Warum eigentlich ... unfair einkaufen?
Rote Karten oder blaue Engel? Christiane Mache vom Bremer entwicklungspolitischen Netzwerk e.V. im Gespräch mit Schauspieldramaturg Stefan Bläske über Fairplay und Produzieren 2021.
Stefan Bläske: Ende 2020 hat die Wirtschaftsförderung Bremen „das erste Fairkaufhaus für Bremen“ angekündigt, Gewinner einer Concept-Store-Ausschreibung. Dass so ein Projekt Förderung braucht und als Erfolgsmeldung gilt, bedeutet wohl, dass unsere Innenstädte voller „Unfairkaufhäuser“ sind? Zu den Basics: Was genau heißt „fair produzieren“?
Christiane Mache: Der Duden sagt: „Den Regeln des Zusammenlebens entsprechend; anständig, gerecht im Verhalten gegenüber anderen.“ Da lässt sich schon ablesen, wie schwierig eine Antwort ist. Wenn ich in einem ganz normalen Laden ein ganz normales Hemd kaufe, dann ist es wahrscheinlich „den Regeln des Zusammenlebens“, also hier den Regeln des Handels entsprechend hergestellt. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass diese Regeln auch gerecht für alle an der Herstellung Beteiligten sind.
Ein Beispiel?
Christiane Mache: Es gibt so eine Darstellung, bei der ein T-Shirt aufgeteilt wird nach den Akteur:innen, die an ihm verdienen. Bei einem Verkaufspreis von 29 € gehen etwa 20 € an die Marke und den Einzelhandel. 1,15 € ist der Gewinn der Fabrik und als Lohn für die Näher:in müssen 18 Cent reichen. Und dann bleibt auch noch zu bedenken, dass sich „fair“ oder eben „unfair“ ja auch auf die Umwelt und andere Menschen bezieht – die ja nicht zwangsläufig an der Herstellung eines Hemdes beteiligt sind, aber natürlich trotzdem leiden, wenn z.B. Abwässer der Fabrik ungeklärt in die Umwelt geleitet werden. Oder auf die Kinder der Näher:innen, die zum Familieneinkommen beitragen müssen, weil die Eltern keine auskömmlichen Löhne erhalten. Oder auf die Menschen, die die Waren über den ganzen Globus transportieren.
Kann man Produkte aus globalem Handel derzeit überhaupt als „fair“ etikettieren?
Christiane Mache: Eigentlich glaube ich, konsequent „fair“ hergestellt werden können nur recht einfache Dinge, die quasi „nebenan“ produziert oder angebaut werden, deren Herstellungsprozess nicht sonderlich komplex ist und an dem nur Wenige beteiligt sind. Alles andere wird schnell so umfangreich, dass von einer Stelle aus womöglich gar nicht alle Akteur:innen auf „faire“ oder „unfaire“ Behandlung überprüft werden können. Fairer produziert statt fair produziert könnte es vielleicht richtiger heißen.
Müsste in der Marktwirtschaft nicht grundsätzlich „fair play“ gelten, wie auf einem Sportplatz?
Christiane Mache: Ja, natürlich, wenn der Markt den Klassenerhalt im Blick hätte, dann auf jeden Fall! Wer so spielen lässt, dass die Mitspieler:innen reihenweise lädiert vom Platz müssen, der hat irgendwann keine Mitspieler:innen bzw. keine intakte Natur und keine motivierten Mitarbeiter:innen mehr – und also auch keine Chancen mehr am Markt. Deshalb braucht es eben für alle gleichermaßen gültige Regeln und unbestechliche Schiedsrichter:innen, die konsequent Gelbe und Rote Karten verteilen, egal wer gerade spielt.
Könnte man „fair(er) produziert“ nicht zur Norm machen? Bei problematischen Produkten gar mit Warnhinweisen arbeiten wie den Fotos auf Zigarettenschachteln?
Christiane Mache: Es gibt einfache, aber deutliche Maßnahmen wie Warnhinweise, die man problemlos umsetzen könnte. Im Moment kleben wir denen, die – auf unterschiedliche Art und Weise – fair spielen, „Grüne Knöpfe“, „Blaue Engel“ oder „FairTrade“-Siegel auf oder bescheinigen ihnen Mitgliedschaften in Multi Stakeholder Initiativen. Wenn wir machen würden, wonach Sie fragen, müssten wir uns auf Mindeststandards verständigen, z.B. die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation plus noch ein paar andere. Und wer nicht nachweisen kann, dass er oder sie sich daran hält oder sich auf die Reise dorthin gemacht hat, von dem müsste man annehmen, dass er oder sie nicht will. Und dann könnte doch guten Gewissens auch vor den Folgen, die dieses Produkt für Menschen und Umwelt hat, gewarnt werden. Wenn man die möglichen negativen Folgen des eigenen Handelns so deutlich vor Augen hat, führt das auch sicher zu anderen Reaktionen oder Kaufmustern.
Also Pfiffe, aber keine Platzverweise?
Christiane Mache: Eigentlich könnte man noch etwas provokanter fragen: Warum erlauben wir überhaupt, dass bei uns Dinge verkauft werden, die andernorts Schäden an Mensch und Natur angerichtet haben? Wir würden ja auch nicht erlauben, dass bei uns Waren verkauft werden, die uns hier schaden. Dafür haben wir z.B. das Verbraucherschutzgesetz.
Werden Unternehmen, falls juristisch überhaupt denkbar, in Zukunft womöglich rückwirkend zur Rechenschaft gezogen, wie bei den Entschädigungen für Zwangsarbeit?
Christiane Mache: Ob Unternehmen zukünftig für Schäden aufkommen müssen, die sie heute verursachen, also in der Rückschau, wage ich zu bezweifeln. Aktuell scheint es schwierig genug zu sein, sich auf rechtliche Regelungen zu verständigen, mit denen Unternehmen in Zukunft zu mehr sozialer und ökologischer Verantwortung verpflichtet werden sollen. Solche Gesetze gibt es in verschiedenen Ländern und gerade wird bei uns das Lieferkettengesetz bzw. dessen Ausgestaltung hart verhandelt.
Was wird das Lieferkettengesetz bringen?
Christiane Mache: Natürlich wird es die Situation verbessern. Gut machen im Sinne von „fair für alle Beteiligten“ aber sicher nicht, jedenfalls nicht im ersten Schritt. Dafür werden, was das geplante deutsche Lieferkettengesetz angeht, zu viele Unternehmen noch unter dem Radar bleiben können – jedenfalls wenn es nach dem Plan des Wirtschaftsministers geht. Ob ein noch so gutes, nationales oder auch europäisches Lieferkettengesetz bei hochkomplexen Produkten aber tatsächlich den ganzen verzweigten Weg bis zurück zur Rohstoffgewinnung abdecken und an allen Stationen zu positiven Veränderungen führen kann, erscheint mir unrealistisch. Da wird es sicher noch zusätzliche Initiativen und Maßnahmen brauchen. Aber der politische Wille und die Abkehr von der Freiwilligkeit sind wesentliche Voraussetzung für Veränderungen in diesem Bereich
Zu Ihrer eigenen Arbeit: Was genau macht das entwicklungspolitische Netzwerk?
Christiane Mache: Das Bremer entwicklungspolitische Netzwerk ist der Dachverband entwicklungspolitischer Initiativen im Land. Im Moment haben wir ca. 30 Mitgliedsgruppen, die zu ganz unterschiedlichen Themen wie Friedenspolitik, Klimagerechtigkeit, Fluchtursachen und eben auch faire globale Handelsbeziehungen arbeiten. Das BeN ist die gemeinsame Interessenvertretung. Innerhalb des Dachverbandes vernetzen wir die Gruppen, nach Außen formulieren wir zivilgesellschaftliche Positionen, um sie dann mit dem Rückhalt der Mitglieder – nach Möglichkeit – in politische Prozesse einzubringen. Wir bespielen aber auch eigene Projekte. Das „Junge entwicklungspolitische Forum“ zum Beispiel oder die „Bremen Global Championships“, ein entwicklungspolitisches Fußballturnier für Schulklassen. Eine Kollegin entwickelt gerade einen Lehrgang für Unternehmen zu nachhaltigem Lieferkettenmanagement.
Sie selber setzen sich für soziale Kriterien im öffentlichen Einkauf ein. Wie ist die Situation in Bremen, nehmen Behörden und Unternehmen das ernst?
Christiane Mache: In Bremen sind wir, was den nachhaltigen Einkauf angeht, in einer eher komfortablen Situation. Wir haben ein Vergabegesetz, das eine Einbeziehung von Umwelt- oder Sozial-Kriterien möglich macht und eine Verordnung, die den Blick auf soziale Kriterien in bestimmten Bereichen, wie zum Beispiel bei Textilien, sogar explizit fordert. Es gibt eine „Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung“, die sich mit der Umsetzung und Weiterentwicklung des Themas beschäftigt. Also im bundesweiten Vergleich werden in Bremen soziale Kriterien im öffentlichen Einkauf schon ernst genommen. Aber wir stehen – auch wenn wir schon vor Jahren begonnen haben – noch ziemlich am Anfang eines langen Weges.
Wir haben am Theater eine AG Nachhaltigkeit und sind an einigen Themen dran. Aber wenn die Kostümabteilung einen Chor einkleiden muss, ist es nicht immer einfach, bei jeder Bestellung die Lieferketten und faire Praxis zu recherchieren. Haben Sie Tipps?
Christiane Mache: Ich hätte einen Tipp grundsätzlicher Art. Weniger im Sinne von „fragt mal nach diesem Zertifikat“. Sondern: Fragt mal andere Theater, ob ihr etwas tauschen, leihen oder gebraucht kaufen und für den eigenen Bedarf umändern könnt. Aber dafür bräuchte es wohl unter allen Beteiligten einen Konsens, dass der künstlerische Anspruch sich, wann immer möglich, dem Anspruch an soziale und ökologische Nachhaltigkeit unterordnet. Weil es bei diesem Herangehen ja nicht immer 100%ig das geben kann, was sich Bühnen- und Kostümbildner:innen so ausgedacht haben.
Wir haben Produktionen, die sich nur aus dem Fundus bedienen. Aber bei entsprechenden Vorgaben gibt es Sorgen, dass das die sogenannte Kunstfreiheit einschränkt.
Christiane Mache: Wenn doch mal etwas gekauft werden muss, können andere Theater oder Kultureinrichtungen ins Spiel kommen. Gründet Einkaufsgemeinschaften! Und geht mit den Händler:innen ins Gespräch darüber, welche Erwartungen ihr an die Produkte habt. FairTrade zertifizierte Baumwolle, Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft und so weiter. Das sind wichtige Informationen an den Markt: Die Kunden wollen nicht mehr nur das Günstigste oder qualitativ Hochwertigste, sondern haben auch ganz andere Kriterien. Wenn der Markt das weiß, kann er entsprechend reagieren und sich anpassen.