Was tun eigentlich unsere Regisseur*innen ...

... jetzt, wo sie nicht probieren können. Felix Rothenhäusler, Hausregisseur am Theater Bremen, schreibt Mails mit dem Intendanten. Hier die Nachrichten vom 25. bis 27. März

Lieber Michael,

ich bin in Hamburg und freue mich, wenn wir uns sprechen. Dann können wir herausfinden, welche Pläne aus welchen Gründen uns wichtig sind, weiter zu verfolgen.  Die Frage ist ja auch ein bisschen, wie bestehende inhaltliche Positionen in Resonanz stehen mit dem, was wir gerade erleben. 
Mit Shirin hatte ich ein schönes Treffen in München. Wir können uns freuen, dass sie zu uns nach Bremen kommt. 
Vielleicht denken wir auch nochmal über Leif Randt nach perspektivisch. Ich habe gerade sein neues Buch Allegro Pastell gelesen. Würde mich interessieren, was ihr dazu denkt.

Herzlich,
Felix 

 

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Lieber Felix,

es gibt gerade so viel abzuarbeiten und zu kommunizieren, dass ich jetzt erst dazu komme zu antworten.
Leif Randt: ich habe so viele Rezensionen gelesen, dass ich zumindest bei meinem letzten Besuch im meinem Buchladen vor seiner Schließung überhaupt keine Lust mehr verspürte, es zu kaufen (habe mich stattdessen mit Friedrich Ani: All die unbewohnten Zimmer, Nicolas Mathieu: Wie später ihre Kinder und Harald Jähner: Wolfszeit eingedeckt). Ist vermutlich ungerecht und natürlich wäre es aufmerksamkeitstechnisch super, wenn wir die Rechte bekämen und Du es als Uraufführung statt des Darwin-Musicals machen würdest. Vielleicht ist Corona ja das Ereignis, das die Protagonist*innen bei Randt etwas erleben lässt …
Was ist uns wichtig, was nicht so sehr, was hat eine Resonanz auf die Dinge, die gerade da draußen passieren - schwierige Frage. Ich hänge schon sehr an unseren geplanten Projekten, trotzdem werden wir nicht alles, was wir vorhaben zum Ende der alten Spielzeit und zu Beginn der neuen Spielzeit, halten können. Irgendwie, irgendwann müssen wir zu Priorisierungen kommen - je nachdem, wann wir wieder anfangen können. Ich hoffe, dass wir im Juni wieder anfangen können zu probieren, ob das realistisch ist, weiß kein Mensch. Aber wir sollten in der Planung davon ausgehen. Dass wir im Mai wieder beginnen, halte ich für unwahrscheinlich.

Liebe Grüße, bleib gesund und trotz allem zuversichtlich!
Michael

 

Als PS ein Zitat aus dem Perlentauscher: Die Coronakrise lässt die Gegenwartsliteratur rasch altern, muss Gerrit Bartels im Tagesspiegel feststellen. So etwa Leif Randts gerade überall besprochener Allegro Pastell: „Man hat bei der Lektüre den Eindruck, der spiele in einer weit, weit zurückliegenden Vergangenheit. Was Randts Helden Tanja und Jerome da alles tun!“

 

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Lieber Michael,

der Klassiker-Nostalgie würde ich ja mit Beckett noch was abgewinnen. Der einzige Realismus der nicht einzuholen ist: das Absurde.
Was Gerrit Bartels da schreibt, ist allerdings auch schon ziemlich absurd. Eingeholte Gegenwartsliteratur. Das liegt in der Natur der Sache. Leif Randts Roman war schon vorher eingeholt von anderen Krisen. Das ist es ja eben: die Abwesenheit großer Ereignisse löst bei ihm einen Schmerz aus und zeichnet ein präzises Bild eines Milieus und den späten Nullerjahren. Mir ging es ja gar nicht so sehr darum, Allegro Pastell zu machen. Ich wollte eher in den Austausch treten, wie wir weiterdenken. Gar nicht so zielorientiert hin auf den Roman. Denn - wie du - denke ich, dass wir an vielen Projekten vermutlich festhalten sollten. Aber über den Roman von Leif kann man sich schön streiten. Er hat eine radikale Perspektive und einen überaus konsequenten Stil. 
Ansonsten habe ich das neue Buch von Benjamin Maack mit dem schönen Titel Wenn das noch geht kann es so schlimm gar nicht sein gelesen. Es geht um Depression, Scham und die Unberechenbarkeit bei aller Reflektiertheit. Vielleicht kennst du ihn. Interessanter Typ und Journalist. 
Außerdem zu empfehlen Der Unsichtbare Mann von Ralph Ellison, in einer Neuübersetzung gerade bei Hanser erschienen.

Als Streaming Tipp kann ich empfehlen: eine 4-teilige Dokumentation über Hillary Clinton. 

https://www.sueddeutsche.de/medien/hillary-clinton-doku-kritik-1.4834139

Ungefragt meine Lektüreempfehlung, weil ich darauf spekuliere, so den ein oder anderen Tipp von dir zu bekommen. 
Vieles scheint mir unsinnig in diesen Tagen, aber Lektüreempfehlungen sind vielleicht eine minimale Kompensation des verlorenen Austauschs.

Ich spiele jetzt weiter mit Luna. 

"Ins Offene!" (Hölderlin wäre 250 Jahre alt geworden dieser Tage, Gerrit Bartels Trostsuche in den Klassikern funktioniert dann vielleicht doch)

 

Lieben Gruß, Felix

 

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Lieber Felix,

hast Du nicht Lust, das ein bisschen auszubauen für unsere Reihe „Was machen eigentlich unsere Regisseur*innen?“, Nina und Elsa haben schon geschrieben…
Ich lese gerade Krimis, zu mehr kann ich mich noch nicht aufraffen. Friedrich Ami hat gleich all seine kaputt-traurigen Kommissare/Detektive zusammengeschrieben, um noch einmal nach dem Rechten zu sehen … 
Mit Luna spielen ist vermutlich das Schönste, was man gerade machen kann. 
Und lange spazieren gehen, gestern fragte mich plötzlich Lisa bei Kilometer zwölf, ob mir auch aufgefallen wäre, dass man keine schreienden Kinder mehr hört …

Liebe Grüße, 
m.

Schorsch Kamerun hat mir geschrieben:

hey. 
ein song vom letzten jahr. Aufgenommen in der db bahngrube S-21 in
stuttgart. vielleicht passt ja.
bis bald.....!

https://www.youtube.com/watch?v=C0rdEYtg4Mk

 

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Lieber Michael,

Luna und ich machen jeden Tag ein Kamishibai Theater. Kamishibai ist eine alte japanische Erzähltechnik. Eine Bilderfolge in einem Holzkasten mit zwei Flügeltüren vorne dran, die sich wie ein Vorhang öffnen lassen. Wir malen auf Papierbögen einzelne Bilder und erfinden eine Geschichte. Barden haben das auch gemacht und so Geschichten verbreitet. Wie können wir jetzt weiter Geschichten verbreiten?
Ich habe die letzten Tage versucht, mir den ein oder anderen Stream von Theateraufführungen anzusehen. Aber ich habe dann meistens schnell umgeschaltet auf Netflix oder Sky. (und u. a. die Miniserie Chernobyl zu Ende geguckt. Die Darstellung der Verletzlichkeit des Menschen und die blinde Ignoranz eines Systems ist an Drastik nur schwer zu überbieten, also ziemlich sehenswert). Theater als Stream hingegen lässt das Theater doch ziemlich doof aussehen. Das Theater wird auf sein Ergebnis reduziert und der Moment des Ereignisses geht weitestgehend verloren. Dann doch lieber den Leuten erzählen wie es gewesen wäre oder hätte sein können. Vielleicht können wir das mit unseren Spieler*innen machen. Eine Reihe aus Reenactements unserer Inszenierungen. Spieler*innen von zuhause, allein in ihren Wohnzimmern. Zumindest könnte sich ein Raum öffnen für das, was Theater sein kann im Gegensatz zu anderen Streamingformaten. Oder einfach Beschreibungen von Inszenierungen die so vielleicht nie stattfinden werden. Ich bin da noch im Selbstversuch (und versuche irgendwie der Selbstzensur zu entkommen).

Leonies Yungfaust wurde vorgestern an den Kammerspielen live performt via Zoom. Julia Riedler als Faust alleine in der Studierstube. Das Dazuschalten der einzelnen Kolleg*innen und die Begegnung Faust/Gretchen war dann doch ein ziemlich besonderes Erlebnis. Weil es auf den Livemoment der Begegnung aus war, auf das was uns so sehr abgeht jetzt. Und weil es so thematisierte, was Theater am besten kann: Raum für eine Gemeinschaft schaffen, in der man sich gegenseitig zuhört und miteinander spielt. Die abwesende Gemeinschaft draußen machte den Versuch eine Verbindung untereinander aufzubauen über Zoom für mich jedenfalls zu einem emotional aufgeladenen Raum. Und so war ich dann plötzlich im Theater. 

Lese gerade Safranskis Hölderlin Biografie, deshalb nochmal Hölderlin.

Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,
Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern’,
Und verstehe die Freiheit,
Aufzubrechen, wohin er will.

Zu der Reenactement Idee kommt dann noch was. 

Herzlich, 
Felix

 

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Lieber Michael,

bei allem was gerade in der Welt passiert und eben nicht passiert, finde ich mich in der Dauerschleife, weil mir vermeintlich nichts bleibt als Denken. 
Privilegierte Verzweiflung. Jedenfalls - wieder bei Hölderlin - im Hyperion gestern an diesem Satz hängen geblieben „Klage nicht, handle“. 
Du hast mir vor Jahren mal einen Band ausgeliehen von Rainald Goetz (ich habe ihn dir sogar wieder zurückgegeben). Jedenfalls heißt es da hinten drauf „don't cry, work!“. Den Projekten nächste Spielzeit wird es jedenfalls kaum gut tun, wenn ich weiter und immer länger nur darüber nachdenke.
Ich habe gestern Nacht begonnen, meine schon mal angefangene Hölderlin Ausgabe durchzugehen und eine Fassung vom Hyperion zu Ende zu bringen. Wir hatten ja schon mal darüber nachgedacht das zu machen. Also habe ich einige Textskizzen. Hölderlins Selbstverlust und die Frage was man tun kann um dem zu entrinnen, wie man schöpferisch tätig wird, wofür wir kämpfen sollten in der Welt, unerreichbare Liebe, wo Helden zu finden sind und wofür man bereit ist sich ganz herzugeben - das alles hat eine Resonanz (besonders jetzt), die ich gerne teilen möchte. Daher mein Vorschlag, ich beende die Fassung bis nächste Woche, frage das Ensemble wer mitlesen möchte und wir machen eine gemeinsame Hyperion Lesung. Die Form des Briefromans, die Subjektivität des Eremiten - all das könnte schön funktionieren als gemeinsames Happening. Einmalig auf Zoom. Ich teile die Texte ein und der Reihe nach wird gelesen. Wie schreiben in den Sand. Das Ensemble kommt zusammen für eine gute Stunde und das wars. Flüchtig zusammen. Was denkst du?

Lieben Gruß,
Felix

 

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Lieber Felix,

Heiner Müller hat das Hölderlin-Zitat benutzt als „Arbeiten und nicht verzweifeln!“ Den Gegenentwurf hat Hölderlin ja auch gleich mitgeliefert: „O hätt ich doch nie gehandelt! um wie manche Hoffnung wär ich reicher!"
Wie schön, dass sich so alte oder vermeintlich abgelegte Ideen noch einmal lebendig zeigen. 
Allerdings ist es mit der Resonanz so eine Sache, Hölderlins Geschichtsbild im Hyperion hat ja schon auch merkwürdige oder sagen wir zwiespältige Spuren hinterlassen. Hölderlin sei der Dichter, der den Deutschen noch bevorstehe, hat Heidegger schon früh georakelt. Karl-Heinz Ott, der ja gerade ein Buch über Hölderlins Geister (Ein Dichter zwischen Weltkrieg, Heidegger und Rotem Stern) geschrieben hat,  hat es in der ZEIT letzte Woche schön vereinfachend runtergebrochen: 
„Demnach war am Anfang, bei den alten Griechen, alles herrlich, harmonisch und schön. Dann kam mit dem Christentum die schreckliche Götternacht, die andauert bis heute. Und nun gibt es Hoffnung auf die Wiederkehr der Götter. Dieses Geschichtsdenken kam im 20. Jahrhundert sehr gut an. Die Nazis haben damit die Idee mythischer Größe bewirtschaftet. Sie wollten, auch mit Rückgriff auf Hölderlin, ein ursprüngliches Germanien wiederauferstehen lassen. Auf linker Seite wurde Hölderlin zum Kryptomarxisten stilisiert, der sich zwar unklarer ausdrückt als Marx, dafür aber schöner.“

Ich kann mich schon an meine naiv-linken Lektüren in den Achtzigern des letzten Jahrhunderts erinnern, an die Hölderlin-Lektüren von Biermann, von Peter Weiss, „so kam ich unter die Deutschen“… Ich vermute, dass sie ganz andere waren und sind, als Deine, hier und jetzt. Bin sehr gespannt auf Deine Textfassung und natürlich sehr gespannt auf den Hyperion bei Zoom.

Also ja: machen! Unbedingt. Unbedingt?

„Es scheiden und kehren im Herzen die Adern und einiges, ewiges, glühendes Leben ist Alles. 
So dacht ich. Nächstens mehr.“

Liebe Grüße m.