Wer hat hier die Hosen an?

Brigitte Heusinger spricht mit der Mezzosopranistin Ulrike Mayer über Hosenrollen

Ich treffe mich mit Ulrike Mayer und wir plaudern, nein, eigentlich reden wir. Wir reden über uns, das Theater und das Leben. Das kann man wirklich gut mit ihr. Wir einigen uns schnell darauf, dass unsere Musiktheater-Saison gerade so gut angefangen hat, weil mit Der Rosenkavalier, Don Giovanni und Alcina drei Produktionen draußen sind, deren Qualität auch auf den Leistungen unserer Darsteller*innen beruhen, auf deren Fähigkeit, mit Intelligenz komplexe Persönlichkeiten zu verkörpern. Und Ulrike Mayer ist wirklich eine der vielen, die sich im Bremer Ensemble finden lassen: eine, die einen Abend tragen kann. Sie kann sich einen Raum greifen.

Gerade ist Ulrike Mayer in Alcina zu erleben und ebenso wieder als Lazuli in Das Horoskop des Königs. Zwei Rollen, deren Charaktere psychologisch völlig anders disponiert sind: ein defensiver Zweifler und ein draufgängerischer Optimist. Doch eines eint die beiden Rollen: Es sind sogenannte Hosenrollen. 

Einschub: Die Hosenrolle

Die Hosenrolle, also die Besetzung einer zumeist (Jung)-Männerpartie mit einer Frau, war über lange Zeit verpönt oder verboten. Frauen hatten nach verbreiteter moralischer Vorstellung nichts auf Bühnen verloren, auch wenn gerade in der frühen Oper diesem Verdikt keineswegs immer Rechnung getragen wurde. Hier galt überraschenderweise sogar eine Geschlechter-Indifferenz: Die Stimmlagen der Darsteller*innen standen oft in keinem Zusammenhang mit deren natürlichem Geschlecht. Das wurde im Laufe des 18. Jahrhunderts „korrigiert“, es blieb allerdings die Hosenrolle. Was man als frühen Erfolg der weiblichen Emanzipation interpretieren kann, entpuppt sich aber zugleich als Ansatz eines neuen Sexismus. Die Frauen in Hosenrollen – zunächst in der Oper, im 19. Jahrhundert besonders in der Operette verbreitet – trugen auf der Bühne zumeist keine Hosen, sondern enganliegende Strumpfhosen unter kurzen Pluderhosen; ein Pagen-Gewand, dessen Pikanterie eben darin bestand, dass man die Beine der Damen sehen konnte.

„Was bist du nur für ein schöner Mann.“

Ich frage Ulrike Mayer, ob sie es als merkwürdig empfindet, Männer zu spielen, also Männer im modernen Opernsinne mit langen Hosen und als „wirkliche Männer“. „Nein“, und das kommt jetzt sehr spontan, sie täte es gerne, sich der jungen Männer anzunehmen, um die es immer ginge. Natürlich käme ihr ihre Physiognomie entgehen – sie ist eben schlank und groß –, keine Minute dächte sie darüber nach, wie ein Mann sich bewege, sie mache es einfach. Und jetzt muss sie lachen. Ein Kollege habe vor kurzem völlig enthusiastisch nach einer Vorstellung gesagt: „Was bist du nur für ein schöner Mann.“ Dann habe er kurz nachgedacht, gestockt und schnell mit leicht schlechtem Gewissen hinterhergesetzt: „Und natürlich auch eine total schöne Frau.“ 

„Wenn ich einen Mann spiele, ist der weiter von mir weg.“

„Im Gegenteil“, fährt sie fort, es sei viel schwerer für sie, eine Frau zu spielen. Man merkt ihr einen leichten Widerwillen an: „Manchmal muss ich tanzen, und dabei noch sexy, eine Verführerin sein, das kostet mich viel mehr. Wenn ich einen Mann spiele, ist der weiter von mir weg. Es ist viel deutlicher ein Spiel.“ Ich frage nach, ob sie sich wirklich in eine Rolle als Spiel begäbe und nicht Ankerpunkte für die Identifikation suchen würde. Ja, es ist die Suche nach dem Anderen, dem Fremden, das sie reizt, aber natürlich auch die Suche nach dem Eigenen.

„Ich fand diesen Ruggiero schon ziemlich unsympathisch.“

Um den männlichen Helden Ruggiero in der Händeloper Alcina habe sie stark mit dem Regisseur Michael Talke gerungen: „Ich fand diesen Ruggiero schon ziemlich unsympathisch. Und jetzt kommt meine Frauenseite. Als Frau kann ich diesen Mann nicht ertragen. Dieses Weichei, habe ich zu Michael Talke gesagt, macht mich einfach wahnsinnig. Gefühlte drei Stunden lang singt der Typ Arien, weiß eigentlich genau, was Sache ist und entscheidet sich nicht. Und versteckt sich hinter der Behauptung, verzaubert worden und nicht verantwortlich für seine Taten zu sein. Dann kommt seine abgelegte Verlobte Bradamante und zieht ihn nach Hause, in das Eigenheim, und er gehorcht. Als Frau gucke ich dahin und denke: Positioniere dich doch einfach mal, steh doch mal zu was, du Idiot! Aber, der windet sich nur und leidet.“ Aber dann habe sie im Probenprozess angefangen, aus der Figur heraus zu denken. Bei ihrer letzten „heroischen Arie, die gar nicht heroisch ist“, bückt sich Bradamante und zieht Ruggiero die Schuhe an. Ulrike hat die Regieanweisung nicht wie inszeniert als demütige, weibliche Haltung, als Erniedrigung von Bradamante empfunden, sondern dachte: „Jetzt bin ich nicht mal mehr Manns genug, mir selbst die Kleidung und die Schuhe anzuziehen, sondern auch das muss die Frau machen!“

Hat sie „diesen Ruggiero“ inzwischen akzeptiert?

Das klingt jetzt alles nach Identifikation ohne Sympathie. Aber hat sie „diesen Ruggiero“ inzwischen akzeptiert? „Ja“, sagt sie, „inzwischen habe ich ihn sogar richtig lieb gewonnen in seiner Zerrissenheit, leide mit ihm und schenke ihm sehr gerne meine Stimme, meinen Körper und meine Emotionen. Manche Lebensentscheidungen sind eben nicht so leicht. Vielleicht bin ich ja auch so ein ‚toller Mann‘, weil ich Erfahrungen als Frau in eine Männerfigur miteinfließen lassen kann, die ein ‚echter‘ Mann nicht kennt. Ich jedenfalls habe einen großen Spaß an diesem Spiel mit dem Geschlechtertausch.“ Und natürlich kenne und möge sie auch das Lebensgefühl dieser Männer, die irgendwo alle Romantiker seien, die mit Inbrunst an der Liebe und an der Welt leiden. „Uns Sänger*innen fällt es ja immer leichter, in das Leid zu gehen“, sagt sie. Daher wäre die Verkörperung der zweiten Hosenrolle der Saison, also Lazuli in Das Horoskop des Königs, eine echte Herausforderung gewesen. Lazuli sei einfach da, hege null Selbstzweifel und liebe ungetrübt das Leben. Sie müsse sich vor den Vorstellungen regelrecht darauf konditionieren, jede melancholische Haltung zu vermeiden und sich immer wieder klarzumachen, dass sie/er ein durch und durch positiver Kerl sei. „Solche unbeschwerten Charaktere gibt es in der Oper selten. Das Horoskop des Königs ist voll von Situationskomik, alles wird mit einem Augenzwinkern präsentiert, man kann herzlich lachen. Und Lachen, das vermissen wir doch häufig mal in unserem Genre.“ Dem ist wenig hinzuzufügen.