Der erste, der ein Stück Land mit einem Zaun umgab und auf den Gedanken kam zu sagen ‚Dies gehört mir‘ und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der eigentliche Begründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wieviel Elend und Schrecken wäre dem Menschengeschlecht erspart geblieben, wenn jemand die Pfähle ausgerissen und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: ‚Hütet euch, dem Betrüger Glauben zu schenken; ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass zwar die Früchte allen, aber die Erde niemandem gehört‘.“ (Jean-Jacques Rousseau, Discours.)

Oliver Hasemann: Um die Bodenfrage gibt es gerade momentan wieder viele aktive Diskussionen, insbesondere auch in der Fachwelt der Stadtplaner. Die Begrenztheit von Boden ist schon im Grundgesetz aufgenommen und auch in der Bremer Verfassung ist dies aufgeführt und damit soll der Spekulation und dem Abgreifen von Gewinnen aus Bodenwertsteigerungen vorgegriffen werden, bzw. soll diese für das Gemeinwesen genutzt werden. Das wird nur bisher kaum wahrgenommen. Die steigenden Grundstückspreise sind letzten Endes auch ein wesentlicher Grund für die Steigerung der Wohnkosten und müssten allein aus diesem Grund begrenzt und dem Gemeinwohl zugänglich gemacht werden.

Gibt es kluge Gegenmodelle? Das 99 oder 999-Jahre-Leasing-System aus Hongkong oder andere Ideen?

Daniel Schnier: Erbpacht ist eine Idee, die hoffentlich die Kommunen und Städte wieder entdecken, um so zu steuern. Aber das Geld lockt. Aber der Platz ist begrenzt und trotz weitem Zuzug vom Land in die Stadt werden immer noch im Speckgürtel Einfamilienhäuserträume erfüllt und in der Stadt wird es leerer. Dennoch steigen die Preise.

Oliver Hasemann: Es gibt auch Modelle, in denen die Städte als Entwickler auftreten und den Grund erwerben, um ihn dann zu festen Konditionen an die Entwickler*innen oder einzelne Baufrauen und -herren abzugeben, das heißt zum Beispiel mit Obergrenzen in den Preisen, und der Betrag zwischen dem Ankaufspreis der Stadt und der Weiterverkaufspreis wird genutzt, um die notwendigen Infrastrukturen zu errichten und zu unterhalten.

Eure Zwischennutzungen sind von den Besitzer*innen gewünscht, manchmal gar beauftragt und bezahlt. Was haltet ihr von Hausbesetzungen und anderen Formen von Nutzungen, die nicht von allen als legal betrachtet werden?

Daniel Schnier: Eine Zwischennutzung ist keine Hausbesetzung. Hausbesetzungen haben immer eine politische Aussage und wir möchten keine Umdeuter sein. Um Veränderungen zu starten, bedarf es anderer Strategien. Die kritische Masse scheint im wahrsten Sinne verstrahlt zu sein und nimmt das neoliberalistische Leben, so wie es ist. Es gibt keinen Fight, wenn alles superb ist, wenn es einem gut geht und man die Creditpoints sammelt, um am Ende einen Zeitvertrag ohne Absicherung der eigenen sozialen Sicherheit in Händen zu halten. Ich schweife ab, aber man sollte auch dort mehr ausholen und die Zusammenhänge sehen.

Oliver Hasemann: Beauftragt und bezahlt wird unsere Arbeit von der Stadt Bremen. Das Thema Besetzungen ist ein wenig aus der Aufmerksamkeit verschwunden und wird inzwischen auch eher als Mittel genutzt, um auf Missstände, wie (spekulativem) Leerstand, fehlendem (bezahlbaren) Wohnraum, fehlende Kulturräume und Treffpunkte aufmerksam zu machen. So kann relativ schnell Aufmerksamkeit erzeugt werden, wobei diese dann auch auf den Missstand fallen sollte und nicht alleine auf die Besetzung. Im Falle der Dete in der Lahnstraße wäre dies ja zum Beispiel, warum dort immer noch nicht gebaut wird, obwohl dem gar keine äußeren Gründe mehr entgegenstehen.

Euer Konzept, für das ihr auch schon Preise bekommen habt, heißt: „Schlafende Häuser wecken“. Aber ist es nicht auch problematisch, wenn Künstler*innen und Kreative solche Räume bespielen und „aufwerten“ dürfen, schlecht oder gar nicht bezahlt, und am Ende übernehmen wieder Investor*innen und machen damit das große Geld? 

Daniel Schnier: Uff, was platt. Nein, wir sind immer selbst in Zwischennutzung ganz nah bei den Projekten und Orten und erobern Räume. Außerdem kann man versuchen zu planen, aber Innovation ist nur möglich, wenn es die dafür die nötigen Räume gibt. Also Räume, die noch nicht vorgemerkt sind und wo es noch keine Idee gibt. Zum Beispiel das Noon, das nun im Theater Bremen einen tollen Job macht und vielen Menschen eine angenehme Zeit gibt, und ganz nebenbei Arbeitgeberin von vielen geworden ist. Eine kleine studentische Idee in Blumenthal auf dem BWK im Jahre 2012. Und acht Jahre später – diese großartige Idee.

Oliver Hasemann: So einfach ist es ja nicht. Klar kann es vorkommen, dass durch die Zwischennutzung etwas wieder in Wert kommt, das vorher keinen Wert hatte und die Zwischennutzer*innen nicht daran partizipieren. Das ist aber hier in Bremen eher die totale Ausnahme. In der Regel eröffnet die Zwischennutzung vor allem für die Nutzer*innen Chancen, die sie sonst so nicht gehabt hätten.

Wie schlimm ist es, wenn man wieder raus muss? Ich war bei jedem Umzug immer auch wehmütig. Wie ist das bei einer ZwischenZeitZentrale, die – fast wie Theaterleute – per definitionem nicht lang bleibt?

Daniel Schnier: Genau! Wir sind immer unterwegs und bisher selbst nur einmal umgezogen. Im Jahre 2015, von der Abfertigung in das Wurst Case in Hemelingen, aber der ganz große Abschied war das Projekt „Sproutbau“, das mit über 79 Menschen aus der ganzen Welt so viel ausgelöst hat. Immer in Bewegung bleiben ist hier immer noch nicht angekommen. Als ich mit meiner Frau in unser Haus gezogen bin, fragte ein sehr guter Freund; „Und hier werdet Ihr also sterben?“ Wir lachten beide.

Oliver Hasemann: Es wird schon mit jedem Projekt leichter. Der Auszug aus unserem ersten Projekt war der emotionalste. Aber natürlich tut jeder Abschied weh, zumal bei unseren Projekten dann manchmal ja nicht nur der Auszug stattfindet, sondern auch der Abriss des ganzen Gebäudes und dann auch physisch nichts mehr vorhanden ist, an das man zurückkehren könnte.