„Wir können uns als Gesellschaft gegenseitig stärken“
Stefanie Taschinskis Kinderbuch Funklerwald ist momentan im Theater Bremen zu sehen. Die Autorin hat einen Zwischenstopp auf ihrer Lesereise eingelegt und war während der Proben zu Besuch. Dabei hat sie mit Regisseurin Jorinde Dröse und Dramaturgin Regula Schröter einen Kaffee getrunken.
Regula Schröter: Jorinde, Funklerwald kam als Stoff-Vorschlag von dir.
Jorinde Dröse: Genau. Ich habe vor einiger Zeit nach vielen Jahren als Theaterregisseurin eine Auszeit genommen, um als Waldpädagogin zu arbeiten. Da habe ich den Kindern Funklerwald oft vorgelesen und erlebt, wie sehr sie dieses Buch lieben und wie sehr es sie bewegt. In diesem Alter spielt das Thema Ausgrenzung, also wer darf mitspielen, wer darf nicht mitspielen, bereits eine große Rolle. In dieser Lebensphase werden auch die Grundlagen für Empathiefähigkeit und emotionale Regulierung entwickelt. Ich habe gemerkt, wie diese Geschichte dazu beiträgt, diese Art von Konflikten auf einer ganz niedrigschwelligen Ebene zu reflektieren. Als ich dann wieder in den Regieberuf eingestiegen bin, wollte ich unbedingt ein Familienstück machen und habe mich sehr über die Einladung vom Theater Bremen gefreut.
Regula Schröter: Das Dramaturgieteam war begeistert von dieser spannenden Geschichte über die ungewöhnliche Freundschaft zwischen dem Waschbärjungen Rus und dem Luchsmädchen Lumi, die gemeinsam für Toleranz und Vielfalt im Funklerwald kämpfen. Im Gegensatz zu Bayern ist Funklerwald in Bremen zwar nicht Schulstoff, aber du Stefanie bist regelmäßig in ganz Deutschland auf Lesereise damit.
Stefanie Taschinski: Ja, viele Veranstalter:innen wünschen sich Lesungen aus diesem Buch. Was mich ganz besonders freut, denn Funklerwald wird im kommenden Jahr zehn Jahre alt! Als ich das Buch geschrieben habe, war das Thema Flucht medial noch nicht so präsent. Obwohl auch zu diesem Zeitpunkt viele Menschen versucht haben, über die gefährliche Mittelmeerroute nach Europa zu fliehen. Mich hat die Gleichgültigkeit erschreckt, mit der wir als Gesellschaft der Problematik begegnet sind. Bei meinen Lesungen habe ich oft Kontakt mit Kindern mit Fluchterfahrung und wollte eine Geschichte schreiben, die allen Kindern – mit und ohne Fluchterfahrungen – die Möglichkeit gibt, sich einzufühlen. Dafür habe ich als Schauplatz die Welt des Waldes und der Tiere ausgesucht. Jedes Kind kann Lumi sein, jedes Kind kann Rus sein. Dank der wunderschönen Illustrationen, die Verena Körting gestaltet hat, können die Kinder schnell mit den Figuren connecten. Und das völlig unabhängig davon, woher ein Kind kommt, welcher Religion es angehört, welches Geschlecht es hat. In der Vorbereitungsphase zu Funklerwald habe ich viele waldspezifische Recherche betrieben. Funklerwald ist kein Fantasiewort. Funkler ist das alte deutsche Wort für den Luchs, mein Lieblingstier. Ich habe über zwei Jahre an diesem Buch gearbeitet. Ich schreibe meine Bücher von Hand, das ist wichtig für meinen kreativen Prozess. So bin ich den Figuren nah und sie können wachsen und entstehen.
Jorinde Dröse: Mich hat auch schon der Titel in Bann gezogen. Die Magie. Ich liebe es mit magischer Fiktion zu arbeiten. Die Bühnenbildnerin Susanne Schuboth und die Videokünstlerin Rebecca Riedel haben einen Bühnenraum voller stimmungsvoller Waldatmosphären, mit zauberhaftem Funkeln und Glitzern und geheimnisvollen unterirdischen Höhlen geschaffen. Das Ensemble hat sich sehr gefreut, Tiere zu spielen und erst recht, als sie sie fantasievollen und ebenfalls funkelnden Kostüme von Juliane Kalkowski gesehen haben.
Sefanie Taschinski: In den Nachgesprächen zu meinen Lesungen steigen die jüngeren Kinder vor allem auf das magisch-poetische Waldabenteuer ein, während die älteren Kinder sich auch mit Gedanken zu Flucht, sich Fremd fühlen, Willkommen-Sein und Nicht-Willkommen-Sein auseinandersetzen.
Jorinde Dröse: Es geht auch um Gerüchte, ebenfalls ein Thema, das auf Kinderebene eine große Rolle spielt. Bei meinen Kindern in der Schule geht es oft darum, wer was gesagt hat und wer eigentlich mit wem befreundet ist und was man gehört hat und welche Geheimnisse man kennt, und darum, ob die überhaupt stimmen? Auch wir Erwachsene erfahren in den letzten Jahren, wie mit Fake News auf der weltpolitischen Ebene operiert wird. Ich finde es sehr interessant zu lesen, wie du das damals schon eingebaut hast. Mir ist es auch wichtig, das Thema Fake News in einem Familienstück zu verhandeln, weil Kinder sich in Zukunft kompetent damit auseinandersetzen müssen, auch in Bezug auf KI und Social Media. Was ist noch echt und welchen Informationen kann ich eigentlich trauen? Glaube ich Schnauz dem machtgierigen Fuchs? Glaube ich den Sorgen von Tante Kette? Oder glaube ich meiner Intuition und dem was ich selbst sehe und höre? Lumi hat eine besondere Sensibilität und Wahrnehmung. Trotz all der Verbote und Ermahnungen nähert sie sich Rus, um sich selbst ein zu Bild machen und findet so den Mut für Rus‘ Familie, ein Miteinander und Vielfalt zu kämpfen.
Stefanie Taschinski: Kein Kind kommt auf die Welt und hat Vorurteile. Kinder sehen einfach Menschen. Große, kleine, junge, alte. Rassismus wird erlernt. Aber Empathiefähigkeit wird eben auch erlernt. Davon möchte ich erzählen. Wir können uns als Gesellschaft gegenseitig stärken und uns für Empathie und Gemeinschaft und Mitgefühl als Werte einsetzen. Es ist das erste Mal, dass ein Kinderbuch von mir auf die Bühne kommt. Mich würde interessieren, wie ihr die Fassung gemacht habt. Wie habt ihr euch dem genähert?
Jorinde Dröse: Das Tolle ist ja, dass du dein Buch unglaublich dialogisch geschrieben hast. Wir haben aus deinem Buch erstmal die Dialoge heraus extrahiert. Der nächste Schritt war, zu entscheiden, welche Figuren wir brauchen, um die Geschichte zu erzählen. Leider ist der Vorgang bei einer Romanadaption immer, dass wir für die Bühne vereinfachen und verdichten müssen. Manchmal fällt es uns schwer, von gewissen Situationen, Textstellen und Figuren Abschied zu nehmen. Während der Arbeit am Text fragen wir uns immer: Wollen wir diesen Moment in Worten ausdrücken oder können wir ihn auch spielerisch mit Bildern erzählen? Mit den Schauspieler:innen haben wir die Dialoge im Probenprozess immer wieder überprüft und verfeinert und viele wertvolle Impulse einarbeiten können. Beim Inszenieren fand ich es leicht, Zugang zu den Figuren zu finden, weil du die Charaktere vielschichtig angelegt hast. Lumis Tante Kette ist eben nicht nur streng, sondern es wird deutlich, dass ihr Impuls des Schutzes daher kommt, dass sie bereits jemanden verloren hat und sie ist voll der Liebe.
Stefanie Taschinski: Was ihr mit Lumis Mutter Flocke gemacht habt, fand ich ja total spannend, ihr habt die Figur präsenter gemacht.
Regula Schröter: Flocke hat uns als Entdeckerin und Geschichtenjägerin, als starke weibliche Figur interessiert. Für Lumi geht es darum, ihre Wurzeln und die transgenerationelle Weitergabe der Stärken und Eigenschaften ihrer Mutter zu entdecken. Darüber ist für die Inszenierung auch ein Song entstanden.
Stefanie Taschinski: Die Songs, die du, Jorinde, gemeinsam mit dem Musiker Lars Wittershagen geschrieben hast, empfinde ich als große Bereicherung. Alles, was mir im Buch wichtig war, findet sich in eurer Fassung wieder und manches ist eben nochmal anders hervorgehoben und akzentuiert. Das freut mich. Ich bin so gespannt auf die Probe und die Begegnung mit den lebendigen Figuren.
Die Autorin:
Stefanie Taschinski wurde 1969 in Hamburg geboren. Sie studierte Geschichtswissenschaften und Soziologie auf Magister und im Anschluss Drehbuch an der Filmschule Hamburg-Berlin. Nach einigen Jahren als erfolgreiche Drehbuchautorin für das öffentlich rechtliche Fernsehen wechselte sie zur Kinderliteratur. Gleich ihr Kinderbuch-Debüt „Die kleine Dame“ wurde ein großer Erfolg. Die Autorin schreibt Kinderbücher, die ausgezeichnet und in mehrere Sprachen übersetzt wurden. Sie ist Gründerin der „Elbautor*innen“, Leseförderin, Schreibcoach u.a. für das Literaturhaus Hamburg und engagiert sich für die Erinnerungskultur. Sie lebt mit ihrer Familie in Hamburg.
Die Regisseurin:
Jorinde Dröse studierte Regie am Institut für Schauspieltheater-Regie an der Universität Hamburg und inszenierte bis 2016 an unterschiedlichen Theatern (Thalia Theater Hamburg, Deutsches Theater Berlin, Maxim Gorki Theater u. a.). Seit 2009 arbeitet Jorinde Dröse als Mutter und war von 2017-2021 aus dem Theatersystem ausgestiegen, um als Waldpädagogin und Homeschooling-Teacher tätig zu sein. Mit der Spielzeit 21/22 nahm Jorinde Dröse ihre Arbeit als Regisseurin wieder auf und setzt in ihren Arbeiten den Fokus auf feministische Narrative und Diversität auf und hinter der Bühne. Sie inszenierte am Deutschen Theater Berlin, Ramba Zamba Theater, an den Salzburger Festspielen, am Staatstheater Hannover und am Berliner Ensemble.
Veröffentlicht am 15. November 2024