Warum eigentlich … Schaustellerei?

Claudia Vespermann-Dreher vom Bremer Verband der Schausteller und Marktkaufleute (BSM) im Gespräch mit Schauspieldramaturg Stefan Bläske über Breakdancer, Amüsement und TÜV

Stefan Bläske: Wir hätten nun eigentlich Premiere mit „Karoline und Kasimir“ nach Ödön von Horváth. Da will Karoline Achterbahn fahren, aber ihr Freund ist gerade arbeitslos geworden und hat weder Geld noch Lust. Sie streiten, die Beziehung zerbricht. Später sagt Karoline: „Ich wollte doch nur mit der Achterbahn fahren“. Haben Ihre Fahrgeschäfte mehr Paare entzweit oder zusammengebracht?

Claudia Vespermann-Dreher: (lachend) Wir haben mehr Paare zusammengebracht als entzweit. Viele Besucher*innen lernen sich auf einer Kirmes kennen und lieben. Wir hatten schon zig Heiratsanträge bei uns an den Karussellanlagen.

Erleben Sie lustige Geschichten?

Claudia Vespermann-Dreher: Ja, natürlich. Es ist immer spannend, in der Kasse zu sitzen und das Publikum zu beobachten. Manch Partner*in muss erst überredet werden, einige Freunde werden überrascht. Einige sträuben sich beim ersten Mal so sehr und werden dann zu Stammkund*innen, manchmal entwickelt sich daraus eine Freundschaft. Hinter jedem Fahrtgast steckt ein Geheimnis … Mal interessiert es mich mehr, mal weniger.

Menschen werden rumgeschleudert oder meterhoch in den Himmel geschossen, außerdem trinken sie viel. Wie hoch sind Risiko und Versicherungssummen bei Ihnen, schlafen Sie gut?

Claudia Vespermann-Dreher: Ich schlafe sogar sehr gut, denn der deutsche TÜV ist weltweit anerkannt und der beste. Wir werden jährlich überprüft und wöchentlich vom Bau- und Ordnungsamt in Augenschein genommen. Wir sind immer persönlich am Geschäft, Obacht ist höchstes Gebot. Aber natürlich sind die Versicherungsprämien hoch, wir wollen im Notfall ja auch abgesichert sein.

Wie ist die Situation seit Corona?

Claudia Vespermann-Dreher: Wir sind seit mittlerweile 14 Monaten quasi immer zuhause, wir haben ein Berufsverbot. Normal ist bei uns eine Pause zwischen den Weihnachtsmärkten und dem Neustart der Saison im März. Das heißt: Die letzten Einnahmen unter normalen Bedingungen fanden im Dezember 2019 statt. Wir sind angewiesen auf die Verordnungen unseres Staates. Wann es für uns wie weitergeht, ist noch ungewiss. Wir haben einen Kredit aufgenommen und eine Lebensversicherung aufgelöst und in den Betrieb gesteckt. Es gibt auch Unterstützung vom Staat, die Gelder kommen auch an, aber …

Aber?

Das reicht nicht. Eines muss klar sein: wir wollen nicht abhängig vom Staat sein. Wir wollen wieder unserem Beruf, unserer Berufung nachgehen, anderen Leuten schöne Stunden zu bereiten und glückliche und leuchtende Kinderaugen sehen. Es ist schwer für uns alle, immer zuhause zu sein. Normalerweise gastieren wir mit beiden Breakdancern in über 30 Städten im Jahr.

Fahren Sie selbst manchmal mit den Fahrgeschäften?

Claudia Vespermann-Dreher: Ich fahre mindestens zweimal im Jahr Breakdancer. Einmal zur Osterwiese mit der Tochter meines Schulfreundes und einmal zum Freimarkt. Unsere Break Dancer sind zwei tolle Geschäfte, da muss man halt auch mal mitfahren. Manchmal fragen mich Stammgäste, ob ich mit ihnen gemeinsam fahre – da kann ich nicht widerstehen.

Haben Sie weitere Favoriten oder Geheimtipps?

Claudia Vespermann-Dreher: Ich finde jede Achterbahn toll. Ein Eis bei Manke und ein Schaschlik bei Keuneke gehört zu Bremen dazu. Fröschekloppen und Lose ziehen sind auch Highlights. Wenn man was von seiner Stadt sehen möchte, gehört eine Fahrt mit dem Riesenrad auf die To-Do-Liste. Und der Klassiker schlechthin (nicht nur in Bremen): Happy Sailor, das Bötchenkarussell, finde ich auch immer wieder aufregend. Ich könnte stundenlang weitererzählen, ich bin Vollblut-Schaustellerin.

Dürfen wir hier einen kleinen Teil der langen Liste veröffentlichen, die Sie an Ostern gepostet haben? Die erzählt viel von Ihrem Beruf, aber auch von Sehnsucht und Hoffnung, die nun ja wieder keimt.

Claudia Vespermann-Dreher: Ja, gerne.

Kleine Randnotiz
Auch ICH will mein Leben zurück.
Ich möchte wieder meinem Beruf nachgehen, ich möchte mich nicht mehr im unendlich wirkenden Lockdown befinden.
Mir fehlt die Kirmes,
mir fehlt die Musik
und
mir fehlt das Fahrgeräusch unserer beiden Break Dancer.
Mir fehlt das Feuerwerk,
Mir fehlt der Geruch von Popcorn, frisch gebrannten Mandeln,
Fritten, Crêpes, Bratwurst ,
Bre(t)zel und Fischbrötchen.
Mir fehlt das Publikum, dass einfach nur über den „Platz“ schlendert und sich amüsiert.
Mir fehlt es, wenn die Kinder getragen werden, weil im Kinderwagen der Hauptgewinn der Losbude sitzt.
Mir fehlen die jungen Mädels, die fragen, wie unsere Chip-Einsammler heißen.
Mir fehlen die Leute, die sich über die zu kurzen und zu langen Fahrten oder gar den Fahrpreis beschweren.
Mir fehlt es, wenn ich für zwanzig Mann gekocht habe und die Meute nicht kommt, weil es gerade nicht passt.
Mir fehlen der Stau auf der Autobahn, wenn wir von A nach B fahren,
der Reifenwechsel und
das Warten an der Tankstelle.
Mir fehlt es, wenn Wasser und Strom noch nicht da sind und/oder mal wieder ein Auto beim Ankommen auf dem Festplatz im Weg steht.
Mir fehlen unsere Rekommandeure,
ohne WENN und ABER!
Mir fehlen unsere Aushilfen und Kassierer, die schon jahrelang bei uns helfen, wenn wir wieder in der Stadt sind.
Mir fehlt das Schild:
„Junger Mann zum Mitreisen gesucht !!!“

Liebe Volksfestbesucher,
liebe Kirmes-Freaks,
liebe Fans,
liebe Break Dancer- Gemeinde:
Ich vermisse Euch soooo sehr!
Bis bald,
Claudia Vespermann-Dreher