Was tun eigentlich unsere Regisseur*innen ...
... jetzt, wo sie nicht probieren können: Regisseur Michael Talke antwortet auf Fragen aus dem Theater. Das Gespräch führt Brigitte Heusinger.
Brigitte Heusinger: Macht Dich die Corona-Situation nervös?
Michael Talke: Ja. Unmittelbar mit Beginn des Lockdowns hat mich eine gewisse innere Anspannung befallen. Alles war so unvorstellbar und unwirklich. Nun wird vieles vorstellbarer und das ist für das Theater (und viele andere gesellschaftliche Bereiche) natürlich alles andere als schön. Der Blick nach Italien, Spanien und über den europäischen Tellerrand hinaus, beunruhigt mich … Ich versuche pragmatisch zu sein. Was nicht immer gelingen will.
Im Moment teilen sich die Theatermacher*innen ja in zwei Gruppen. Die „Einen“ sagen, es hat keinen Sinn auch nur irgendwas zu machen. Lasst die Buden zu. Theater ist nur, wenn alles so läuft wie vor Corona. Eng beieinander stehende Menschen im Foyer, Gastronomie, Erwartung eines gemeinsamen sozialen Erlebnisses. Großes Orchester im Graben, großer Chor auf der Bühne und ein sich verausgabendes Solistenensemble. Applaus, Buhs, welche Reaktionen auch immer, auf jeden Fall die ganz große Emotion. Wow! Ja! Was für eine schöne Vorstellung! Wie ich das vermisse! Was für ein Fest, wenn das wieder möglich ist!
Die „Anderen“ sagen, lasst uns gucken, was wir machen könnten. Lasst uns improvisieren, lasst uns Formate entwickeln, die mit der Situation umgehen. Nicht um in Konkurrenz zu treten zu Theater vor Corona, sondern um aus der Not eine Tugend zu machen. Der Begriff „Projekt“ ist im Theater ja nicht ganz unbekannt. Dazu muss man nicht in blinden Aktionismus verfallen, wie die „Einen“ bereits unken. Und ob das jemand sehen will, bedarf des Versuchs. Scheitern inbegriffen. Aber ich bin mir sicher, dass sich sehr lustvolle Formate finden lassen. Sozusagen um die Zeit zu überbrücken, bis es wieder richtig losgeht. Das muss ja nicht bedeuten, mit zwei lauwarmen Klavieren ein fehlendes Orchester zu imitieren. Also ein bisschen mehr Phantasie haben wir im Musiktheater schon … Du wirst es gemerkt haben, ich gehöre zu den „Anderen“.
Ich bevorzuge es erstmal darüber nachzudenken, was möglich wäre. Ganz pragmatisch. Aber mit Lust auf tolle Kolleg*innen, Musik und ein feines, wenn auch kleines Publikum. Den Sicherheitsabstand nehme ich dafür in Kauf, die Sehnsucht ist größer!
Was macht die Vorbereitung deiner nächsten Inszenierung hier in Bremen, der Zauberflöte?
Michael Talke: Ich hatte keine Proben, als es zum Lockdown kam. Die Zeit war fest eingeplant für eine weitere Arbeitseinheit an der Zauberflöte. Das Bühnenbild stand in groben Zügen. Es galt gemeinsam mit Regine Standfuß an Kostümideen zu arbeiten, was für mich immer bedeutet, mit dem Konzept detaillierter zu werden, Feinheiten zu entwickeln. Und das habe ich auch getan. Bis auf die ungewöhnliche Stille um mich herum und die innere Anspannung war eigentlich alles wie immer.
Ich war nicht unglücklich gerade in diesen Tagen an der Zauberflöte zu arbeiten. Klar, man muss die milliardenfach mit diesem Werk verkauften Mozartkugeln erstmal von ihm abkratzen. Kaum eine Oper ist mit so klebrigen Erwartungshaltungen und zuckersüßer Quotenhoffnung zugekleistert wie die Zauberflöte. Man muss auf so manchen Librettoquatsch eine Antwort finden und den Ärger über die identitätspolitischen Fragwürdigkeiten hinunterschlucken. Aber wenn man es schafft, zum Kern des Werkes vorzudringen, dann ist das Utopische, das in dieser Musik enthalten ist, ihr unbedingter Glaube an den Menschen, der Weg, den die Musik geht – von „zu Hilfe, zu Hilfe, sonst bin ich verloren“ bis zum Finale – ein ungeheuer faszinierender.
Was treibt diesen Mozart eigentlich an? Kurz bevor ihm die Verzweiflung die Musik zerbrechen könnte (und er treibt seine Figuren bis an den Rand der Verzweiflung), rettet er sich ins humorvoll Ironische oder utopisch Schöne. Immer und immer wieder. Wie schafft er das? Wie glaubt er sich das? Wie glaubt er dem Menschen das?
Mich haben diese Fragen sehr beschäftigt und die Beschäftigung hat mir gut getan. Aber es gehört auch zu Mozart, dass sich alles, was man über ihn sagen möchte, noch im Moment des Sprechens in eine klebrige, zuckersüße Mozartkugel zurückverwandelt. Deswegen nicht mehr dazu. Wer mag, hört ihm besser zu …
Denkst du über Alternativen nach, wenn ein Spielbetrieb erstmal nicht möglich sein sollte, was wir alle nicht hoffen?
Michael Talke: Diese Alternative müsste sich dann aber sehr von einer „richtigen“ Zauberflöte unterscheiden. Sie müsste etwas Eigenes sein, etwas Besonderes. Aber warum nicht? Mir scheint das mit der Zauberflöte leichter möglich als zum Beispiel mit Strauss oder Verdi. Sinn könnte es auch machen. Gerade jetzt. Wo sich in den Exit-Wirren die Verschwörungstheoretiker und -fanatiker*innen in die Koloraturen der Königin der Nacht verwandeln. Wo wütende Laienvirologen nicht ertragen wollen oder können, dass ein unzureichend erforschter Virus sie in Schach hält, und zu Sarastro werden. Denn der kennt bekanntlich auch nur eine Wahrheit, nämlich seine. Wo Aberglaube, Wut und Pseudowissenschaft eine unheilvolle Verbindung eingehen, vielleicht sollte man da gerade jetzt einen einsamen Papageno auf die Bühne setzen und ihn über unser Verhältnis zur Vernunft nachdenken lassen. Ab und zu geht eine Saaltür auf und aus den Foyers erklingt mit nötigem Sicherheitsabstand Mozart als Erinnerung oder Vorfreude auf bessere Zeiten. Nur für den Fall – Und die ganz große Premiere kommt dann irgendwann.
Und womit vertreibst du dir sonst so die Zeit? Ich höre, du wanderst. Gibt es Geheimtipps?
Michael Talke: Wenn ich wandere, dann zur Zeit tatsächlich am Liebsten am Wannsee entlang, vorbei an Pfaueninsel und Sacrower Kirche, Richtung Glienicker Brücke. Von dort gibt es zwei Möglichkeiten, entweder durch den Schlosspark Babelsberg nach Potsdam oder am Griebnitzsee entlang zurück nach Wannsee. Das ist zwar kein Geheimtipp, aber trotzdem sehr schön zu laufen und zumindest unter der Woche herrlich leer. Das Schöne am Laufen ist doch immer das Gleiche. Am Ende des Weges ist der Kopf frei. Frei von Arbeit, frei von Theater und frei von Corona.