Wort ergreifen! # 2

Mit der Solidaritätsveranstaltung Wort ergreifen!, die am 18. März stattfand, schlossen sich verschiedene Akteur:innen zusammen um ein Miteinander von Bremer Künstler:innen und einen Austausch mit den Texten und der Musik ukrainischer, mittel- und osteuropäischer Künstler:innen zu ermöglichen. Es lasen die Ensembles der bremer shakespeare company und des Theater Bremen, Studierende der Universität Bremen und der Universität Oldenburg. Mit Videobeiträgen des Autors Dimitrij Kapitelman und der ukrainischen Literaturwissenschaftlerin Dr. Oxana Matiychuk und musikalischen Beiträgen von der HfK Bremen und Natalie Shtefunyk. Hier gibt es Auszüge aus Texten und Videos des Abends zum Nachlesen und Nachschauen.

 

 
Gespräch zwischen Libuše Černá und der ukrainischen Literaturwissenschaftlerin Dr. Oxana Matiychuk
 

No to Z / НЕТ Z
Alyssa DeBlasio (Dickinson College, USA)

The letter Z has become a symbol of support for Russian military aggression. You can see the letter Z painted on Russian military trucks, tanks, and gear; also on billboards and bumper stickers, which have appeared in Russian cities and on cars, declaring support for the invasion of Ukraine. Before shutting down on March 10, the Kremlin-backed media outlet RT sold T-shirts adorned with Z on its website. In the past two weeks, the symbol has also been used as a tool of intimidation against Russian artists and activists who have publicly spoken out against the war.

 Z is not a historical symbol of Russian culture. It is not a letter in the Cyrillic alphabet. So, what is Z? Does it stand for zapad, which means “the West”? There is a joke that it stands for zhopa, meaning “we’re screwed,” in response to the strength of the Ukrainian resistance. Typographically, Z is an arrow that points both ways—a movement in no single direction, a history that, like Russia’s own historical narrative about itself, is neither East nor West. In its Latin transliteration, it is the first letter of the Russian word for mirror, zerkalo, in which Russia reflects Russia back upon itself. Ukrainian President Volodymyr Zelensky’s name begins with Z. The Russian slur for Jewish people too begins with Z—a fact that is both frightening and revealing when combined with the Kremlin’s weaponization of the language of “denazification.” The government of the Czech Republic has classified the Russian Z as equivalent to the swastika, and Kazakhstan and Kyrgyzstan have outlawed the display of Z on vehicles in both countries.

Perhaps most telling is philosopher Mikhail Epstein observation: “Z is the last letter in the alphabets of the languages where it is used. Anybody who designates themselves with this letter symbolically prepares and hastens their own end.”

 

Offener Brief an Vladimir Putin
veröffentlicht am 28. Februar 2022 im Journal TEATR.
von Lev Dodin

Zu sagen, ich wäre schockiert, wäre wie nichts zu sagen. 
Als Kind des Großen Vaterländischen Krieges könnte ich mir nicht einmal in meinen düstersten Träumen vorstellen, dass russische Raketen ukrainische Städte und Dörfer treffen, die Bewohner Kiews in Luftschutzkeller treiben und sie zur Flucht aus ihrem Land zwingen würden. Als Kinder haben wir die Verteidigung von Moskau, Stalingrad, Leningrad und Kiew auf der Straße gespielt. Es ist unvorstellbar, dass Kiew heute vor russischen Soldaten und Offizieren verteidigt werden oder gar vor ihnen kapitulieren muss. Das Gehirn klebt am Schädel und weigert sich zu sehen, zu hören, sich solche Bilder auszumalen.

Die letzten zwei Jahre der Pandemie sollten uns alle, egal auf welcher Seite der vielen Grenzen wir leben, daran erinnert haben, wie zerbrechlich und verletzlich das menschliche Leben ist, wie die Welt von einer Minute auf die andere zusammenbricht, wenn wir unsere Lieben verlieren. Wir haben uns nicht erinnert. In diesen Tagen bricht die Welt derer, deren Angehörige sterben, die Welt derer, die Angehörige anderer Menschen töten, zusammen.

Barmherzigkeit, Mitleid, Empathie sind nicht dem Willen von Staaten und Politikern unterworfen. Es ist unmöglich, den Menschen vorzuschreiben, vor wem sie sich wann zu fürchten haben und wen sie wann bemitleiden sollen. Kein einziger Staat hat es bis heute geschafft, die Gefühle der Menschen zu kontrollieren. Die Aufgabe von Kunst und Kultur war es schon immer, vor allem nach all den Schrecken des 20. Jahrhunderts, die Menschen zu lehren, den Schmerz Anderer als ihren eigenen zu empfinden, zu verstehen, dass keine noch so große und noch so schöne Idee ein Menschenleben wert ist. Schon jetzt können wir sagen: Kultur und Kunst sind dieser Aufgabe wieder einmal nicht gerecht geworden.

Ich bin siebenundsiebzig Jahre alt, es fällt mir nicht schwer, mir vorzustellen, was überall auf uns zukommt: die Spaltung in richtig und falsch, die Suche nach Feinden im Inneren, die Suche nach äußeren Feinden, die Versuche, die Vergangenheit umzudeuten, sich mit der Gegenwart abzufinden, die Zukunft umzuschreiben. All dies ist im 20. Jahrhundert bereits geschehen.

In diesen Tagen haben wir gesehen, wie die Zukunft aussehen wird. Genau in diesen Tagen hat das 21. Jahrhundert begonnen. Gemeinsam haben wir es zugelassen, dass das neue Jahrhundert anbricht. Und dass es genau so anbricht. Das 21. Jahrhundert hat sich als schrecklicher erwiesen als das 20. Was bleibt uns noch zu tun? Beten, bereuen, hoffen, flehen, fordern, protestieren, vertrauen? Wahrscheinlich alles, was wir bisher nicht getan haben: den anderen lieben, dem anderen vergeben, wie wir uns selbst vergeben, nicht an das Böse glauben und das Böse nicht für das Gute halten.

Ich bin siebenundsiebzig Jahre alt und habe in meinem Leben so viele Menschen verloren, die ich geliebt habe. Heute, wo Raketen des Hasses und des Todes statt Tauben des Friedens über unsere Köpfe fliegen, kann ich nur eines sagen: Hören Sie auf! Der Organismus der Menschheit kann nicht durch chirurgische Eingriffe geheilt werden. Bei jedem Eingriff verliert der Operierte sein Blut und der Operierende infiziert sich mit einer unheilbaren Vergiftung. Stoppen Sie diesen Eingriff. Verbinden Sie die Wunden. Lassen Sie uns das Unmögliche tun: Machen wir das 21. Jahrhundert zu dem, wie wir es uns erträumt haben, und nicht zu dem, was wir daraus gemacht haben. Das Einzige, was mir noch bleibt: Ich flehe Sie an, hören Sie auf! Hören Sie auf!

Hören Sie mein Flehen!

 

 
Videobeitrag des Autors Dimitrij Kapitelman

 

Aus der Chronik der Ereignisse zum Krieg, erstellt vom Journal TEATR:

24.Februar, 22.40: 
Der Theaterautor, Regisseur und Schauspieler Evgenij Grischkovez hat auf seiner website einen Beitrag zur Situation in der Ukraine eingestellt.
Aus der website von Evgenij Grischkovez (https://odnovremenno.com/), geöffnet am 16. März:
DIESE SEITE EXISTIERT NICHT MEHR
Der folgende Beitrag entstammt seiner Seite auf vkontakte, dem russischen facebook:
24 Feb um 12:16  aus: https://vk.com/e_grishkovets
Viele prominente Gesichter von Fernsehmoderatoren und Journalisten sind von unseren Bildschirmen verschwunden. Ich glaube, sie sind gegangen, weil sie nicht mehr so viel lügen wollen wie früher. Das glaube ich. Es bleiben die, denen alles egal ist, oder die, denen es irgendwie gelingt, nicht zu lügen, aber auch nicht die Wahrheit zu sagen. Verschwunden sind die  Politolog:innen, Analyst:innen und alle, die eine Gegenposition eingenommen oder kritische Gedanken geäußert haben. 

Viele, ganz ganz viele haben aus Angst geschwiegen. Und sind jetzt weg.

Es ist die Stunden derer gekommen, die aus Überzeugung und mit Leidenschaft lügen, in dem Glauben, dass man lügen muss, wenn das Vaterland in Gefahr ist. Diese Redakteur:inenn, Politolog:innen, Analyst:innen, Journalist:innen und Moderator:innen haben Putin live erlebt. Vielleicht haben sie ihm eine Frage gestellt, vielleicht sogar eine Antwort erhalten und sich erleuchtet gefühlt und die höhere Bedeutung der Lüge in diesen „dunklen Zeiten“ akzeptiert. 

Die russische Propaganda ist mittlerweile so blöd und untalentiert, das sie des Landes einfach nicht würdig ist. Ihr Niveau ist voller Misstrauen denjenigen gegenüber, an die sie sich wendet.  Man traut uns einfach nichts zu. Wer lügt, misstraut. Immer.