Schauspiel

Kleines Haus

Nora oder Ein Puppenheim

von Henrik Ibsen
Deutsch von Heiner Gimmler
Regie: Felix Rothenhäusler

Nora Helmers Ausbruch aus ihrer Ehe hat im Jahre 1879 für Aufruhr gesorgt. Deshalb wurde die deutsche Erstaufführung von Henrik Ibsens „Nora oder Ein Puppenheim“ in Hamburg mit einem geänderten Schluss gezeigt: Anstatt ihren Mann Torvald zu verlassen und trotz der Einsicht, dass er sie nur als Objekt wahrnimmt, blieb Nora bei ihm und den gemeinsamen Kindern. Hausregisseur Felix Rothenhäusler nimmt sich des klassischen Schauspielstoffes von Henrik Ibsen an und inszeniert ihn als eine existenzielle Komödie, die eine ungewöhnliche Sicht auf eine bekannte Geschichte zeigt. In seiner Inszenierung geht er Fragen nach, inwiefern uns noch heute (fast 140 Jahre später) gesellschaftliche Erwartungen, Rollenzuschreibungen und Konventionen prägen, die wir zwar aus der emanzipatorischen Sicht kritisieren, aber auch zunehmend begehren – aus Sehnsucht nach Sicherheit und Zugehörigkeit.

„Das Familienparadies, die Ehe Helmers hat einen repräsentativen Charakter. Sie beinhaltet Werte, die nicht angetastet werden dürfen. Aber auch die anderen Figuren in Ibsens Stück handeln immer mit dem Wissen, dass sie sich vor einer Öffentlichkeit zu verantworten haben“, sagt der Regisseur. Rollenzuschreibungen wie in „Nora oder Ein Puppenheim“ sind grundsätzlich in einer konventionellen, bürgerlichen Gesellschaft verankert. „Da sich das bis heute nicht geändert hat, ist das Stück, obwohl es zwischenmenschliche Beziehungen von vor 137 Jahren zeigt, doch gar nicht so weit von uns entfernt“, erzählt Rothenhäusler. „In unserer Gesellschaft werden Menschen immer noch oft in Rollen und nicht als Wesen gesehen. Die soziale Aufgabe in der Gesellschaft definiert, wer man sein soll und welcher Kategorie man zugehört: Mann, Frau, Arbeitsloser, Ausländer, nur um ein paar zu nennen. Doch diese Kategorisierung bringt existenzielle Einschränkungen mit sich. Durch die Regeln der Gesellschaft wird uns zwar das gesicherte Leben ermöglicht, also das wir ein Dach über dem Kopf haben, arbeiten, eine Familie gründen, aber genauso werden uns auch Zwänge auferlegt“, sagt der Regisseur.

„Dies betrifft uns alle. Und genau dafür suchen wir bei unserer Beschäftigung mit ,Nora’ eigene Ausdrucksformen. Wir möchten nicht bewerten, sondern zeigen, welche Diskrepanz ist zwischen jedem Menschen, den wir als Wesen begreifen, und der von ihm angenommener gesellschaftlicher Rolle. In unserer Inszenierung kommen sechs Menschen zusammen, um sich den Spielregeln einer konventionellen Gesellschaft zu unterwerfen. Im wechselseitigen Verhältnis dominanter Positionen und der bewussten Anwendung kommunikativer Mechanismen zeigt sich, wie gleichwohl brutal und befreiend Rollenmuster sein können“, ergänzt die Dramaturgin Viktorie Knotková.

Dauer: ca 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

  • „Wenn man eines dieser Bremer "Nora" nicht vorwerfen kann, ist es der Mangel an szenischer Konsequenz. Denn bei der Reihe bleibt's. Auch dabei, dass Gesten, Mimik, Grimassen als gezielte Konfektionsware daherkommen. Als wären die Innigkeit eines Kusses, die Kumpelhaftigkeit eines Stupsers, das Übersprunghafte der Ärgernis-Geste nach eigentümlicher Logik vom Leben derjenigen getrennt, die all das tun. Stets einen Wimpernschlag zu spät für den entsprechenden Sprechtext. Oder auch zu früh. Gelegentlich sogar zwei drei gezielte Sekunden aus der Spur. Mit echt möge man uns nicht kommen, sagt das, mit wirkmächtig vielleicht schon.“
    Tim Schomacker, Nachtkritik, 3. März 2016

    „In der Inszenierung sorgt Musik für Würze, und die Komik spielt eine große Rolle.“
    Margit Ekholt, Radio Bremen, 3. März 2016

    „Es geht nicht um die auf den Bühnen der Welt sattsam durchexerzierte Ausbruchsfantasie der Nora, die es nicht mehr ertragen will, bloß das hübsche „Singvögelchen“ ihres Gatten (und natürlich die Mutter der gemeinsamen Kinder) zu sein, und damit die bürgerliche Kleinfamilie in ihrem Kern gefährdet. Hier geht es um mehr oder weniger heute, um uns mithin.“
    Rolf Stein, Kreiszeitung, 5. März 2016

    „Der Abend entwickelt nämlich durchaus so etwas wie Groove – und zwar einen irgendwie hinterhältigen. Nach einer Weile ertappt man sich dabei, in das künstliche Lachen miteinstimmen zu wollen, auch wenn dem ein eigentlich ganz und gar nicht komischer Satz vorausgeht. Unwillkürlich. Das funktioniert auf der spielerischen Ebene dank des vorzüglichen kleinen Ensemble immer wieder.“
    Rolf Stein, Kreizeitung, 5. März 2016

    „Siegfried W. Maschek, Robin Sondermann und Mathieu Svetchine sowie Lisa Guth, Karin Enzler und (in einer Minirolle) Carola Marschhausen schlagen durchaus immer wieder mit beträchtlicher Präzision teils hinreißend komische Funken, isolieren mit Wonne die Gesten von der Sprach, lassen lustvoll diese eigentümliche Sprache (in der Übersetzung von Heiner Gimmler) scheitern: ‘Ach, wie behaglich und schön unser Haus ist, Nora.’“
    Rolf Stein, Kreiszeitung, 5. März 2016